Bulbus
Märchen zum Thema Kritik/ Kritiker
von Lala
Bulbus
Außer einem brennenden Hintern und einem Brummschädel war Gnorp glimpflich davon gekommen und fand sich kurz darauf in der Wohnhöhle seines Vaters wieder. Trotz oder wegen der nur durch Kerzen erleuchteten Dunkelheit, waren Trollhöhlen ausgesprochen gemütlich. Trolle lasen viel und stapelten ihre Bücher gerne so, dass diese ihnen auch als Möbel dienten. Das war keine Missachtung, wie viele Lybits dachten, die ihre „Klassiker“ in Ruhmeshallen ehrten und für unantastbar erklärten, sondern Ausdruck des Trolls, dass Bücher sein Leben bestimmten. Für alle Trolle – über alle Differenzen hinweg – galt der Leitspruch: Sola scriptura – das Äußerliche zählt nicht! Ein Wahlspruch, der angesichts eines Trolls mit großer Nase und stinkender Haut nicht wirklich überraschen kann.
Leider ist dies ebenso häufig, wie falsch in die Oberwelt übersetzt worden mit: „Es kann nur einen geben! Streitet um das Wort bis in den Tod!“ Sola scriptura, riefen die Trolle und liefen Sturm gegen diese falschen Unterstellungen, gaben keine Ruhe und kämpften bis in den Tod für ihren Wahlspruch. Bald konnte sich keiner mehr erinnern, ob erst die Lybits falsch übersetzt oder die Trolle zuvorderst einen Lybit mit Worten zugeschissen hatten.
Gnorps Vater Bulbus, der manche Schlacht geschlagen hatte, war alt geworden. Meist lag er nur noch in seiner Höhle, sang schöne Lieder mit komplizierten Reimschemata, kratzte sich am Hintern und pfiff den Trollweibern hinterher. Früher hatte er, wie Gnorp es jetzt begann, die Lybits heimgesucht, um in deren - nach seinem Empfinden - selbstgefälligen Hintern zu treten. Mit Cousinen, Tanten und Geschwistern zog er an vielen Tagen durch die Oberwelt und ließ sich nicht lumpen, selbst wenn es gegen die mächtigsten Lybits ging, ob das nun Sir Okuhu, der Vater von Elf Gin, oder der legendäre Mad-Ben-Caesar war.
Natürlich hatte Bulbus damals nicht zurück gezuckt, auch Reimdichfressmich-Lybits ihr Gesülze ohne Gnade zurückzustopfen. Wenn es so etwas gab wie Krawallos unter den Trollen, Bulbus und seine Sippe waren welche. Aber er war müde geworden und ließ sich nicht mehr reizen. Es sei denn Hualp, ein Artgenosse aus einem anderen Höhlensystem, forderte ihn zum hundertsten Male auf, Lybits fertig zu machen. Dem schmiss er das erstbeste Buch, das er greifen konnte an die Rübe und fluchte: Lies erstmal, Depp!
Jetzt stand Gnorp vor ihm und erzählte ihm atemlos, was er erlebt hatte. Bulbus sah in Gnorps leuchtenden Augen, dass der es liebte herumzufurzen und Lybits zu verschrecken, aber Bulbus wusste auch, wo die Schwächen dieses kleinen Kerls lagen.
„Ich fühle mich so gut, Vater. Ich muss gleich wieder weg“, sprudelte es aus Gnorp ohne Unterlass. „Ich habe gerade von einem alten Troll und diesem Katersee gehört, dass im Vorwortwald ein Schrat sich herumtreiben könnte. Das ist aufregend.“
„Nun komm erst mal zu Atem, Junge“, unterbrach Bulbus Gnorps Vortrag, weil er schon genug gehört hatte und weil er spürte, dass es Zeit war, die Dinge zu ordnen.
„Willst Du nicht mitkommen?“, fragte Gnorp, immer noch vollkommen von seinen Erlebnissen erfüllt.
„Bist Du denn vorbereitet, Gnorp?“, fragte Bulbus, richtete sich auf und fixierte den jungen Troll. „Na, klar. Ipse zerdresch' ich und Lybits verklopp ich“, strahlte Gnorp.
