Mortua dulce cano

Liebesbrief

von  Akzidenz

Über die Klaviermusik

Nichts Schöneres an einem Klavier, als den jungen Zoltán Kocsis habe Ich je gesehen (,noch gehört). Ich möchte nicht sagen, Kinder, Zöglinge, die etwas Geheimes, ja noch Hochgewagtes am Klavier vorhaben, gehörten sich nicht, es gehört sich nur nicht die Vergeilung. Es gibt Pianisten, von deren Leben an nichts Gnadenvolleres bestimmt sein kann, als sich dem höheren Erlasse ihrer Musikgeber zu beugen. Man beachte Glenn Gould: Bach spielt er wie ausgedacht, doch Komponieren ist etwas anderes.

Hat man die Selbsterziehung je verstanden! Man hat sie missverstanden, wie die Kunst! Denn die Kunst erleidet dieser Zeit eine schwere Notalgie, was denn ihr Rückgrat zur Halsstarrigkeit gemacht hat, denn man geht so halbherzig, ja so verlegen mit ihr um, als ob sie äußerst einfach wäre. So sollte man auch der Musik ihre Urnacht zurückgeben! Und in die Häuser soll sie wieder einkehren, die Klaviermusik, die Zyklen, die Opera, die Tiefen und Weiten: Mussorgsky, Rachmaninoff, die Russen, die Franzosen. Wo je auch nur im Entferntesten daran gedacht wurde, den spürbaren Leichtsinn, die Spaßhaftigkeit, die Untreue dieser tantalidischen Kunst zu rächen, so wurde Scherbengericht daran getrieben und leichtfertig gemacht mit erhöhten Anagogen, bis die Ankläger verschwunden sind. Das gilt vor allem für die schwere Mensur, die sich zwischen Epigonen und Epochenmachern abspielt. Sezession; wer sich an dieses Gericht gewöhnt, gewöhnt sich gleichfalls an den Vorwurf! Die Stilisierung - dieser Kunst-Zirkel! Keine Frage, dass mit dem Gericht nicht nur die erste- sondern anwendbare Moral auf den Menschen zurückfiel! zerschellte, verletzte, übelnahm, Übel überhaupt bekanntgemacht hat. Wenn wir diesen Calculus, diesen moralischen Rechenstein auf die Musik anwenden, so sehen wir eigentlich nur die ethische, die öffentliche, die vorwurfsvolle Musik! Diese und die namhafte, die sich zweiter- wie ersterhand nicht recht viel anhaben, sind aber das eigentliche Los jeder Erkennbarkeit von benannter, von ruchbarer Musik. Ich komme nicht umhin zu sagen, dass mir auch hier der Liebhaber nicht fehlt, eine deutliche, proprietärere Moral auf die Musik, und  noch Wichtigeres gewählt zu haben: eine Moral, die sich, bei geringerem Zweifel, nämlich nur noch auf sich selbst versteht, hätte keine Predigt nötig. Die Musik muss noch mordslustig, um Blut auszukörpern! Müsste Ich den Zwist abkönnen, der sich, wenn wir Kunst versuchen, mit den bereits bestehenden, den Altvorderen der Kunst verträgt, müsste Ich gleichfalls zu bezweifeln lernen; woher kommt dieses Milieu? ihre vorgebliche Kallipädie? Ihre Selbstbegrenzung! Denn wenn es hart auf hart, ja Kunst auf Kunst kommt, verleugnen sie den ganzen Menschen! Ich rekurriere hier auf den Russen Brener, oder die, die freilich nicht amusisch waren, auf den größten Vorwurf von Kunst zu laxieren. Die Gesellschaft, die aus ihr gebiert: die Matinee, die Vernissage, das Redoute, (die Vorhallen), die Interessierten. Wie auch der Vorwurf hier beliebt, was veranlasst es in den Leuten, eine elegische Musik so viel leiser, so viel kleiner, so viel vorsichtiger als die lautstarke zu spielen? Das ist gar keinem Ernste von Musik zu messen; das ist die eigentliche Gierde nach ihrem Affekte! Und was Ausstellung, was Gebahren, ja Verträglichkeit der Kunst angeht, so kennt man auch davon gemäßigte Bilder, Entschädigungen aus Mangel von gefährlicher und kranker Gesellschaft. Das ist kein vis-a-vis mit der Musik, keine Schwierigkeit der Kunst zu zweit, der apollinischen, geheimen Kunst, die mit mehr als zwei Mann nicht zurechtkommt, denn sie versteht sich am Reichtum der Kunst selbst, keine Gaunerei daraus zu machen -  und das gilt dem Reichtum des Klaviers gleichfalls, so wie wir einen Rechenstein auch auf nichts anderes, als auf die erste Mathematik anwenden.

