Beim Löwen
Märchen zum Thema Kritik/ Kritiker
von Lala
Beim Löwen
Als Kalterersee seine Luke schloss, ging es auch für Gnorp nicht weiter. Schmerzhaft bohrte sich eine spitze Kralle durch seinen Schwanz und stoppte seinen Marsch nach Metrik. „Wohin des Wegs, kleiner Kerl?“, erschall eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit. Wenn Gnorp ein Troll-Gen geerbt hatte, dann war es Respektlosigkeit.
„Hieltest du mich nicht fest, du müsstest nicht so blöde fragen“, knurrte Gnorp und enthielt sich eines Schmerzensschreis.
„Oha wir haben einen gewitzten Kerl gefunden! Aber man versicherte uns, dass dies hier der Grüßkekswald ist und alle Wanderer, die sich hier begegnen sich ein fröhliches und ehrliches Hallo zurufen und sich vom Keks und der Welt erzählen und uns nicht Gegenfragen stellen.“ Während Gnorp dieses vernahm, versuchte er, den Schmerz zu vergessen und sich los zu reißen und wenn es ihn seinen Schwanz kostete. Seine Bemühungen schienen seinen Häscher nicht zu bekümmern, denn der fuhr ohne eine Pause im Pluralis Majestatis fort:
„Junger Mann! Wir lieben es, zu erzählen! Wir finden es großartig, wenn sich uns ein Ohr darreicht, dem wir alle Worte dieser Welt schenken können. Wir lieben es, schwärmerisch zu schnurren, schnurrend in die Schlüpfer aller Schlümpfe, scharwenzelnd zu chambrieren. Hm, das ist eine wohlige Wohltat, ein Fest und eine Freude. Ach, wir stehen gerne auf der Bühne, singen vom Licht bis spät in die Nacht und spreizen unsere Krallen erst, wenn unser Antlitz von der Morgensonne wieder illuminiert wird und die gefühlte Einsamkeit am größten ist.“
Gnorp hielt sich die Ohren zu, weil er das Gefasel nicht mehr aushalten konnte und registrierte nicht, wie die Kralle aus seinem Schwanz gezogen wurde. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er befreit und nur noch ein tiefes, wohliges Brummen zu vernehmen war. Vorsichtig äugte er in die Richtung, aus der das Brummen und die Stimmen gekommen waren und sah, eben noch über den Wipfeln des Waldes, den Kopf eines Löwen, angestrahlt von den ersten goldenen Strahlen der Morgensonne. Der Löwe schien es zu genießen, derart im Rampenlicht zu stehen und sich von der Sonne elektrisieren zu lassen. Er genoss es so sehr, dass er seine Pfoten und die Krallen spreizte.
Der kleine Troll beschloss, sich schnellstmöglich zu verpissen, denn dieser Leu hatte anscheinend mehr als einen Sprung in seiner Schüssel. Gnorp gab Gas, sprang, sprintete los und wähnte sich in Sicherheit, als eine Löwenpfote durch das Holz wischte, ihn so hart traf, dass er sich wie eine Kugel zusammenkrümmte und wieder zum Löwen zurück kullerte, wo er tapsig von den riesenhaften Pfoten eingefangen wurde.
„Wen wir fangen, junger Troll“, und dabei senkte der Löwe seinen Kopf ganz nah zu Gnorp, fuhr eine Kralle aus, kitzelte den Troll damit unter dem Kinn und vollendete in samtenem, aber gefährlichem Ton, „der wird nur durch uns entlassen.“
Gnorp schluckte. Der Löwe hielt den Troll weiter mit der einen Pfote fest, während er sich zur Seite rollte und mit der anderen seinen Kopf aufstützte, nicht ohne zu vergessen, vorher lässig seine Mähne durchzuschütteln, was Gnorp mindestens affig, wenn nicht schwul fand. Aber bevor Gnorp derart lästern konnte, drückte der Löwe die Pfote etwas fester zu und sagte:
„Du schuldest uns noch mindestens eine Antwort. Also, von vorn: Wohin des Wegs?“
Kurz überlegte Gnorp, ob es Sinn hatte, zu demonstrieren oder zu protestieren, entschied sich aber schnell dafür, das Spielchen mitzuspielen.
„Ich höre!“, wiederholte der Löwe und erhöhte den Druck in seiner Pfote, so dass es Gnorp schon eng am Halse wurde.
„Nach Metrik“, presste er hervor und war froh, dass der Griff sich lockerte.
„So, so, nach Metrik. Du siehst mir aber gar nicht so aus, als gehörtest Du dort hin.“
„Ich bin ein Lybit“, antwortete Gnorp spontan.
