Viele Versuche, zu schreiben

Kurzgeschichte zum Thema Liebe und Hoffnung

von  MagunSimurgh

Du elender Romantiker, schrieb sie und strich die Zeilen gleich wieder weg. Elend und Romantik – das passt doch gar nicht. Sie zerknüllte das linierte Papier und warf es achtlos über ihre Schulter, wo sich inzwischen ein stattlicher Haufen knittriger Papierkugeln aufgetürmt hatte. Komm schon, versuchte sie, sich Mut zu machen, sonst fällt dir das mit dem Schreiben doch auch nicht so schwer.
Da hatte sie Recht, normalerweise schrieb sie eine Zeile nach der anderen und nicht nur Briefe, auch Gedichte, Geschichten, einfach alles, was ihr durch den Kopf ging. Nur dieses Mal war etwas anders. Es war jetzt 3 Tage her, dass sie seinen Brief empfangen hatte und im Prinzip hatte sie auch von da an versucht, eine Antwort zu beginnen. Sie hatte die ganze Zeit, in der sie auf seine Zeilen gewartet hatte, damit verbracht, sich vorzustellen, was darin stehen würde und was sie darauf antworten würde. Der Inhalt übertraf ihre sehnlichsten Wünsche noch, aber alles, was sie sich zurecht gelegt hatte, war auf einmal weg, wie ausradiert. Mühevoll kratzte sie die letzten Gedanken in der Leere ihres Kopfes zusammen, doch es liefen ihr nur Wortfetzen über die Hand.
Resignierend stützte sie den Kopf auf ihre rechte Hand. Sie blies die Wangen auf und schnaufte kräftig. Das gibt es doch nicht, sagte sie laut zu sich selbst. Wieso bringt dich so ein einfacher Brief so durcheinander, normalerweise hat dich so was nie gestört!, sie fand, dass sie dabei irgendwie verzweifelt klang. Ein kleiner Brief, er war noch nicht mal lang, hatte alles verändert, auch wenn ihr das immer noch sehr eigenartig vorkam. Sie setzte erneut an: Lieber Felix… Plötzlich dachte sie an die Bedeutung des Namens: Der Glückliche. Sie empfand diese Übersetzung aber als unpassend und überlegte, ob Glücksbringer für sie nicht besser zuträfe. Dann bemerkte sie, dass sie in ihren ausschweifenden Gedanken schon wieder den Faden verloren hatte und raufte sich die Haare.
Sie stand auf und ging ins Bad. Mann, siehst du scheiße aus, murmelte sie ihrem Spiegelbild zu. Dann fragte sie sich, was er wohl jetzt sagen würde. Sie fing an, zu träumen, wie er hinter ihr stehen und mit ernster Miene sagen würde: „Macht nichts, ich find’ dich trotzdem hübsch.“ Und dann würde er lächeln und wie sie sich das vorstellte, musste sie selber lächeln. Jetzt, wo sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie doch zugeben, dass sie ihn sehr vermisste. Er war anders als die anderen, oder vielleicht war sie auch nur anders. Nein, er war anders, beschloss sie.
Sie fand den Gedanken von zuvor wieder. Sie fühlte sich auf eine merkwürdige Art und Weise glücklich, wenn sie die Briefe an ihn schrieb oder seine Briefe las. Sie ging zum Schreibtisch zurück und zerknüllte das Papier, auf dem sie den letzten Versuch gestartet hatte. Der Block darunter war fast leer und sie hatte noch nicht einen vollständigen Satz hinbekommen. Bei ihm las sich das immer so einfach und aus einem Guss, als wäre es einfach da und würde seine Existenzberechtigung nie bezweifeln. Wieso konnte sie das nicht so einfach… oder konnte sie es nur heute nicht? Er schrieb ihr ebenfalls oft, wie flüssig sich ihre Briefe lasen, aber dieses Mal brachte sie irgendwie nichts zustande.
Du wolltest viel weiter sein, tadelte sie sich selbst. Sie hatte das Gefühl, zu versagen. Sie liebte es, diese Briefe an Felix zu schreiben und auch, seine zu bekommen. Es war bei ihm so einfach, sich von der Seele zu schreiben, das war von Anfang an so gewesen. Ganz zu Beginn, als sie nur Emails schrieben, hatte sie schon gespürt, dass er etwas Besonderes war und sie sich ihm anvertrauen können würde. Sie wusste nicht, was sie da so sicher machte, sie wusste es einfach – irgendwie.
Sie hatte schon früher ab und zu ein paar Zeilen aus ihren Briefen streichen wollen, die sie nicht so gelungen fand, aber er hatte immer wieder gesagt, sie soll alles drinlassen. Was würde er tun? Sie erinnerte sich an seine Aktion mit der Luftpolsterfolie. Sie hatte einmal erwähnt, dass sie die gerne zerdrückt und er meinte, er würde ihr welche zum Geburtstag schenken. Damals hatte sie das für einen albernen Scherz gehalten, doch als sie an jenem Tag das Paket aufmachte, fand sie tatsächlich Luftpolsterfolie mit einem Schleifchen darum. Er machte immer so verrückte Sachen.
Dann hatte sie die zündende Idee, sie lief wie aufgescheucht durch die Wohnung und kramte einen alten Karton raus. Sie verstaute all die Papierkugeln darin, klebte ihn zu und schrieb Felix’ Adresse darauf. Dann machte sie ihn wieder auf, weil sie vergessen hatte, ihre Notiz dazuzulegen. Sie verschloss ihn wieder und brachte ihn gleich zur Post.
Zwei Tage später: Felix war gerade aus der Schule nach Hause gekommen und dachte an Sarah. Was würde sie wohl auf seinen Brief antworten und wie lange würde er sich das ausmalen und warten müssen? Plötzlich klingelte es. Er machte auf und nahm die Paketsendung mit einer Unterschrift auf dem Display des Postbotengerätes entgegen. Es war von Sarah. So schnell? Da stimmte doch etwas nicht, befürchtete er. Aufgeregt und mit zittriger Hand öffnete er das Päckchen. Er fand viele zerknüllte Papierkugeln darin und rechnete mit dem Schlimmsten. Daraufhin grub er einen kleinen Zettel aus und las:
Hallo Felix,
Du hast immer gesagt, ich soll nichts aus meinen Briefen auslassen. Nun hier sind alle meine bisherigen Versuche, eine Antwort anzufangen. Ich musste mir mal ein bisschen Luft machen, die haben nicht mehr alle in mein Zimmer gepasst. Da siehst du mal, wie du mich durcheinander bringst. Du kannst sie gerne lesen, wenn du magst. Der richtige Brief kommt bald.
Alles Liebe, Sarah.

