Pasithee oder Traum

Text

von  Akzidenz

Mir wurde ein schwerer verschwommener Traum zuteil, Freund;

Ich befand mich mit uns bekannter, aber gesichtsloser Riege auf einer Jugendreise durch kroatisch felsig maritime Welten. Wir fanden uns an einem lagunenhaft weißblendenden aber von vulkanischen Felsen durchbrochenen Strande wieder, welcher teils von Tunneln zum Strandufer durchsäumte Gänge, dann aber wieder den träumerischen Blick auf sonnenerhellte Sandplätze freigab. Hier jedoch ergaben sich vier oder fünf größere schaumig ölig wallende grünschwarz geysirhafte Blasen, die unsere Gruppe zu dem einhelligen Vergnügen einluden, immer wieder durch eine hautähnliche Öffnung in sie hineinzusteigen, bis die Blase schwoll und einer Fontäne gleich mit einem Menschen im Inneren zerplatzte, sodass erfrischend kaltes Wasser aus ihr hervorströmte. Sie ähnelten dabei dunklen U-Boot-Fenstern oder Glaskuppeln, hinter denen sich ein Mensch abzeichnet.
Als ich mich nächstens dann krabbenhaft aus einer dunkel kühlen Grube im Sande hervorschälte, die einer Kinderhöhle aus Decken, einer dem Sommerwetter unzuträglichen Schwitzstube glich, sah ich euch am Ende einer Felsspalte wieder, die zugleich hellblaues Meeresufer war. An einem natürlich sandig bewässerten Rinnsal entlang zu euch, befiel mich Hast, bis mir unwirklich nahe Dein sprechendes Gesicht wie das eines Scharfrichters erschien: „Ich verachte Dich, Du Schwein!“
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In landhausähnlicher exotischer Weite, wie wenn einer über Wiesen bis zu einer fremden Bauernhausherberge schreitet, die er, sobald er eintritt, mit dem Gefühl bezieht, sie schon morgen nach langer ferienhafter Zeit wieder verlassen zu müssen, um abgemüht ein Reisemittel, wie etwa einen traurigen Bus oder ein Flugzeug zu erreichen, verschlang sich die Eindringlichkeit Deiner Worte: denn ich hätte mich bei einer nahezu pornographischen Orgie mit zweifelhaften Frauen filmen lassen, die uns innerlich verhasst waren - unter denen jedoch eine, wie es im Traum erinnert schien, von uns aus einem kalkig verkrusteten Muschelbett am Strande ausgegraben wurde. Ein „Fundstück“, welches nur Du und ich in kindlicher Heimlichkeit und verschwörerischer Archäologie in einer stillen Ecke des Strandes aus dem Sandreich hoben und mit jungenhaft gieriger Vorsicht, diese Art Figur nicht zu zerbrechen, schlecht versteckt an einer Seite des Ortes betteten. Etwas, was dem Verbotenen aber allzu Schützenswertem aus einer Kindheit ähnelt, das einer mit preziösem aber zerbrechendem Glück vor den Eltern zu verbergen sucht, wenn auch die Vorahnung längst enthalten zu sein scheint, dass es verloren sein wird.
Nutzlos und verbrannt schien jetzt alle jungenhafte Zufriedenheit zwischen uns, gewalttätig all der heimlich abgemachte und nervöse Stolz: denn nun glich sie, unsere gefundene Figur, einer Schande, und es tat Dein Richtspruch jede Schuld, die ein Mensch zu fühlen vermag, meinem Kindergesicht an.

Ich erwachte.


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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (09.02.23, 13:53)
Spannend. Der/die Autor*in schält den Sinn des Traumes im Text ab. 
Grundsätzlich würde ich ein Fehlverhalten schätzen, das vorrangig dem Hedonismus zuzuschreiben ist. Jenes Wälzen am Strand, im Geysir, das Spass bereitet, wird mit der Verhöhnung „Ich verachte Dich, Du Schwein“ abgelehnt. Wälzen im Schlamm, gleichwohl es Spaß macht, erfährt nur ein Schwein. Als Schwein wird ebenfalls ein egoistischer Mensch beschimpft, dem sein Ego über allem geht. Der Mensch frönt dem Solipsismus, da er nur sich selbst als den Mittelpunkt des Universums anerkennt. 

Der Strand, aber auch die grünen Wiesen, das Meer und die Hütte zeichnen eine fruchtbare Seelenlandschaft. Allein dies reicht nicht aus, um etwas Besonderes dazustellen. Es muss etwas „persönliches“ vergraben werden. Die „Figur“, die vergraben im Strand war, wurde von beiden ausgegraben. Die weibliche Figur scheint ein „Fund“ zu sein, eine Erkenntnis der eigenen „lesbischen Seite“, die immer in der Person schlummerte? 
Wird der Träumende hier mit seinen männlichen Anteilen, die das weibliche an anderen Personen mögen, konfrontiert? „Du Schwein! Ich verachte dich“ könnte für einen Imperialsten stehen, der die traditionellen Geschlechterrollen verteidigt. Die tote Figur im Sand spricht auch dafür, dass diese latente Zuneigung zu Frauen nie wirklich lebendig war. Allerdings sei zu erwähnen, dass „Beide“ die Figur ausgraben. Demnach dürften vorangegangene Gespräche über das Thema geführt worden sein. Das Wälzen mit nackten Frauen könnte für eine Wunschvorstellung stehen. Die tote Figur der Frau soll lebendig werden. Es wird das Ausleben einer lesbischen Empfindung angestrebt, ein Vorgefühl geschaffen, wie es denn mit Frauen sein/werden könnte. 

Eine kritische Stimme im Traum lehnt diese Wünsche ab. Die Figur aus dem Sand wird wieder versteckt. Die lesbische Ader wird unterdrückt.

 Akzidenz meinte dazu am 09.02.23 um 14:30:
Vielen Dank für die analytisch bisexuellen Betrachtungen. Oder überhaupt: fürs Lesen.

Müsste ich es sexualisieren, müsste ich meine männliche Heterosexualität schon verteidigen wollen.

 AlmaMarieSchneider (09.02.23, 15:44)
In diesem Traum steckt viel Verborgenes. Sehr gerne gelesen und gut geschrieben.

Liebe Grüße
Alma Marie

 Akzidenz antwortete darauf am 09.02.23 um 21:36:
Recht herzlichen Dank, Alma Marie.
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