Der Löwe hielt inne, hob eine Braue, fokussierte Gnorp mit dem anderen Auge wie mit einer Lupe und entließ den Troll plötzlich aus der Umklammerung. Befreit riss Gnorp seine Arme hoch, spreizte seine Finger und rief triumphierend: „Sieh selbst!“
Der Löwe blickte ihn an, zögerte, bewegte seine Augen nach rechts und dann nach links, zögerte wieder und flüsterte dann unschuldig: „Was denn? Deine große, tropfende Nase?“ „Nei-en!“, sagte Gnorp entrüstet und ruckte mit seinen Ärmchen vor und zurück, damit der Löwe ihm auf die Finger sähe, doch der erwiderte, als tappte er im Dunkeln: „Deine zotteligen Haare? Die schlechten Zähne? Oder gar Deinen knubbeligen Schwanz?“
„Meine Finger, du Arschloch!“, platzte es aus Gnorp. Die freundliche Miene des Löwen fror ein; nur die Krallen der Pfote, die nah bei Gnorp lag, spielten über seinen Rücken eine bedrohliche Tonleiter rauf und runter. Unvermittelt ließ der Löwe ab, presste seine Augen zusammen, als wolle er aus einem Traum erwachen, sich besinnen oder neu konzentrieren. In diesem Moment registrierte Gnorp die grünen Lachen und die schwarzen Gliedmaßen, die wahllos auf der immer heller werdenden Lichtung lagen. Diesen Troll hatte es böse auseinander gerissen, dachte Gnorp und wusste instinktiv, dass der Grund vor ihm lag und gerade beliebte, mit ihm zu spielen. Unwillkürlich musste Gnorp hörbar schlucken.
„Oh!“, sagte der Löwe, der, als er sich wieder auf sein Spielzeug konzentrierte, bemerkte, dass Gnorp verstört auf den am Boden verstreuten und verteilten Troll blickte und ergänzte, so als entschuldige er sich für ein Missgeschick : “Das war ein Versehen, junger Mann.“ „Massaker trifft es wohl eher“, antwortete Gnorp tonlos.
„Er sah so …, so lecker aus!“ Der Löwe sog die Luft tief ein und sein Blick verklärte sich. „Bislang haben wir nur Bonbons abgestaubt und eine leere Brottüte. Denn wenn überhaupt, hüpft hier nur ein Männlein mit einer Elefantenbüchse vorbei, dass sich selbst das Leben schwer macht, weil es viel zu große Klamotten trägt und dergestalt öfters über seine Gräten fliegt und flucht und sich ärgert und dabei ganz fürchterlich stinkt, weil es in irgend etwas hinein getreten ist, was es logischerweise nicht hat sehen können, weil ihm der viel zu große Schlapphut über die Augen gerutscht ist.“
Während der Löwe dies erzählte, grimassierte und parodierte er das Verhalten dieses Männleins und heischte verstohlen zu Gnorp, ob der sich auch amüsiere. Der aber war nicht zu Späßen aufgelegt, inmitten eines Trollblutbads.
Beleidigt, aber nicht wirklich aggressiv, fuhr der Löwe fort: „Ist ja auch ganz egal, nicht wahr? Aber das Männlein, es flucht, es stinkt und es brabbelt immer nur: Weil, weil, weil und Ach, was sollen wir Dir erzählen? So groß ist unser Hunger nicht, dass wir faule Ware fressen müssten, die auch noch Meilen gegen den Wind stinkt! Aber wenigstens verliert er durch sein Gehüpfe, Gemache und Gezeter immer ein paar Bonbons.“ Und wie aufs Stichwort hatte sich der Löwe einen Bonnschen aus dem Papier geschält, beiläufig in den Mund geschoben und wollte auch schon weiterplappern, als Gnorp ihn unterbrach: „Warum hast du ihn zerstückelt? Du hast ihn nicht gegessen, du hast ihn einfach so zerfetzt, als hättest du ihm Pampe verabreicht. Warum? Du bist kein Lybit!“
Der Löwe wollte antworten, musste aber erstmal das Bonbon hinunter würgen und signalisierte Gnorp mit kreisenden Bewegungen seiner Pranke, dass er gleich wieder gesprächsbereit sei. Dann stieß er fast entrüstet hervor: „Er sah aber aus wie ein Lybit!“, und machte dabei so große Augen, als läge darin die eigentliche Infamie und nicht in den verstreuten Gliedmaßen.
