Der Kobold, der seinem Gehirn nicht traute...

Skizze zum Thema Sinn/ Sinnlosigkeit

von  Muuuzi

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein Kobold, der seinem Gehirn nicht und nicht trauen wollte. Warum eigentlich? Der Kobold war doch klug. Er war hochgebildet und schon sehr alt und weise. Doch irgendwelche heimtückischen Fragen durchbohrten plötzlich seinen greisen Schädel und hörten nicht auf zu schreien. Er fühlte sich in seiner unaufgeräumten Idylle belästigt und fing an, die Schreie nicht weiter zu ignorieren.
Seine stinkenden Füße ließ er über die kakaobraune Theke gleiten, als er sich entschloss, darüber nachzugrübeln. Ruckzuck kam er auf den schleimigen Boden seines Wohnzimmers auf und trippelte so schnell wie möglich in seine Badewanne, die aus Hummerkuchen bestand. Dort konnte er die besten klaren Gedanken fassen.
Er dachte also nach. Warum plötzlich, konnte er seinem Gehirn nicht mehr trauen?
Was ist, wenn es die Wirklichkeit gar nicht gibt? Was ist, wenn alles nur ein Schein ist. Das Werk einer Manipulation, die schon so früh einsetzte, dass er sie nicht bemerkte.
Er schlug ein Buch auf, das auf einem Regal über seiner Badewanne, fest angebunden war. Nur mit Mühe brachte er es auf, da es gerade wieder sehr unfreundlich war. Dieses Buch war immer sehr schlecht gelaunt und der Kobold verabscheute es im Grunde. Doch heute nicht… Heute brauchte er es für seine philosophischen Studien.
Er suchte interessiert die Seite, doch das Buch ließ ihm keinen allzu großen Freiraum, denn es fing sofort an zu knurren und verdeckte mit seinen Händen jene Buchstaben der Seiten. Es war nämlich manchmal auch außergewöhnlich mit Scham behaftet.
Er fing an, das Buch zu kitzeln und sofort verfiel es in einen ziemlich argen Lachkrampf.
„Geht doch!“, sagte er zu sich.
„Nun beantworte mir doch meine Fragen, du Kotzbrocken!“, sagte der Kobold liebevoll zu seinem Buch.
Die Blubber in seiner Badewanne furzten und rülpsten genau nach seinem Geschmack. Mittlerweile war das Hummerkuchenbad schon ganz braun und warm von den heißen Körperdämpfen, die die Tiere von sich gaben.
„Bin ich, ich, wenn ich einen anderen Körper habe?“
„Bin ich, ich, wenn ich ein anderes Gesicht habe?“
„Bin ich, ich, wenn ich andere Eltern hätte?“
„Bin ich, ich, wenn ich andere Namen hätte?“
„Bin ich, ich, wenn ich andere Erfahrungen hätte?“
„Bin ich, ich, wenn ich in einer anderen Zeit leben würde?“
„Bin ich, ich, wenn ich woanders leben würde?“, fragte das Buch.
„Ich wollte doch die Antworten auf meine Fragen bekommen!“, knurrte der Kobold zuckersüß. „Nicht weitere dämliche Fragen, die ich nicht weiß!“
„Stell dir zunächst diese Fragen, dann bist du auf dem Weg der Einsicht!“, meckerte das Buch.
„Aber…!“
Das Buch gähnte herzhaft, furzte ausgelassen und schlug sich automatisch zu. Dann gab es nur noch ein lautes, widerliches Schnarchen von sich.
„Ich bin, also fühle ich. Ich denke, also existiere ich. Ich fühle, also bin ich.“, sagte er zu sich, als er sich seinen kotzgelben Bauch mit Dreck eincremte.  Er hat bereits neue Warzen an seinen Füßen bekommen. Er hat sich jahrelang dafür bemüht und war nun sichtlich stolz darauf.
„Doch was ist, wenn mein Geist mich nur täuscht?“
Er dachte weiter nach.
„Was ist, wenn es alles nicht gibt?“
„Was kann mir schon mein Gehirn sagen? Was weiß es denn schon? Kennt es alle Antworten, die verborgen liegen… irgendwo in meinem Schädel?“
„Warum kann man vergessen? Oder dazulernen? Welcher Sinn ergibt sich daraus? Wie entscheiden wir, ob Tatsachen wichtig sind… oder nicht? Warum vergräbt das Gehirn die Antworten vor mir. Und versteckt sie.“
„Was ist Sünde oder Wohltat? Sind sie von Wichtigkeit?“

