„Das hier ist einer dieser Momente, die sich in mein Gehirn brennen. An so was denkt man zurück, wenn einem der Himmel auf den Kopf fällt, stimmts? Ich meine, irgendwann will ich zurück zu dem hier, das wird irgendwann ein ‚damals’.“ Ich hör dir gar nicht richtig zu, konzentriere mich auf die Kälte, die wie Quecksilber meine Beine hoch kriecht. Ich hab dir den größten Vertrauensbeweis erwiesen. Ich nahm dich mit in meine Welt, in mein Refugium. An den einzigen Ort, an dem ich mir nicht mehr zu klein vorkomme zwischen all den Menschen in dieser Großstadt, die irgendwie keine mehr ist.
Wir kletterten über eine kleine, ungesicherte Treppe hinter der Brücke, runter auf eine schmale Betonplattform die direkt am Rhein liegt. Die Scherben, kaputter Bierflaschen, glitzerten auf dem matten Beton. Es war schon dunkel als wir ankamen, die perfekte Zeit um hier zu sein. Die Skyline Düsseldorfs warf ihre Lichtkegel auf das schwarze Wasser und die blinkenden Lichter des Fernsehturms schienen uns zu begrüßen.
Ich habe hier noch nie jemanden mit hin genommen, und ich glaube, du weißt gar nicht, wie wichtig das hier für mich ist.
Wir fangen an, über dich zu reden. Ich mag das. Ich rede nicht gerne über mich, zumindest nicht hier. Du erzählst mir von den Konzerten auf denen du warst, von den „exclusiven“ Künstlern die du so kennen gelernt hast. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich keinen von ihnen kenne, und nicke einfach lächelnd. Irgendwann erzählst du mir von deiner Exfreundin die ja so „unglaublich naiv“ war und ich muss lachen. Du sitzt neben mir mit deinen kleinen Augen und deinen wilden Haaren und wirkst so abgeklärt wie ich es nie sein wollte, aber längst geworden bin. Ich glaube, du bist so Jemand der seinen Namen in die Herzen anderer stanzt, aber ich sage es nicht.
Du bist offen. Wir haben uns vor ein paar Stunden im Zug kennen gelernt, und schon erzählst du mir, dass deine Mutter ein Alkoholproblem hat und du kein Wort Englisch sprichst.
„Ich weiß nicht. Irgendwie lasse ich mich von offenen Menschen leicht öffnen.“ Ich ziehe meine Beine näher an meinen Körper und schaue aufs Wasser.
Während es noch kälter wird und die Wellen rhytmisch gegen die Mauern klatschen erzähl ich dir alles. „Er wuchs mir ans Herz, wie ein Tumor.“ Ich mache keine Pause und sage ständig „irgendwie“. „Irgendwie hat das alles verändert, ich meine, irgendwie habe ich mich dadurch verändert. Die anderen merken das auch, ständig sagen sie mir das, aber irgendwie fragt niemand nach, warum.“ Ich musste zwei Kippen lang warten, bis du etwas sagst. „Du bist das traurigste Mädchen, das ich kenne.“
Ich lache ein bisschen, weil ich nicht weinen will und mir nichts anderes einfällt.
„Ich hab mal gehört, dass traurige Menschen am schönsten lachen.“ Sage ich. Du lächelst und streichst mir eine violette Haarsträhne aus meinem Gesicht. Mein Handy klingelt, wir wissen beide wer dran ist und packen stumm unsere Sachen ein.
Die Bahn ist voll. Jeder versucht so wenig Platz wie möglich zu beanspruchen und ich glaube, dass du das selbe versuchst. Der leere Teil in mir, der bis vor kurzem noch vergeben war, ist meterweit weg von dem kleinen Fleck in meinem Herzen, auf den du deinen Namen schreibst. Du stehst direkt neben mir und obwohl du viel größer bist als ich, habe ich nicht das Gefühl neben dir klein zu wirken. Die Menschen starren mich an. Das tun sie immer. Sie starren und denken und stempeln ab. Du bist grau. Während ich schillernd und klirrend durch die Gegend stapfe bist du schattenhaft und verwischt hinter mir.
„Schon komisch, ich hab noch nie Jemanden getroffen, der mir so ähnlich war.“ Du schaust auf deine Springer. Arschloch, denke ich. Sage ich auch. Flüster ich. Ich glaube du weißt es, aber das macht dir nichts aus. Als wir aussteigen nimmst du meine Hand und es ist okay. Du bleibst stehen und schaust mich an, in deinem Blick liegt etwas, das ich nicht einordnen kann, ich frage mich, ob ich irgendwelche Grenzen überschritten habe, oder ob du überhaupt Grenzen ziehst, zwischen dir und mir, oder nur um uns herum. „Das heute war groß,“ sagst du zittrig und deine Hand drückt meine fester als nötig. „Und ich weiß jetzt auch, wer du bist. Aber, irgendwas fehlt.“ Du scheinst mit deinem angedeuteten Lächeln irgendwas wieder gut machen zu wollen und ich verstehe nicht, was du meinst.
„Ich fahre gerne Fahrstuhl. Ich habe dann das Gefühl, dass mein Herz meinen Hals hoch fließt.“ Sage ich, einfach um die Zeit zu überbrücken während du die Kraft findest, um weiter zu gehen.
Deine Lippen prallen gegen meine und während du mich küsst, merke ich, wie du dabei lächelst. Ich weiß, dass das hier nicht für immer ist, aber das ist okay. Ich will kein für immer, ich will jetzt. Ganz viel jetzt. Mit dir.