„Du bist echt widerlich“, konstatierte der Troll ohne Emotion, schüttelte angewidert seinen Kopf und stapfte von dannen. „Gnorp! Gnorp! Gnorp, renn nicht weg!“ Und während der Löwe Gnorp theatralisch anflehte, drehte einer seiner Pfoten, den kleinen Kerl wieder auf Kurs und schob ihn zurück. „Danke, dass du zurückgekommen bist, Gnorp“, schnaufte der Löwe. „Dein durchgetrennter und verstreuter Freund hier, begegnete mir wie ein Zauberspiegel. Ich sah ihn als Kirsche, als Beere, als Knospe und als Frucht, als Apfel und Birne, als süß und als sauer, als verlockend und gefährlich und als durchgebraten oder englisch. Und das nach all den Bonnschen! Ich musste einfach zubeißen!“
„Wohl bekomm’s, das war Metapher.“
„Ungenießbar trifft es eher. Wir haben den Kerl wie eine Nuss hochgeworfen, mit unserem Maul aufgefangen, ihn mit unseren Zähnen voller Erwartung eines crunchigen Geschmackserlebnis durchgeknackt,“ erzählte der Löwe und untersuchte seinen Rachenraum mit seiner Zunge nach weiteren Spuren, während er weiter sprach, „aber sobald diese grüne Suppe in den Rachenraum rann, mussten wir alles augenblicklich ausspucken.“, der Löwe schüttelte sich als erinnerte er sich gerade an den Geschmack, knipste gedankenverloren einen Ast ab und pulte sich in seinen Zähnen rum ohne sich zu unterbrechen: „Uns war, als drückte der stinkige Brei Gurgel und Nase zu, als platzte uns der Kopf, wir würgten, bis uns der Schweiß aus allen Poren drang und Fell und Mähne strähnig wurden. Es schmeckte so widerwärtig wie ein englisches Praliné und“, bevor er diesen Satz vollendete, hebelte er mit einem leichten Knacken einen Essensrest aus seinem Gebiss, der als Schädelplatte Metaphers, vor Gnorps Füßen landete. „was sollen wir Dir sagen, junger Mann? Wir fahren fertig. Durch. Es hat uns Stunden gekostet, das Fell wieder seidig glänzend zu bekommen. “
Gnorp war verzweifelt, denn der Löwe schwafelte und genoss es, einen Zuhörer zu haben ohne darauf Wert zu legen, ob der ihm nun zuhörte oder nicht. Gnorp war sein Gefangener und wenn der Löwe seiner überdrüssig war, würde er ihn vermutlich zerknacken, zusammenknüllen und wegschmeißen. Aber zum Ende des Vortrags, hatte Gnorp auf einmal eine Idee wie er diesem Vieh entrinnen könnte und gab sich interessierter als er war.
„Euer Fell sieht großartig aus und Eure Mähne sitzt prächtig.“, gab sich Gnorp beeindruckt und grinste innerlich, als er bemerkte wie der Leu wie auf Knopfdruck wohlig zu brummen begann.
„Schmeichler“, schnurrte die Wildkatze.
„Nein, es sieht toll aus. Ihr seht großartig aus: Eure Zähne glänzen und Eure Äugen scheinen lupenreiner als jeder Diamant.“, steigerte der junge Troll sein Lob und der Löwe, voll Verzückung, rollte sich einmal herum und seine Augen signalisierten dem Troll: Sprich weiter!
„Eure Muskeln – so wohl definiert wie das Metrum in einem Sonett, Eure Krallen - so scharf und glatt wie euer Verstand“, Gnorp hielt inne, denn er spürte, dass der Zeitpunkt gekommen war; der Leib des Löwen brummte dergestalt tief, dass Gnorps Haare zitterten und die Augen des Löwen fixierten ihn als seien seine Pupillen beschlagen „Aber!, aber“, fuhr Gnorp fort und der Löwe war schon beim ersten „Aber“ aufgeschreckt, hatte seine Augen aufgerissen und das Schnurren eingestellt und allen Mut zusammennehmend schloss Gnorp, „der Fleck an Eurer linken Wange sieht scheußlich aus.“
Der Unterkiefer des Löwen klappte augenblicklich nach unten und hatte die Mähne bis jetzt noch unter einer geheimnisvollen Spannkraft gestanden, so ließ diese augenblicklich nach und eine Topffrisur rahmte nun das wenig königliche Gesicht.
„Fleck?“, schluckte der Löwe und zitterte am ganzen Leib, während der Troll verlegen in die Luft schaute und hilflos mit den Schultern zuckte. Der Löwe wurde hektisch und wuschelte sich wie verrückt durch seine Mähne. Gnorp trat ein, zwei Schritte zurück und überlegte, Reißaus zu nehmen, als ein silbern glitzerndes und das Licht reflektierendes Dingen im hohen Bogen aus der Mähne des Löwen flog und unweit von ihm aufkam. Im Hintergrund hörte er den Löwen mehrfach „Wo ist es“ fluchen.