Die Farben der Musik sind begrenzt: so viel Ich auch dagegen einzuwenden glaube, so viel philharmonisches, angehörtes, zartfühlendes Geschlecht; Ich höre aus der Gegenwart großes acharnement, die größten Fehler, die pandorischste aller Pieriden erklingen, wenn man versucht ist, Musik zu machen. Wie alles andere hat die Musik ein griechisches Schicksal. Und wenn Ich wie alles andere meine, das irgends Schicksal scheint zu fordern, so meine Ich eigentlich nur psychḗ! Die apokalyptische Seele, die selbstzweiflerische Musik! Sie dreht sich zu oft nach sich selbst um - in Altgewohntem, comme il faut, ja den Gerechten wirft sie Blicke zu, und treibt ihr Spiel ad populum, nämlich eine ganze Sozialmusik; sie mag es mitunter, dabei gesehen zu werden. Und was erhebt's mich, auch das zu wissen, das zu verkraften! Ich erinnere mich an die eine oder andere tragische Stimme: nicht nur sie wurde mir von gleisnerischen Musikanten eingeredet, auf konzertantem Gelände, von so viel vorgeblicher Libertinage, dass man sich nicht mehr recht hat an den Kopf fassen können, ohne dabei noch unziemliche Beachtung zu finden. Einige Schritte  hatte es nötig, den Berg von oben zu sehen; dort, wo der Berg nicht Berg sondern zur Aussicht wird! Ebenda möchte Ich die Musik, imgleichen das Klavier stehen wissen. Ich halte Ansprüche der Selbstliebe, der göttlichen Kräfte darauf. Denn an Musik habe Ich nicht viel: Debussy, Satie, Khachaturian - resoluteren Genossen fällt etwas wie Rachmaninoff zu: man muss sie e r t r a g e n können, und nicht, wie wohl geglaubt, genießen. Diese Regel ist aber auch das unziemlichste Gleichnis idem per idem: man beteuert das Erlaubte und versilbert das Vergangene, volkstümliche Karikaturen, bach'sche Brandstifter, Satyrspiele, Verliebte: bloß wollt ihr Aufstieg scheinen sehen! Zum Schluss enden sie immer harmlos: in Stille, Totem, vielleicht Verwundung, ihre Läson. Liegt hierin die Kunst bloßer Musik? Verdauen? Verschmerzen? Begeistern. Man gedenkt den Toten häufiger denn Lebenden. Und die tote Liebe ist eine bare Freundschaft dieser Hyperbel. Es ist etwas Schauerhaftes, Gebliebenes an unserer Klassik. Nicht zu selten steckt ein Toter darin; er weicht die große Derbheit auf. Groß und nemoral wirkt der Wolf und wirkt Prokofiev. Mit rezentem Gewissen, mit Tod umzugehen lernen, die distans, mit der wir Wald und Feld besuchen; ein Gestorbenes, das wieder glücklich wird: denn das ist ganz die ars vivendi, die ganze Vita der Musik, die der Liebenden -- nicht bloß Stille erklären, sondern tragieren, nicht bloß Nichts, sondern Etwas; und immer sieht da was nach hinten, diese Anaklastis. In der Gegenwart hat man das Tote imitiert, gemimt, eine Silhouette vorgeworfen, die dieser Stille, der V e r e w i g u n g wahrzuhaben nötig, schwachglühend, zugeneigt doch nichts als Kriminalliteratur und Doxographien in seinem Innern zu begraben hatte: das macht uns gut-gläubig, es mit nichts Neuem mehr zu tun zu kriegen. Nicht weniger als Tod und Ursache - und Wald - hat auch die Tatsache nichts in der Musik verloren; man möchte sich nicht ausmalen, wie ennuyant, wie ärgerlich, wie einseitig ein Ohr mit Tatsachen, mit Wäldern haushält! Welche eine säuerliche Reiberei! Ihr vielzähliges Verführen, ihr Achtloses an sich selbst, an der Euterpe, an den Funken, macht viel Totenkult daraus - das ist ihr Kreuz!