„Tolle Reime. Damit wirst Du Eindruck machen.“ Bulbus rieb sich die Augen und schüttelte seinen Kopf. Dann fuhr er hoch und kommandierte: „Wie wird ein Trochäus betont, junger Troll?“
Gnorp biss sich auf die Lippen. Er wusste es nicht. „Was verstehen wir unter dem Spannungsverhältnis von Sinn und Metrum?“, hakte Bulbus flüsternd nach. Gnorps Lippen blieben geschlossen, aber sein ganzer Körper zitterte.
„Welche Kadenz ist betont?“
„Das-ist-mir-egal“, presste Gnorp trotzig zwischen seinen Lippen hervor.
„Aber Lybits willst Du in den Arsch treten?“, höhnte Bulbus.
„Jedem von denen und mit Schmackes!“, erwiderte Gnorp stolz.
„Du meinst wohl, je schwieriger die Aufgabe ist, um so eher darf man sich was erlauben, ja?“ Bulbus hatte sich mittlerweile erhoben und schritt gemessenen Schrittes um Gnorp herum.
„Ja“, antwortete Gnorp, wieder mit festerer Stimme.
„Ein Lied muss Reime haben, aber im Sonett darf man sich einen unechten gestatten; richtig oder falsch?“, fragte Bulbus in leisem, aber scharfem Ton. Es entstand eine Gesprächspause.
„Richtig“, antwortete Gnorp, eher fragend als fest und eine Träne rann ihm die Wange hinunter.
„Hoffnungslos. Gerade umgekehrt, lieber Gnorp!“, herrschte Bulbus den jungen Troll an und legte lauter werdend nach: „Es ist nicht nötig, dass Du Dir Schwierigkeiten setzt, die Du nicht überwinden kannst. Aber wenn Du springen willst, dann springe richtig! Hast Du das endlich verstanden?“ Bulbus war immer lauter geworden und beim letzten Satz griff er aufs Geratewohl nach einem seiner Bücher und feuerte es dicht an Gnorps Gesicht vorbei. Gnorp heulte los. Bulbus atmete tief durch und beruhigte sich wieder.
Für einen Troll schon zärtlich, vollendete er: „Niemand, hörst Du, niemand braucht einen Graben zu überspringen, der für ihn zu breit ist, wenn du es aber doch versucht und hinein plumpst, so wirst du ausgelacht.“
„Und wieso schaffe ich es nicht, Vater?“, schluchzte Gnorp.
Instinktiv griff Bulbus nach Gnorps Hand, legte sie in die seine und forderte:
„Zähle!“
Gnorp schaute ihn irritiert an und dachte an Versfüße, Betonungen.
„Zähl keine Silben, zähl unsere Finger!“, verlangte Bulbus in sachlichem Ton.
Gnorp schaute auf seine Hand, die ziemlich klein in Bulbus Pranke lag. Er zählte drei Finger bei sich und fünf bei Bulbus. Er wiederholte die Zählung noch ein paar Mal, kam aber immer wieder auf dasselbe Ergebnis.
„Wie viele hast du gezählt, Gnorp?“
“Drei bei mir und fünf bei dir“, antwortete Gnorp zitternd.
„Stimmt. Und woran erinnert dich das?“
„An gar nichts“, erwiderte Gnorp widerspenstig.
„Wer hat auch drei Finger?“, flüsterte Bulbus und griff mit seiner anderen Hand an den Hinterkopf von Gnorp, drückte ihn liebevoll zu sich und wiederholte mit brüchiger Stimme: „Wer hat noch drei Finger, Gnorp?“
Gnorp antwortete nicht und Bulbus und Gnorp verharrten in ihrer Position. Gnorp schoss alles möglich durch seinen Kopf, aber ein Gedanke beherrschte ihn mehr und mehr: Er war kein Troll! Und weil er kein Troll war, hatte er kein natürliches Talent zum Dichten und weil er nicht dichten konnte, hatte er nur drei Finger und weil er nur drei Finger hatte, war er, Gnorp, ein Lybit und weil er ein Lybit war, war Bulbus nicht sein Vater!
Als Gnorp diese Kette geschlossen hatte, riss er sich aus Bulbus Umarmung, fuchtelte wie wild mit seinen Armen, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte und wie er den Druck los werden sollte. Er heulte, aber er wusste nichts zu sagen, er schlug um sich, aber nur in die Luft, weil er nicht wusste wo er anfangen und wo er aufhören sollte. Schließlich rannte er von Bulbus weg, rannte durch die Trollgänge, kletterte den Schacht zur Oberwelt hinauf und nahm Kurs auf Metrik. Denn wenn er schon ein Lybit sein musste, dann gehörte er dahin.