Gnorp war neugierig und trat heran. Das Ding hatte einen ebenso schmucklosen Stiel wie Rahmen und Gnorp erinnerte es an einen großen Löffel, aber es war nicht gewölbt oder gebogen sondern flach. Aber der Kopf des Löffels, der Kelle oder was es auch war, leuchtete seltsam. Magisch, fand Gnorp dieses Leuchten, tapste näher heran und beugte sein Gesicht herab, um es näher zu inspizieren. Unwillkürlich schrak Gnorp zurück, denn es war ihm als ob ein anderer Troll von ausgesuchter Hässlich- und Andersartigkeit, sich in diesem Moment von unten durch den Waldboden durch den Kopf dieser Kelle gebuddelt hätte. Bevor Gnorp einen zweiten Versuch wagen konnte, das Dingen zu inspizieren, schnipste eine Kralle des Löwen ihn fort.
„Mach es nicht kaputt!“, fauchte der Löwe leicht hysterisch, grabschte sich das Ding, hielt es sich vor sein Gesicht, tatschte seinen Kopf ab und flüsterte hektisch immerzu: „Wo?“
Gnorp hatte ein flaues Gefühl im Magen. Instinktiv wusste der kleine Kerl, wen er da gesehen hatte. Er hatte weniger Angst davor, dass der Löwe in diesem Ding entdeckte, dass es keinen Fleck, keine Warze gab und dahinter kam, dass ein hässlicher Kerl, der weder wie ein Troll geschweige wie ein Lybit aussah, ihn hinters Licht geführt hatte, nein, Gnorp hatte Gnorp gesehen und wusste nun, warum der Löwe mehr als stutzig geworden war, als er behauptet hatte ein Lybit zu sein und immer wieder seine drei Finger vorgereckt hatte. Gnorp spürte, dass es Gnorp weder so noch so geben würde und er ließ seinen Kopf hängen, drehte sich um und stapfte in den Wald.
Erwartungsgemäß kam er nicht sehr weit, denn mit zwei spitzen Krallen, fasste der Löwe Gnorp am Kopf, drehte ihn vorsichtig aber bestimmt herum.
„Ist es weg?“, fragte der Löwe ängstlich, schielte ohne unterlass zu Gnorp und lag mit der linken Gesichtshälfte ihm zugewandt auf dem Boden.
Gnorp war irritiert, denn der Löwe hätte in seinem Lichtlöffel doch sehen müssen, dass es keinen Fleck gab, dass es keines Gnorps bedarf, um sich zu vergewissern und dennoch lag er ihm zu Füßen. Traute der Löwe nicht dem was er sah? Durfte Gnorp dem trauen was er gesehen hatte? Weil Gnorp sich sicher war, dass er weder den Augen des Löwen, noch seinen eigenen, geschweige denn, dem Auge eines Löffels vertrauen konnte, sagte Gnorp nur, „Ja.“
„Wunderbar, ich stehe in Deiner Schuld.“, antwortete der Löwe, erhob sich postwendend, hatte wieder Spannkraft im Haar, inspizierte sich unentwegt im Licht des leuchtenden Löffels und war wie elektrisiert von sich selbst. „Schöne Zähne, hohe Wangenknochen, fleckenlos an jeder Stelle, glänzendes Fell – herrlich!“, schmeichelte er sich selbst in gutturalem Ton.
„Ich geh dann mal“, bemerkte Gnorp, drehte sich um und stapfte zum dritten Male davon.
„Gnorp!“, rief der Löwe hinter Gnorp her, bevor der, die erste Biegung erreicht hatte. Der Löwe unterließ es Gnorp mit Gewalt an seinem Weg zu hindern oder zu stoppen, falls der nicht wie gewünscht reagierte. „Gnorp!“, wiederholte der Löwe und Gnorp stoppte von selbst, drehte sich um und fragte aus relativ sicherem Abstand: „Was?“
„So kannst Du nicht nach Metrik, kleiner Mann!“, antwortete der Löwe bestimmt.
„Ich bin so gut ein Lybit, wie ich ein Troll bin und vielleicht gehe ich weder dort- noch dahin!“, rief Gnorp trotzig.
„Recht so.“, antwortete der Löwe, „aber für den Fall, dass Du nach Metrik gehst, empfehlen Wir Dir dieses Outfit.“, und dabei stülpte der Löwe Gnorp kurzerhand eine Brottüte über und schnitt ihm Schlitze für Arme, Nase und Augen aus. Das getan bemerkte er zufrieden: „Niemand, niemand sei er Troll, Lybit oder Leu, geht nach Metrik als er selbst.“
Gnorp fühlte sich eingeengt, traute dem Zauber der Brot-Tüte nicht und fragte: „Und warum?“ Der Löwe schmunzelte, legte seinen Kopf neben den von Gnorp, hielt sich und Gnorp das leuchtende Ding mit Stiel entgegen und lächelte.
