Ob Esteban schwimmen kann?

Erzählung zum Thema Liebe, vergangene

von  SunnySchwanbeck

„Ich bin glücklich. Ich bin glücklich. Ich bin glücklich.“ Wie ein Mantra wiederhole ich die Worte während ich mit einer Zigarette in der einen und einem kaputten Regenschirm in der anderen Hand den weg zur Bahn entlang schlendere. Es ist zu kalt für Mai, aber ihn wird es nicht stören, hat es noch nie. Mir verbleiben noch 7 Minuten bis die Bahn kommt, hastig rauche ich die Zigarette auf, wozu? Ich brauche den Müll nicht, ich muss meine Lungen nicht mit Gift voll pumpen um ruhig zu sein. Vielleicht tue ich es auch nur, weil er es tut. Vielleicht hab ich aufgehört mir Tag für Tag das Make-up ins Gesicht zu schmieren, weil er mal sagte „Wie schön du aussiehst, auch ungeschminkt. Und wie niedlich deine Sommersprossen sind. Du brauchst das doch alles nicht, du bist schön.“ Aber vielleicht ist es mir auch einfach nur egal wie ich auf andere Menschen wirke, egal ob sie mich hübsch finden oder mich auch nur nicht bemerken.
Die Bahn fährt quietschenden ein, schnell flippe ich den Filter aufs Gleis und such mir zwischen harten Gesichtern einen Stehplatz, an dem kalten Metall kleben noch Fetzen von alten Gesprächen mit ihm, ich schaudere.
Neben mir stehen ein paar Mädchen, ich sollte sie kennen, meine ich. Sie sind aus meiner Schule, ist eine nicht sogar in meiner Klasse? Egal, egal. Alles so egal, sie nehmen mich genauso wenig wahr wie ich sie, reden über irgendwelche Probleme die sie nicht haben und nie haben werden, intaktes Leben nennt man das. Hatte ich mal, früher. Auf einmal wiegt der Ipod schwer in meiner Hand, so kann ich kein Lied mehr hören dass mich nicht an Momente mit ihm erinnert, an Zeiten wo ich ihn hasste, diese Lieder schrie und weinte, still, Nachts, alleine, wenn der Schlaf weiter zog und ich an ihn denken musste, an Zeiten mit ihm zusammen, an Bäumen, Stränden, Gehegen und in Kinosälen. Langsam stecke den dünnen pinken MP3Player zurück in die verdreckte, teure Tasche die mir einst so heilig war, was soll’s? Es ist schließlich nur eine Tasche, doch seine Mutter mochte sie, glaube ich.
Ich blende alles um mich herum aus, nur das grollen der U76 unter mir nehme ich noch war, stimme mich auf ihren Takt ein, atme ein tutuuftutuufututuuf, atme aus, tutuuuuuftuftuftuuuf. Währen die Welt die mir so kalt und tot erscheint hinter den zerkratzten Scheiben zerfließt reiße ich nervös an meinen hoffnungslosen, kaputten Fingernägeln, Früher damit ich sie nicht in meine Haut schlagen konnte, Heute damit ich keine Reste vergangener Tage mit mir rumschleppe.
Während die Narben auf meinen Armen stetig verblassen und heilen, die Risse langsam unsichtbar werden, lecke ich vorsichtig über meine zerschundenen Lippen, hatte sie einmal die seinen berührt? Waren sie damals nicht noch weich und herzförmig? Ich weiß es nicht mehr. Mein Leben scheint zu zerfließen wie schmelzendes Eis im Sommer, die Überreste kleben an meinen Fingerspitzen und brennen sich in meine Haut. „Für immer.“
Nein darling, ein „für immer“ gibt es nicht, gab es nie. Wir spielen hier nicht „Romeo und Julia“ du bist nicht der hübsche, starke, wortgewandte und ich nicht die zierliche, schüchterne Schönheit. Lassen wir es, es ist besser so.
Die Tür öffnet sich und lachende, fröhliche Jugendliche steigen ein, Jungs und Mädchen in meinem Alter, wir könnten befreundet sein, ich könnte jetzt mit ihnen hier einsteigen und über längst vergessene Witze lachen. Sie schauen mich kurz mitleidig an, mustern mich, schwarze Chucks – schwarze Hose – StarWars T-Shirt – schwarze Jacke – zauses Haar – ungeschminkt. Die vertraute Stimme krächzt: "Luegplatz" und ich steige hastig, zwei Stufen auf einmal nehmend, aus der muffigen Bahn.
Endlich sehe ich die ersten Umrisse der alten Rheinhäuser, wir malten uns unser Leben, mit ihnen als Bühne. Also doch Romeo und Julia, kein Schloss. Ein Altbau. Fliederfarben, und verwaschen. Auf einmal fühle ich mich alt und verlebt, wie ein Paar Schuhe, zertanzt. Der Zweifel leckt an mir und Tränen steigen mir in die trüben Augen. Ich wische sie hastig weg und sehe mich suchend um.
Die Welt scheint in diesem Moment so klar und leicht zu sein dass ich keuche, jede Farbe wirkt unnatürlich intensiv, Menschen mit ihren Hunden tollen herum, sind glücklich, aufgedreht und erfreuen sich an dem sommerlichen Temperaturen. Jugendliche trinken auf das tolle Wetter, oder einfach so, auf ihre Jugend.
Schmunzelnd gehe ich weiter, bringe meine Muskeln im Gesicht dazu die passenden Bewegungen nach zu ahmen, ein Lächeln sollte es sein, ich hoffe es sieht nicht all zu gequält aus. Ich bin glücklich.
An der alten Brücke bleibe ich stehen, schaue mich um, Schafe sind auf der Wiese am Wasser eingezäunt sie jauchzen, mähen und grasen, alles wirkt so friedlich. Vom satten Grün hebt sich eine schwarze Gestalt ab, ich schaudere und trete einen Schritt zurück auf den Betonboden. Verharre dort einige Minute, male mir die nächste Situation aus. Die Begegnung. „Was machst du hier? Wieso? Was? Wie lange schon?“ Belanglose Fragen, ich würde wohl nur Lächeln und zurückgehen, zusehen wie er unser altes Leben in die Wellen wirft, Erinnerungen. Ein kleines Stofftier namens Esteban, Münzen aus dem Zoo, eingefrorene Rosen, Dinge an denen Abschied haftet, Abschied und ein kleines Bisschen endgültige Liebe, vorallem aber mein Geruch. Ich drehe mich um, wende der so geschäftig wirkenden Person den Rücken zu und gehe den Schotterweg zu Starbucks hinauf, es ist Zeit zu gehen, für immer. Vielleicht. Bestimmt sogar. Wahrscheinlich. Wer weiß? Ganz sicher. Natürlich.
Es ist das Beste so.
Knirschend renne ich dem stetigen Wind entgegen, er trocknet längst vergossene Tränen und aufgewärmte Versprechen. „Ich werde wieder singen.“ Flüster ich den rauschenden Kirschbäumen entgegen die sich unter ihrem rosaroten Gewicht biegen.
Vielleicht weil er einmal sagte es würde ihm gefallen,
vielleicht weil er die Sängerin mag.

