Von schöner Seele

Text

von  Akzidenz

[..]

Es ist aber doch wundersam,
dass noch die allerherrlichsten Dinge
im Schwange dieser Welt sich ringeln . .

Und, Sie werden es konzedieren müssen, wie sehr doch immer ein Gran von Fehlbarkeit an jeder Ihrer Schriften nagt, die jene Ihrer Fingerfertigkeit erneut zum Plane ruft, kraft derer man sie über Himmel und Hölle sinnieren hört. Ineins sei Ihnen geraten, uns nicht jene Himmlischkeit noch zu verschweigen, von der sie so viel sagen ohne jemals auf den Grund zu gehen, viel Geheimkult daraus machen; nicht zu schweigen von den Widersachern, die bei Ihnen alles äußerst kunstvoll sehen. Das macht mich beinahe glauben, sie gäben sich über die Schurken weitmehr Müh als über die Guten. Es fällt so viel leichter ein jedes Wort über den Schmerz als ein Lob an alles Glück der Welt. Jedenfalls, Ich habe die Suderanten ellenlange Sätze über ihren Gram sprechen gehört. Man kann über das Schreiben behaupten, was man will; doch dass es Ihnen anstelle von Motiven an zu viel an Spitzfindigkeit mangelt, das will mal behauptet sein! Man muss vernarrt sein in die Treue, die Klügelei über die Phänomene, die den Schreiber zur Berauschung bringt.

Ihr Duktus scheint sich nichtsdestoweniger darauf zu begöschen, mit geringerem Zweifel anzuschicken, die Brutalitäten und Gewalten zu vermeiden, die eine Tat so glaubhaft machen, als hätte man sie selbst begangen. Wir unterscheiden daher alle Morde und detailieren sie für das Präjudiz. Man muss das Haupt des Täters perpetrieren, die Beweislage einpökeln, den Geruch des Tatorts finden, bis der Geruch am Täter selbst zu finden- und letzthin zu überführen ist. Noch mehr als Gipfelstümerei, Weitschwimmer und Hochflieger, kommt die Dokumentation eines Verbrechens dieser Diligenz am nächsten: man rekonstruiert das Geschehen mit dieser redlichen Gerichtbarkeit, wie nur Menschen sie empfinden können, denen alles Blutvolle einer Beleidigung gleichkommt, und welche sie wird wissen lassen, dass die Menschen sterben können. Denn, sagen Sie nicht, man begegne jedem Menschen so, als könne er nicht sterben? Mir geht es auch darum, all ihr Blut zu sehen. Mir geht es vor allem darum.

Was käme es ihrer Anmut denn zuschanden, mehr als nötig, mehr als denkbar, mehr als totenbleich von sich zu geben? Sie schreiben über die Natur, ohne selbst bei ihr zu sein. Gerade auch, wie dass sie schon von Dingen sprechen, über die wir uns nichts einzutäuschen hätten, ein Indemostrables, das nur jenseitig der Tötung, ihren ganze Hals verschleiert hätte, würden wir nicht allzu gern das Herzhafte, die Gerinnung einer Bluttat beiseitelegen dürfen, oder jenseitig der Wandersfreunde, auf die wir im Gebirge stoßen, ihre ontischen Motive, weil sie abseits ihrer actio stehen? Und so verdenken wir den Hals darüber.

Es ist eine Viktomologie.
Wundersam ist noch dazu, dass wir kaum zu unterscheiden lernen;
diese Befindlichkeit, dass wir Jedermann sein Vorrecht einräumen,
überhaupt irgendwo bei der Tat zu sein. Sehen sie nicht den Aktionismus?
Sie täuschen mir das Lesen vor.

Wir wissen, wie gemütsarm man die unsägliche Armut
der Schlagzeilencharactere, der statarischen Lektüre,
der Formalbücher, Formalsätze, gegen die vermeintliche Einfalt
einer Notiz oder eines armen Suchtgedichts der Nacht ausspielt,
bloß weil wir die überheblicheren Bücher dagegen abzuwiegen glauben.
Ich kenne einen Schriftsteller, der seine liturgischen Phantasien
auf dieserart Notaten ausreizt; ein lyresk beschriftetes Papier,
auf dem die Zutaten zu finden sind, die er zu kaufen sich heut vorgenommen.

Sie werden hinkünftig noch zu den Gestalten einkehren müssen, die sie sich erfunden haben. Denn nichts ist jämmerlicher als ein Mörder, der der Velleïtät verfällt und seine Bluttaten mit Faulheit schluckt. Das meine Ich nur romanesk. Alle solche Taten liegen jenseits ihrer Absicht. Man muss sich um die Toten kümmern, ebenso wie um die Neugeborenen. Ein Verbrechen oder ein Vorhaben jeglicher Art, welches mancher Mühe nachsucht, bedarf zuvörderst nicht der Mühe selber, sondern einer Gründlichkeit, die aus dem Herzen selber komme - alles Übrige liegt jenseits der Gedichte, jenseits Euterpe.

Das sind aber keine Streitpunkte.
Streitpunkt ist, dass Ich nicht es nicht vermeiden kann,
Ihnen die Natürlichkeiten zu verderben.

Denn die Epiphonema sind die Küsse der Lettern.
Ein schönes Gesicht, mit einer wundervollen Zunge darin:
woraus diese Art Natur besteht, dass sie sich hebt und regen kann.

Der Anstifter ihres Feuers, und dass sie sich Gesichter einbilden,
zu jedem Wort, dem ein Begriff fehlt - oder Orte: dass sie sich Orte einbilden
zu jeder Stadt, welcher Pfützen und Gebüsche fehlen, dass - um es lückenloser vielleicht zu sagen - ein Text nie alle Dinge aussagt, das ist nur ihre Trägheit selber.

Es liegt doch einzig seiner selbst zu Grunde.
Und dieser Grund steigt in die Höhe mit den Wägbarkeiten,
noch mehr, dass wir, genähert an dieselben, uns den silbernen Staub,
den die Texte hinterlassen, die Imponderabilien, also alle jene Teile von
den Texten, über die wir nichts genauer sagen, zu ihren eigentlichen und wesentlichen Ursprüngen zusammenzurechnen haben - oder dass wir sie in anderen Stücken oder Briefen finden, die dem Schrifsteller zueigen sind,
liegt ihm zu Grunde . .

Genau genommen sind das alles Phantasien -
und die gehören niemand anderem als dem Schreiber - und dass er ja zum Umgriff kam! Und könnte Ich Ihnen doch nennen, was Aphasíe und Traum gebar, Ich würde der Lebens nicht mehr froh - und die Sprache wäre sehr enttäuscht, vielleicht sogar, und Gott behüte, ein etwas Unnützes davon.

Nunmehr ist aber jene Qualität dieser denkerischen Notwendigkeit
- eine göttliche Emanation der Sprache - eine ebenso notwendige Folge
jedes Textes für sich; dass er sich genauer nimmt, wonach er andere Dinge übriglässt, und dass ein Brief erst damit anfängt, wenn man weiß, er hat Heimat.

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