Als Kalterersee seine Luke schloss, ging es auch für Gnorp nicht weiter. Schmerzhaft bohrte sich eine spitze Kralle durch seinen Schwanz und stoppte seinen Marsch nach Metrik. „Wohin des Wegs, kleiner Kerl?“, erschall eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit. Wenn Gnorp ein Troll-Gen geerbt hatte, dann war es Respektlosigkeit.
„Hieltest du mich nicht fest, du müsstest nicht so blöde fragen“, knurrte Gnorp und enthielt sich eines Schmerzensschreis.
„Oha wir haben einen gewitzten Kerl gefunden! Aber man versicherte uns, dass dies hier der Grüßkekswald ist und alle Wanderer, die sich hier begegnen sich ein fröhliches und ehrliches Hallo zurufen und sich vom Keks und der Welt erzählen und uns nicht Gegenfragen stellen.“ Während Gnorp dieses vernahm, versuchte er, den Schmerz zu vergessen und sich los zu reißen und wenn es ihn seinen Schwanz kostete. Seine Bemühungen schienen seinen Häscher nicht zu bekümmern, denn der fuhr ohne eine Pause im Pluralis Majestatis fort:
„Junger Mann! Wir lieben es, zu erzählen! Wir finden es großartig, wenn sich uns ein Ohr darreicht, dem wir alle Worte dieser Welt schenken können. Wir lieben es, schwärmerisch zu schnurren, schnurrend in die Schlüpfer aller Schlümpfe, scharwenzelnd zu chambrieren. Hm, das ist eine wohlige Wohltat, ein Fest und eine Freude. Ach, wir stehen gerne auf der Bühne, singen vom Licht bis spät in die Nacht und spreizen unsere Krallen erst, wenn unser Antlitz von der Morgensonne wieder illuminiert wird und die gefühlte Einsamkeit am größten ist.“
Gnorp hielt sich die Ohren zu, weil er das Gefasel nicht mehr aushalten konnte und registrierte nicht, wie die Kralle aus seinem Schwanz gezogen wurde. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er befreit und nur noch ein tiefes, wohliges Brummen zu vernehmen war. Vorsichtig äugte er in die Richtung, aus der das Brummen und die Stimmen gekommen waren und sah, eben noch über den Wipfeln des Waldes, den Kopf eines Löwen, angestrahlt von den ersten goldenen Strahlen der Morgensonne. Der Löwe schien es zu genießen, derart im Rampenlicht zu stehen und sich von der Sonne elektrisieren zu lassen. Er genoss es so sehr, dass er seine Pfoten und die Krallen spreizte.
Der kleine Troll beschloss, sich schnellstmöglich zu verpissen, denn dieser Leu hatte anscheinend mehr als einen Sprung in seiner Schüssel. Gnorp gab Gas, sprang, sprintete los und wähnte sich in Sicherheit, als eine Löwenpfote durch das Holz wischte, ihn so hart traf, dass er sich wie eine Kugel zusammenkrümmte und wieder zum Löwen zurück kullerte, wo er tapsig von den riesenhaften Pfoten eingefangen wurde.
„Wen wir fangen, junger Troll“, und dabei senkte der Löwe seinen Kopf ganz nah zu Gnorp, fuhr eine Kralle aus, kitzelte den Troll damit unter dem Kinn und vollendete in samtenem, aber gefährlichem Ton, „der wird nur durch uns entlassen.“
Gnorp schluckte. Der Löwe hielt den Troll weiter mit der einen Pfote fest, während er sich zur Seite rollte und mit der anderen seinen Kopf aufstützte, nicht ohne zu vergessen, vorher lässig seine Mähne durchzuschütteln, was Gnorp mindestens affig, wenn nicht schwul fand. Aber bevor Gnorp derart lästern konnte, drückte der Löwe die Pfote etwas fester zu und sagte:
„Du schuldest uns noch mindestens eine Antwort. Also, von vorn: Wohin des Wegs?“
Kurz überlegte Gnorp, ob es Sinn hatte, zu demonstrieren oder zu protestieren, entschied sich aber schnell dafür, das Spielchen mitzuspielen.
„Ich höre!“, wiederholte der Löwe und erhöhte den Druck in seiner Pfote, so dass es Gnorp schon eng am Halse wurde.
„Nach Metrik“, presste er hervor und war froh, dass der Griff sich lockerte.
„So, so, nach Metrik. Du siehst mir aber gar nicht so aus, als gehörtest Du dort hin.“
„Ich bin ein Lybit“, antwortete Gnorp spontan.