Man muss mit diesem Fanal zu verschmerzen lernen. Dies Zerrbild
musischer Kunst. Ich kenne kein wahrhaft Schmerzhafteres als ewig Gleichklingende und Forten a la mode. Es barmt darin die ganze Not, die uns unterm Vorbehalte der Kadenz erreicht, nur faule Ohren zu beschleichen und sich im Götzenbilde der Agnaten zu umgeben; in Besonderung der ubiquitären Musik - schlechterdings eine sehr pieridische Gebärde - können wir hier die Progenitur, den ganzen Nachlass der Manieriertheit allemal besprochen wissen: Nur ein seltener Komponist von heute mag dem leidsamen Dankesspruch der Schulmusik, dem Verwandt-, ja dem Getröstetsein, dem Gerötetsein mit den Akkorden dieser süßlichen Enstasis zu neuem Absprunge verholfen haben, das Sublimat seiner musikalischen Gier kultivieren zu können, Permutationen der verwöhnlichen Musik, das heißt Mischungen mit Beispiel zu betreiben! Ich sage es noch mal, Ich erkenne die insich zweifelnde Musik! Wo sie Abgrund hat, da ist kene Aufschwung mehr! Keine Narration. Die stimmungshaften Mienenspiele ihrer Vorleger, die spagirischen, medikamentösen Auflösungen des Tones, der Enharmonik, das Vertonbare zu rezipieren, zu behaupten, was gehört werden will - dies ist die Schmach jeder verkäuflichen Musik, der affizierten Musik, der stimmungsmacherischen Musik. Sie vertonen den Schwindel und machen mir gutmütige Blick  - man vermeidet ihren Höhepunkt. Diese Epigonen sind zu selten in das Klavier gestiegen und waren zu selten allein mit sich und ihrer Musik. Es ist keine Wendung mehr darin zu sehen, kein Wunder -- dass uns dieses pausenlose Simulakrum entweder an neue Töne oder neue Sprachen zu gewöhnen hatte. Neue Musik. Wenn Sie mich fragen, ist das ein Pyrrhussieg. Eine Fälschung am Schlag, an der Handwerkernatur der Ohren. Man wird den komplizierten Einfluss Webers, Schenkers, Grundtöner, Aufbläser, Zwolftönler, Komplizen der Harmonie nicht vergessen; umso schwerer von einem labenden Gehör abtreiben können. Es ist zweifellos so sehr geschwängert davon, dass Ich die Stimme Gottes nicht ertragen würde, käme sie mir bald durchs Fenster; diese Musik ist derart physiologisch. Ich muss mich hüten, ihr zu misstrauen. Es wäre ein Versuch des ungelahrten Willens, keine Sprache mehr zu sprechen. Es wäre sogar - und das ist fraglich - gar keine Wille da mehr übrig. Es scheint, dass die Musik wenigstens ad hominem, die harmonische Musik, ihr eigentliches Soll geleistet hat. Man merkt noch heute etwas Ekel - etwas mehr - auf gewöhnliche Logen wirken: wie denaturiert sich ihnen eine Viertelton-Musik aufspielt; sie steigt in die Schläfe. Nicht zu schweigen von der mikrotonalen Musik; man mahnt krähenhafte Muskeln im Ohre, und ganz ohrenförmig kommt es dann heraus aus härenen Zungen und überhaupt nicht ziemenden Gesichtern. Sie wähnen die Kante. Sie wagen sich nichts.

Denn was ist die Wahrheit solcher Musik? Dass sie nicht gehört werden will!
Mir scheint hierauf die Gesamtheit aller intagibleren Naturen zu sitzen;
Naturen, Atavismen, Mollusken unseres neuen Alters. Woher kommt die
neue, unangenehm schwere Lage der Komponisten von heute, der Weltverdreher, der Tastentachinierer? Sind so unberrückt von den geheimen Spiegeln, jene konkaven Wallungen, jene stillstehenden Klänge, denen Rachmaninoff und Elgar fröhlich quieszierend ihren neuen Ton verabreicht haben; denn ihr Zunder hatte Ruhe, zu zünden. Es muss jenes Nichtsein von Blicken und Ziegen, Ägophonien gewesen sein, die Laute in der Ruhe, die Leier in den Ästen, das oben von unten, das Licht von Dunklem zu erfinden. Wenn man draußen in der Erde gräbt, kann man die Dunkelheit Blut machen sehen. Und wenn man auch im Ohre gräbt . . !

Ist, werte Genießer, der Genius des Klaviers nicht vielgeleugnet?
Etwa viel mehr der Kunst als göttlicher Kraft versonnen?
- was hat denn die Hinkunft, fragen wir es hoffnungsfreudig, was hat die Klaviermusik ineins bewiesen? Dass jede Hand darauf zu singen vermag . .  durch Holz und Stahl und kleine Hämmer!


Anmerkung von Akzidenz:

Schauen Sie da
. . mit verschränkten Armen.
Und Ich frage: hat hier keiner Gott gesehen
(, noch gehört)?


http://www.youtube.com/watch?v=JHPed9rhoOY

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