sunny days just make me crumble

Erzählung zum Thema Eigene Welt

von  SunnySchwanbeck

Abgekaute Fingernägel krallen sich in den schweren Lederbezug eines seriös wirkenden Sessels.
„Wir wissen beide dass sie darüber reden wollen, sonst wären sie nicht hier oder?“ Bernsteinbraune, kleine, allwissende Augen durchbohren mich, wirken nicht wie sonst, beruhigend und warm wie Herbstsonnentage. Ich keuche. „Vermissen sie ihn? Haben sie in den letzten Fünf Jahren je an ihn gedacht? Was denken sie? Glauben sie dass sie ihn je geliebt haben?“.
Mir schwindelt, in einem Moment der allübergreifenden Trauer will ich sie einfach nur umarmen, endlich wieder Jemanden an mich heranlassen, diese Taubheit abschütteln und durch Wärme und Zuneigung ersetzen.
Prüfend schaut sie mich an, legt ihren Kopf schief und ihre manikürten Fingernägel klopfen penetrant auf den schweren Mahagonitisch.
Sie schafft es nicht. Sie wird es nicht schaffen, diese Mauer hat mir fünf lange Jahre Schutz geboten, sie wird nicht fallen. Niemals. Und ich auch nicht.
Ich seufze, streiche mir nicht vorhandene Krümel von der schwarzen Hose und lächle die fein angezogene Dame vor mir freundlich an. „Entschuldigen sie, aber ich glaube meine Zeit ist um. Und ich will weder ihnen noch ihren Patienten ihre kostbare Zeit stehlen.“ Ich halte die Luft an, stehe langsam auf und verlasse den so einladend wirkenden Raum, der immer ein bisschen nach Zimt riecht, mit schnellen Schritten.

Sobald ich sicheren, warmen Asphalt unter meinen Füßen habe atme ich durch, setze meine schwarze Sonnebrille auf und stopfe mir die Kopfhörer meines Ipod’s in die Ohren. Nine Inch Nails, hurt.
What have I become? My sweetest friend?
Musik durchflutet mich, schwemmt letzte Reste der Unsicherheit davon und treibt mich weiter, nach “Hause”.
Ich mag das Gefühl vom warmen Asphalt unter meinen Füßen, den Geruch von Tankstellen und das knacken von gebratenen Mandeln im Mund. Ich lasse gerne Plastikfoliendinger platzen und kriege schnell Sonnenbrand. Ich mag es nicht wenn man mit den Knochen knackt, und Blumen in geschlossenen Räumen erinnern mich an Beerdigungen. Ich verliere andauernd meine Sachen, vor allem meinen Schlüssel. Ich rieche nach Lacoste Parfum und benutze nur Manhattten Make-up, warum auch immer. Mein Vater starb als ich acht war und 4 ist meine Unglückszahl. Ich lerne manchmal komische Sätze auf fremden Sprachen um mich abzulenken und trinke meinen Kaffee ohne Milch aber mit zwei Löffeln Zucker. Bei Regen sitze ich am Fenster und höre klassische Musik, beim aufräumen höre ich laut meiner Mutter „Schrei-Kram von dem einem die Trommelfelle platzen“. Ich denke mir in der Bahn Geschichten über die anderen Passagiere aus und frage sie am Ende der Fahrt ob sie wirklich „Gisela“ heißen.

Wann war es Sommer geworden? Stapfte ich nicht Gestern noch durch bittere Kälte? Ich verabscheue den Sommer. All seine Liebhaber, die seine Farben und Pflanzen vergewaltigen, ihn schwängern mit ihrem Großstadtgrau.
Oder vielleicht bin ich kalt geworden, wie diese Kinder, gebettet neben Fischstäbchen und Wassereis, kalt, in Mamas Tiefkühltruhe. Eingefroren zwischen Erinnerungen und Sommernachtsträumen.
Auf der Suche nach verlorenen Gedanken, stapfe ich durch ein Meer rosafarbener Kirschblüten, die stetig von riesigen Baumkronen rieseln, die Straße überschwemmen und die Kuhdorfluft mit ihrem süßen Parfum schwängern.
Früher, denke ich, früher war ich gerne hier. Tollte durch die Blütenberge, kletterte auf Kirschbäume und naschte Kirschen bis ich weinte vor Bauchschmerzen, verraten hatte mich mein puterroter Mund. Und am liebsten hätte ich ihn abgerissen.

„Wissen sie wo es zu Gottes Haus geht?“ Ein schlaksiger, alter, ergrauter Mann mit Rauschebart an dessen schwieliger Hand eine kleine, knubbelige Frau hing sah mich mit Eiswürfelaugen an.
„Ich weiß nicht wo Gott wohnt.“ Zische ich hervor. Die knubbelige Frau starrt mich an, ihr welliges Haar ist zu einem Lockeren Zopf hochgesteckt, es hat die Farbe von verregneten Sonntagen mit Kaffee, Kuchen und Gesellschaftsspielen, ihr unförmiger Körper in dünnen Stoff gehüllt. Gesundheitsschuhe zieren ihre Füße.
„Gott sei mit dir, meine Kleine.“ Sie lächelt mich keck an und watschelt dann weiter mit ihrem schlaksigen Mann. Ich sehe den beiden hinterher, wie sie Hand in Hand das rosa Meer durchschreiten, wie das dünne Haar von ihm unter seiner Mütze tanzt.
Wüsste ich wo Gott wohnt, denke ich, so würde ich hinfahren, ihm eine gepflegte Ohrfeige geben, meinen Vater schnappen, und abhauen. Vielleicht ans Meer, ich würde mich mit ihm an den Strand setzten, Mau-Mau spielen und er würde ein Gewitterwolkenlachen auf mich niederprasseln lassen, mit jedem gewonnenen Spiel.
Wir könnten den Sommer genießen, gemeinsam. Vater und Tochter.
Wir würden Magnum essen und Wolkentiere suchen. Wörter in den Sand schreiben und den Wellen zusehen, vielleicht würde er sich auch einfach hinlegen, mich in seine eisernen Arme nehmen und ich würde zu seinem Herzschlag einschlafen, wie damals. Als kleines Mädchen mit Sommersprossen und wilden Zöpfen. Vielleicht könnten wir irgendwann wieder glücklich sein. Zusammen.


Anmerkung von SunnySchwanbeck:

Für R.

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Kommentare zu diesem Text

mmazzurro (56)
(29.04.10)
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 SunnySchwanbeck meinte dazu am 29.04.10:
Danke, dafür und für die Aufnahme in deine Faviliste.
Kuesschen.

 Erdbeerkeks (29.04.10)
Dieser Text lässt mein Herz bluten, warum auch immer. Es kommt mir vieles so bekannt vor und während ich das hier schreibe habe ich so ein ganz komisches Gefühl so einer traurigen Unruhe, die mich irgendwie nicht mehr los lässt. Ich hab den Text jetzt zum vierten Mal gelesen und weißt du, ich schließe mich an.
Bei Nine Inch Nails, warmen Asphalt, Plastikfoliendingern, schnellem Sonnenbrand, Dinge verlieren, Manhatten Make-Up, Regen und klassische Musik, laute Musik beim Aufräumen, Geschichten ausdenken, Sommer, Kirschen... Es sind etliche Dinge.
Ach. Ich schweife ab (:
Ich wollte eigentlich nur sagen: Toller Text.

Liebste Grüße von Mademoiselle Keks
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