Der Löwe hielt inne, hob eine Braue, fokussierte Gnorp mit dem anderen Auge wie mit einer Lupe und entließ den Troll plötzlich aus der Umklammerung. Befreit riss Gnorp seine Arme hoch, spreizte seine Finger und rief triumphierend: „Sieh selbst!“
Der Löwe blickte ihn an, zögerte, bewegte seine Augen nach rechts und dann nach links, zögerte wieder und flüsterte dann unschuldig: „Was denn? Deine große, tropfende Nase?“ „Nei-en!“, sagte Gnorp entrüstet und ruckte mit seinen Ärmchen vor und zurück, damit der Löwe ihm auf die Finger sähe, doch der erwiderte, als tappte er im Dunkeln: „Deine zotteligen Haare? Die schlechten Zähne? Oder gar Deinen knubbeligen Schwanz?“
„Meine Finger, du Arschloch!“, platzte es aus Gnorp. Die freundliche Miene des Löwen fror ein; nur die Krallen der Pfote, die nah bei Gnorp lag, spielten über seinen Rücken eine bedrohliche Tonleiter rauf und runter. Unvermittelt ließ der Löwe ab, presste seine Augen zusammen, als wolle er aus einem Traum erwachen, sich besinnen oder neu konzentrieren. In diesem Moment registrierte Gnorp die grünen Lachen und die schwarzen Gliedmaßen, die wahllos auf der immer heller werdenden Lichtung lagen. Diesen Troll hatte es böse auseinander gerissen, dachte Gnorp und wusste instinktiv, dass der Grund vor ihm lag und gerade beliebte, mit ihm zu spielen. Unwillkürlich musste Gnorp hörbar schlucken.
„Oh!“, sagte der Löwe, der, als er sich wieder auf sein Spielzeug konzentrierte, bemerkte, dass Gnorp verstört auf den am Boden verstreuten und verteilten Troll blickte und ergänzte, so als entschuldige er sich für ein Missgeschick : “Das war ein Versehen, junger Mann.“ „Massaker trifft es wohl eher“, antwortete Gnorp tonlos.
„Er sah so …, so lecker aus!“ Der Löwe sog die Luft tief ein und sein Blick verklärte sich. „Bislang haben wir nur Bonbons abgestaubt und eine leere Brottüte. Denn wenn überhaupt, hüpft hier nur ein Männlein mit einer Elefantenbüchse vorbei, dass sich selbst das Leben schwer macht, weil es viel zu große Klamotten trägt und dergestalt öfters über seine Gräten fliegt und flucht und sich ärgert und dabei ganz fürchterlich stinkt, weil es in irgend etwas hinein getreten ist, was es logischerweise nicht hat sehen können, weil ihm der viel zu große Schlapphut über die Augen gerutscht ist.“
Während der Löwe dies erzählte, grimassierte und parodierte er das Verhalten dieses Männleins und heischte verstohlen zu Gnorp, ob der sich auch amüsiere. Der aber war nicht zu Späßen aufgelegt, inmitten eines Trollblutbads.
Beleidigt, aber nicht wirklich aggressiv, fuhr der Löwe fort: „Ist ja auch ganz egal, nicht wahr? Aber das Männlein, es flucht, es stinkt und es brabbelt immer nur: Weil, weil, weil und Ach, was sollen wir Dir erzählen? So groß ist unser Hunger nicht, dass wir faule Ware fressen müssten, die auch noch Meilen gegen den Wind stinkt! Aber wenigstens verliert er durch sein Gehüpfe, Gemache und Gezeter immer ein paar Bonbons.“ Und wie aufs Stichwort hatte sich der Löwe einen Bonnschen aus dem Papier geschält, beiläufig in den Mund geschoben und wollte auch schon weiterplappern, als Gnorp ihn unterbrach: „Warum hast du ihn zerstückelt? Du hast ihn nicht gegessen, du hast ihn einfach so zerfetzt, als hättest du ihm Pampe verabreicht. Warum? Du bist kein Lybit!“
Der Löwe wollte antworten, musste aber erstmal das Bonbon hinunter würgen und signalisierte Gnorp mit kreisenden Bewegungen seiner Pranke, dass er gleich wieder gesprächsbereit sei. Dann stieß er fast entrüstet hervor: „Er sah aber aus wie ein Lybit!“, und machte dabei so große Augen, als läge darin die eigentliche Infamie und nicht in den verstreuten Gliedmaßen.