Außer einem brennenden Hintern und einem Brummschädel war Gnorp glimpflich davon gekommen und fand sich kurz darauf in der Wohnhöhle seines Vaters wieder. Trotz oder wegen der nur durch Kerzen erleuchteten Dunkelheit, waren Trollhöhlen ausgesprochen gemütlich. Trolle lasen viel und stapelten ihre Bücher gerne so, dass diese ihnen auch als Möbel dienten. Das war keine Missachtung, wie viele Lybits dachten, die ihre „Klassiker“ in Ruhmeshallen ehrten und für unantastbar erklärten, sondern Ausdruck des Trolls, dass Bücher sein Leben bestimmten. Für alle Trolle – über alle Differenzen hinweg – galt der Leitspruch: Sola scriptura – das Äußerliche zählt nicht! Ein Wahlspruch, der angesichts eines Trolls mit großer Nase und stinkender Haut nicht wirklich überraschen kann.
Leider ist dies ebenso häufig, wie falsch in die Oberwelt übersetzt worden mit: „Es kann nur einen geben! Streitet um das Wort bis in den Tod!“ Sola scriptura, riefen die Trolle und liefen Sturm gegen diese falschen Unterstellungen, gaben keine Ruhe und kämpften bis in den Tod für ihren Wahlspruch. Bald konnte sich keiner mehr erinnern, ob erst die Lybits falsch übersetzt oder die Trolle zuvorderst einen Lybit mit Worten zugeschissen hatten.
Gnorps Vater Bulbus, der manche Schlacht geschlagen hatte, war alt geworden. Meist lag er nur noch in seiner Höhle, sang schöne Lieder mit komplizierten Reimschemata, kratzte sich am Hintern und pfiff den Trollweibern hinterher. Früher hatte er, wie Gnorp es jetzt begann, die Lybits heimgesucht, um in deren - nach seinem Empfinden - selbstgefälligen Hintern zu treten. Mit Cousinen, Tanten und Geschwistern zog er an vielen Tagen durch die Oberwelt und ließ sich nicht lumpen, selbst wenn es gegen die mächtigsten Lybits ging, ob das nun Sir Okuhu, der Vater von Elf Gin, oder der legendäre Mad-Ben-Caesar war.
Natürlich hatte Bulbus damals nicht zurück gezuckt, auch Reimdichfressmich-Lybits ihr Gesülze ohne Gnade zurückzustopfen. Wenn es so etwas gab wie Krawallos unter den Trollen, Bulbus und seine Sippe waren welche. Aber er war müde geworden und ließ sich nicht mehr reizen. Es sei denn Hualp, ein Artgenosse aus einem anderen Höhlensystem, forderte ihn zum hundertsten Male auf, Lybits fertig zu machen. Dem schmiss er das erstbeste Buch, das er greifen konnte an die Rübe und fluchte: Lies erstmal, Depp!
Jetzt stand Gnorp vor ihm und erzählte ihm atemlos, was er erlebt hatte. Bulbus sah in Gnorps leuchtenden Augen, dass der es liebte herumzufurzen und Lybits zu verschrecken, aber Bulbus wusste auch, wo die Schwächen dieses kleinen Kerls lagen.
„Ich fühle mich so gut, Vater. Ich muss gleich wieder weg“, sprudelte es aus Gnorp ohne Unterlass. „Ich habe gerade von einem alten Troll und diesem Katersee gehört, dass im Vorwortwald ein Schrat sich herumtreiben könnte. Das ist aufregend.“
„Nun komm erst mal zu Atem, Junge“, unterbrach Bulbus Gnorps Vortrag, weil er schon genug gehört hatte und weil er spürte, dass es Zeit war, die Dinge zu ordnen.
„Willst Du nicht mitkommen?“, fragte Gnorp, immer noch vollkommen von seinen Erlebnissen erfüllt.
„Bist Du denn vorbereitet, Gnorp?“, fragte Bulbus, richtete sich auf und fixierte den jungen Troll. „Na, klar. Ipse zerdresch' ich und Lybits verklopp ich“, strahlte Gnorp.
„Tolle Reime. Damit wirst Du Eindruck machen.“ Bulbus rieb sich die Augen und schüttelte seinen Kopf. Dann fuhr er hoch und kommandierte: „Wie wird ein Trochäus betont, junger Troll?“
Gnorp biss sich auf die Lippen. Er wusste es nicht. „Was verstehen wir unter dem Spannungsverhältnis von Sinn und Metrum?“, hakte Bulbus flüsternd nach. Gnorps Lippen blieben geschlossen, aber sein ganzer Körper zitterte.