Wahrscheinlich aber weil es hilft glücklich zu sein.


Anmerkung von SunnySchwanbeck:

Nach all dem, nach diesem Tag, nach all den Monaten bin ich glücklich. So unendlich glücklich SIE zu haben, weil sie alles leichter und besser macht. Und bald werden wir lachend zusammen am Rhein sitzen, weil alles so leicht ist mit ihr.

Never again will I kiss you, never again will I want to, never again will I love you, never. Does it hurt?

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Kommentare zu diesem Text


 Unbegabt (22.05.10)
das ist... so gut irgendwie. du wirst immer besser. immer flüssiger. und auch, wenn das, was du da erzählt, etwas alltägliches ansich hat, sind da so viele ungewöhnliche und schöne bilder drin, die das ganze einzigartig machen.

bestisch. sozusagen.

und wir werden am rhein sitzen und es wird egal sein ob esteban schwimmen kann, oder eben nicht. weil er nur ein kuscheltier ist, und es immer war. was zählt ist, ob du die erinnerung die mit ihm verknüpft ist schwimmen lässt, ersäufst, oder ertrinken lässt.

lass dir dein leben von niemandem nehmen, erstrecht nicht von menschen aus der vergangenheit - es hat einen grund wieso sie es nicht in deine zukunft geschafft haben. ich liebe dich.

 SunnySchwanbeck meinte dazu am 22.05.10:
Losgelassen, und ertrunken.
Danke Beste, es wird so gut, so gut mit dir. Und dann ist sowieso alles andere egal.
Ich liebe dich, kuss.

 Erdbeerkeks (20.07.10)
Es wirkt manchmal so, als hättest du ein ganz anderes Auge für Dinge. Ganz anders als ich irgendwie, aber wenn du schreibst, ist es so, als gibst du einem einen Teil davon ab.
Es passt einfach alles so perfekt zusammen, die Worte greifen perfekt ineinander. Ich bin so schlecht im erklären und beschreiben, aber das hier ist so gut.
Ich glaub, ich hab ihn bisher überlesen gehabt. Sonst hätte ich schon längst was dazu gesagt ._.
Ich glaub, ich werd noch viel viel mehr dazu sagen.

In un-ente-licher Bewunderung,
die kleine Schwester.

Quak. ♥

 SunnySchwanbeck antwortete darauf am 20.07.10:
danke krümel,
ich weiß was du meinst und das bedeutet mir sehr viel.
hamsterlichst,
die große.

Snüff. ♥
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