„Du bist echt widerlich“, konstatierte der Troll ohne Emotion, schüttelte angewidert seinen Kopf und stapfte von dannen. „Gnorp! Gnorp! Gnorp, renn nicht weg!“ Und während der Löwe Gnorp theatralisch anflehte, drehte einer seiner Pfoten, den kleinen Kerl wieder auf Kurs und schob ihn zurück. „Danke, dass du zurückgekommen bist, Gnorp“, schnaufte der Löwe. „Dein durchgetrennter und verstreuter Freund hier, begegnete mir wie ein Zauberspiegel. Ich sah ihn als Kirsche, als Beere, als Knospe und als Frucht, als Apfel und Birne, als süß und als sauer, als verlockend und gefährlich und als durchgebraten oder englisch. Und das nach all den Bonnschen! Ich musste einfach zubeißen!“
„Wohl bekomm’s, das war Metapher.“
„Ungenießbar trifft es eher. Wir haben den Kerl wie eine Nuss hochgeworfen, mit unserem Maul aufgefangen, ihn mit unseren Zähnen voller Erwartung eines crunchigen Geschmackserlebnis durchgeknackt,“ erzählte der Löwe und untersuchte seinen Rachenraum mit seiner Zunge nach weiteren Spuren, während er weiter sprach, „aber sobald diese grüne Suppe in den Rachenraum rann, mussten wir alles augenblicklich ausspucken.“, der Löwe schüttelte sich als erinnerte er sich gerade an den Geschmack, knipste gedankenverloren einen Ast ab und pulte sich in seinen Zähnen rum ohne sich zu unterbrechen: „Uns war, als drückte der stinkige Brei Gurgel und Nase zu, als platzte uns der Kopf, wir würgten, bis uns der Schweiß aus allen Poren drang und Fell und Mähne strähnig wurden. Es schmeckte so widerwärtig wie ein englisches Praliné und“, bevor er diesen Satz vollendete, hebelte er mit einem leichten Knacken einen Essensrest aus seinem Gebiss, der als Schädelplatte Metaphers, vor Gnorps Füßen landete. „was sollen wir Dir sagen, junger Mann? Wir fahren fertig. Durch. Es hat uns Stunden gekostet, das Fell wieder seidig glänzend zu bekommen. “
Gnorp war verzweifelt, denn der Löwe schwafelte und genoss es, einen Zuhörer zu haben ohne darauf Wert zu legen, ob der ihm nun zuhörte oder nicht. Gnorp war sein Gefangener und wenn der Löwe seiner überdrüssig war, würde er ihn vermutlich zerknacken, zusammenknüllen und wegschmeißen. Aber zum Ende des Vortrags, hatte Gnorp auf einmal eine Idee wie er diesem Vieh entrinnen könnte und gab sich interessierter als er war.
„Euer Fell sieht großartig aus und Eure Mähne sitzt prächtig.“, gab sich Gnorp beeindruckt und grinste innerlich, als er bemerkte wie der Leu wie auf Knopfdruck wohlig zu brummen begann.
„Schmeichler“, schnurrte die Wildkatze.
„Nein, es sieht toll aus. Ihr seht großartig aus: Eure Zähne glänzen und Eure Äugen scheinen lupenreiner als jeder Diamant.“, steigerte der junge Troll sein Lob und der Löwe, voll Verzückung, rollte sich einmal herum und seine Augen signalisierten dem Troll: Sprich weiter!
„Eure Muskeln – so wohl definiert wie das Metrum in einem Sonett, Eure Krallen - so scharf und glatt wie euer Verstand“, Gnorp hielt inne, denn er spürte, dass der Zeitpunkt gekommen war; der Leib des Löwen brummte dergestalt tief, dass Gnorps Haare zitterten und die Augen des Löwen fixierten ihn als seien seine Pupillen beschlagen „Aber!, aber“, fuhr Gnorp fort und der Löwe war schon beim ersten „Aber“ aufgeschreckt, hatte seine Augen aufgerissen und das Schnurren eingestellt und allen Mut zusammennehmend schloss Gnorp, „der Fleck an Eurer linken Wange sieht scheußlich aus.“
Der Unterkiefer des Löwen klappte augenblicklich nach unten und hatte die Mähne bis jetzt noch unter einer geheimnisvollen Spannkraft gestanden, so ließ diese augenblicklich nach und eine Topffrisur rahmte nun das wenig königliche Gesicht.
„Fleck?“, schluckte der Löwe und zitterte am ganzen Leib, während der Troll verlegen in die Luft schaute und hilflos mit den Schultern zuckte. Der Löwe wurde hektisch und wuschelte sich wie verrückt durch seine Mähne. Gnorp trat ein, zwei Schritte zurück und überlegte, Reißaus zu nehmen, als ein silbern glitzerndes und das Licht reflektierendes Dingen im hohen Bogen aus der Mähne des Löwen flog und unweit von ihm aufkam. Im Hintergrund hörte er den Löwen mehrfach „Wo ist es“ fluchen.