Er schmunzelte und dachte, du verrücktes Huhn.


Anmerkung von MagunSimurgh:

2008

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Kommentare zu diesem Text

Leyla (29)
(23.01.10)
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 MagunSimurgh meinte dazu am 23.01.10:
Nach deiner letzten Mail, dachte ich, sie könnte mal wieder Tageslicht sehen. :)

Dank dir.
Misanthrop (31)
(23.01.10)
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 MagunSimurgh antwortete darauf am 23.01.10:
Okay, jetzt machst du mich verlegen und sprachlos.
Misanthrop (31) schrieb daraufhin am 25.01.10:
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 MagunSimurgh äußerte darauf am 25.01.10:
Ist von allem, was ich geschrieben habe, einer der Texte, die mir am meisten bedeuten.
KoKa (41)
(24.01.10)
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 MagunSimurgh ergänzte dazu am 24.01.10:
So soll es sein, es war auch damals sehr intensiv, diese Geschichte zu schreiben.

Danke.
wiesel (44)
(24.01.10)
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 MagunSimurgh meinte dazu am 24.01.10:
Ich danke dir, mein Freund. Es ist lange her, dass ich diese Geschichte irgendwo gezeigt habe, aber ich fand, sie hat es verdient.

Seien du gegrüßt :)
inua (36)
(24.01.10)
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 MagunSimurgh meinte dazu am 24.01.10:
Ja, das geht mir ja genau so, mein Monitor flackert dann auch immer mehr *g*

Dank dir. :)
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