„Welche Kadenz ist betont?“
„Das-ist-mir-egal“, presste Gnorp trotzig zwischen seinen Lippen hervor.
„Aber Lybits willst Du in den Arsch treten?“, höhnte Bulbus.
„Jedem von denen und mit Schmackes!“, erwiderte Gnorp stolz.
„Du meinst wohl, je schwieriger die Aufgabe ist, um so eher darf man sich was erlauben, ja?“ Bulbus hatte sich mittlerweile erhoben und schritt gemessenen Schrittes um Gnorp herum.
„Ja“, antwortete Gnorp, wieder mit festerer Stimme.
„Ein Lied muss Reime haben, aber im Sonett darf man sich einen unechten gestatten; richtig oder falsch?“, fragte Bulbus in leisem, aber scharfem Ton. Es entstand eine Gesprächspause.
„Richtig“, antwortete Gnorp, eher fragend als fest und eine Träne rann ihm die Wange hinunter.
„Hoffnungslos. Gerade umgekehrt, lieber Gnorp!“, herrschte Bulbus den jungen Troll an und legte lauter werdend nach: „Es ist nicht nötig, dass Du Dir Schwierigkeiten setzt, die Du nicht überwinden kannst. Aber wenn Du springen willst, dann springe richtig! Hast Du das endlich verstanden?“ Bulbus war immer lauter geworden und beim letzten Satz griff er aufs Geratewohl nach einem seiner Bücher und feuerte es dicht an Gnorps Gesicht vorbei. Gnorp heulte los. Bulbus atmete tief durch und beruhigte sich wieder.
Für einen Troll schon zärtlich, vollendete er: „Niemand, hörst Du, niemand braucht einen Graben zu überspringen, der für ihn zu breit ist, wenn du es aber doch versucht und hinein plumpst, so wirst du ausgelacht.“
„Und wieso schaffe ich es nicht, Vater?“, schluchzte Gnorp.
Instinktiv griff Bulbus nach Gnorps Hand, legte sie in die seine und forderte:
„Zähle!“
Gnorp schaute ihn irritiert an und dachte an Versfüße, Betonungen.
„Zähl keine Silben, zähl unsere Finger!“, verlangte Bulbus in sachlichem Ton.
Gnorp schaute auf seine Hand, die ziemlich klein in Bulbus Pranke lag. Er zählte drei Finger bei sich und fünf bei Bulbus. Er wiederholte die Zählung noch ein paar Mal, kam aber immer wieder auf dasselbe Ergebnis.
„Wie viele hast du gezählt, Gnorp?“
“Drei bei mir und fünf bei dir“, antwortete Gnorp zitternd.
„Stimmt. Und woran erinnert dich das?“
„An gar nichts“, erwiderte Gnorp widerspenstig.
„Wer hat auch drei Finger?“, flüsterte Bulbus und griff mit seiner anderen Hand an den Hinterkopf von Gnorp, drückte ihn liebevoll zu sich und wiederholte mit brüchiger Stimme: „Wer hat noch drei Finger, Gnorp?“
Gnorp antwortete nicht und Bulbus und Gnorp verharrten in ihrer Position. Gnorp schoss alles möglich durch seinen Kopf, aber ein Gedanke beherrschte ihn mehr und mehr: Er war kein Troll! Und weil er kein Troll war, hatte er kein natürliches Talent zum Dichten und weil er nicht dichten konnte, hatte er nur drei Finger und weil er nur drei Finger hatte, war er, Gnorp, ein Lybit und weil er ein Lybit war, war Bulbus nicht sein Vater!
Als Gnorp diese Kette geschlossen hatte, riss er sich aus Bulbus Umarmung, fuchtelte wie wild mit seinen Armen, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte und wie er den Druck los werden sollte. Er heulte, aber er wusste nichts zu sagen, er schlug um sich, aber nur in die Luft, weil er nicht wusste wo er anfangen und wo er aufhören sollte. Schließlich rannte er von Bulbus weg, rannte durch die Trollgänge, kletterte den Schacht zur Oberwelt hinauf und nahm Kurs auf Metrik. Denn wenn er schon ein Lybit sein musste, dann gehörte er dahin.