Gnorp war neugierig und trat heran. Das Ding hatte einen ebenso schmucklosen Stiel wie Rahmen und Gnorp erinnerte es an einen großen Löffel, aber es war nicht gewölbt oder gebogen sondern flach. Aber der Kopf des Löffels, der Kelle oder was es auch war, leuchtete seltsam. Magisch, fand Gnorp dieses Leuchten, tapste näher heran und beugte sein Gesicht herab, um es näher zu inspizieren. Unwillkürlich schrak Gnorp zurück, denn es war ihm als ob ein anderer Troll von ausgesuchter Hässlich- und Andersartigkeit, sich in diesem Moment von unten durch den Waldboden durch den Kopf dieser Kelle gebuddelt hätte. Bevor Gnorp einen zweiten Versuch wagen konnte, das Dingen zu inspizieren, schnipste eine Kralle des Löwen ihn fort.
„Mach es nicht kaputt!“, fauchte der Löwe leicht hysterisch, grabschte sich das Ding, hielt es sich vor sein Gesicht, tatschte seinen Kopf ab und flüsterte hektisch immerzu: „Wo?“
Gnorp hatte ein flaues Gefühl im Magen. Instinktiv wusste der kleine Kerl, wen er da gesehen hatte. Er hatte weniger Angst davor, dass der Löwe in diesem Ding entdeckte, dass es keinen Fleck, keine Warze gab und dahinter kam, dass ein hässlicher Kerl, der weder wie ein Troll geschweige wie ein Lybit aussah, ihn hinters Licht geführt hatte, nein, Gnorp hatte Gnorp gesehen und wusste nun, warum der Löwe mehr als stutzig geworden war, als er behauptet hatte ein Lybit zu sein und immer wieder seine drei Finger vorgereckt hatte. Gnorp spürte, dass es Gnorp weder so noch so geben würde und er ließ seinen Kopf hängen, drehte sich um und stapfte in den Wald.
Erwartungsgemäß kam er nicht sehr weit, denn mit zwei spitzen Krallen, fasste der Löwe Gnorp am Kopf, drehte ihn vorsichtig aber bestimmt herum.
„Ist es weg?“, fragte der Löwe ängstlich, schielte ohne unterlass zu Gnorp und lag mit der linken Gesichtshälfte ihm zugewandt auf dem Boden.
Gnorp war irritiert, denn der Löwe hätte in seinem Lichtlöffel doch sehen müssen, dass es keinen Fleck gab, dass es keines Gnorps bedarf, um sich zu vergewissern und dennoch lag er ihm zu Füßen. Traute der Löwe nicht dem was er sah? Durfte Gnorp dem trauen was er gesehen hatte? Weil Gnorp sich sicher war, dass er weder den Augen des Löwen, noch seinen eigenen, geschweige denn, dem Auge eines Löffels vertrauen konnte, sagte Gnorp nur, „Ja.“
„Wunderbar, ich stehe in Deiner Schuld.“, antwortete der Löwe, erhob sich postwendend, hatte wieder Spannkraft im Haar, inspizierte sich unentwegt im Licht des leuchtenden Löffels und war wie elektrisiert von sich selbst. „Schöne Zähne, hohe Wangenknochen, fleckenlos an jeder Stelle, glänzendes Fell – herrlich!“, schmeichelte er sich selbst in gutturalem Ton.
„Ich geh dann mal“, bemerkte Gnorp, drehte sich um und stapfte zum dritten Male davon.
„Gnorp!“, rief der Löwe hinter Gnorp her, bevor der, die erste Biegung erreicht hatte. Der Löwe unterließ es Gnorp mit Gewalt an seinem Weg zu hindern oder zu stoppen, falls der nicht wie gewünscht reagierte. „Gnorp!“, wiederholte der Löwe und Gnorp stoppte von selbst, drehte sich um und fragte aus relativ sicherem Abstand: „Was?“
„So kannst Du nicht nach Metrik, kleiner Mann!“, antwortete der Löwe bestimmt.
„Ich bin so gut ein Lybit, wie ich ein Troll bin und vielleicht gehe ich weder dort- noch dahin!“, rief Gnorp trotzig.
„Recht so.“, antwortete der Löwe, „aber für den Fall, dass Du nach Metrik gehst, empfehlen Wir Dir dieses Outfit.“, und dabei stülpte der Löwe Gnorp kurzerhand eine Brottüte über und schnitt ihm Schlitze für Arme, Nase und Augen aus. Das getan bemerkte er zufrieden: „Niemand, niemand sei er Troll, Lybit oder Leu, geht nach Metrik als er selbst.“
Gnorp fühlte sich eingeengt, traute dem Zauber der Brot-Tüte nicht und fragte: „Und warum?“ Der Löwe schmunzelte, legte seinen Kopf neben den von Gnorp, hielt sich und Gnorp das leuchtende Ding mit Stiel entgegen und lächelte.