„Bin ich, ich, wenn ich nicht ich wäre?“, fragte er sich schließlich, um die Fragen von seinem Buch aufzugreifen. Kleine Schritte führen doch auch ans Ziel, sagte er sich einsichtig.
„Ja, wenn ich mich nur selbst erkenne!“
„Ja, wenn ich mich nur selbst erfinde!“
„Ja, wenn ich mich nur selbst verstehe!“
Vertrauen ist nicht so wichtig, findet der Kobold. Vertrauen ist nur ein Weg, nicht selber denken zu müssen. Nicht selber arbeiten zu müssen. Und handeln.
Er war zufrieden mit seinen Antworten und klopfte erneut an den schäbigen Ledereinband des Buches.
„Ich hab die Antworten!“
„Schön für dich. Dann frage dich vielleicht einmal, warum ich lieber meine Ruhe hätte, du ungehobelter alter Sack!“, zickte das Buch vor sich her.
„Ich geb Ruh, wenn ich die Antworten weiß!“
„Wohin wandert die Zeit?“
„Aber…!“
„Finde die Antwort und du hast den nächsten Schritt getan!“
„Achherje!“
Er dachte wieder nach. Das Wasser war schon warm von den heißen Gasen, die langsam aufstiegen.
„Die Zeit wandert in die Vergangenheit. Die Vergangenheit wird in Erinnerungen bewahrt. Die Erinnerungen werden durch Bestehen der Tatsachen eingeholt. Die Tatsachen bleiben auf Erden, indem sie Geschichten schreiben und Sätze der Generationen vollenden. Die Zeit lebt also im Sein der Erde und verschwindet in ihr Gewesenes. Ich weiß die Antwort!“
„Was ist Raum?“, fragt das ekelige Buch, nachdem es mit den Augen rollte.
„Raum ist der Boden der der Zeit. Raum beschreibt Welt. Raum beschreibt Freiheit. Das Etwas im Allgemeinen. Das Aufbewahren der Schätze. Die Truhe, in der die Zeit Platz findet. Die Zeit und ihre Menschengeschichten.“, grübelt der alte Kobold.
„Wo hängt das Universum?“, fragt das hässliche Buch, während es sich grünen Rotz von der Nase schnäuzt.
„Das Universum hängt in der Unendlichkeit des Lichts. Es ist die Leinwand und der Rahmen der Geschichtsschreibungen. Der  Schauplatz. Die Bühne hinter der Bühne. Es hängt an der Ewigkeit des Kreises, der sich in weiteren Kreisläufen befindet, bis sie die Mutter aller Existenz überholen. Die… Liebe.“
„Wer bist du?“
„Ich bin ein Wesen.“
„Warum gibt es dich?“, fragt das Buch abermals. Mittlerweile etwas ungeduldig und genervt.
„Weil ich eine erfahrene Seele besitze, die lernen möchte. Eine Seele, die sich noch nicht in Staub verflüchtigt hat. Eine Seele, die eine Chance auf Vollkommenheit besitzt, die ins ewige Licht eintritt. Eine Seele, die an…“, er überlegt, „…an die Liebe glaubt.“
„Wo liegt eigentlich dein Problem?“, unterbricht ihn das Buch.
„Mein Problem?“, fragt er ungläubig, „ich frage mich, ob mich mein Gehirn täuscht oder nicht!“
„Was glaubst du?“, gähnte das Buch. „Du findest doch auf jede Frage eine Antwort, mit der du zufrieden bist!“
„Ja schon… aber… was ist, wenn nur die Hoffnung auf Sinn aus mir spricht?“
„Wozu sonst wärst du auf dieser Welt? Glaubst du, dass du nur aus Spaß existierst? Glaubst du nicht, dass es die Mühe der komplexen Strategien sich lohnen, wenn du nur sinnlos wärst?“
„Ich… ich weiß es nicht.“
„Sieh mal. Ich hasse diese Gespräche und du kannst sicher sein, dass ich nie wieder in meinem Leben mit dir darüber reden werde, aber ich glaube, dass Hoffnung wichtig ist. Es bestärkt die Wesen dieser Erde. Sobald sie einen Sinn finden, sind sie nicht sinnlos. Die Hoffnung und der Glaube helfen ihnen dabei. Sie sind die Stütze des Sinnes. Verstehst du?“
„Ich denke schon.“
„Du hinterfragst. Du benutzt deinen Instinkt und deinen Verstand. Du glaubst und hoffst. Du nimmst das wahr, was du mit deinen Sinnen wahrnimmst, die dir zwar helfen, aber dir nicht immer die ganze Wahrheit offenbaren. Die Realität ist Wirklichkeit. Wirklichkeit ist die Wahrheit. Wahrheit ist sinnvoll. Sinnvollständigkeit ist vollkommen. Verstehst du?“
„Ja, ich verstehe.“
„Dein Gehirn spielt dir zwar gerne Streiche und lässt dich selbst zu oft denken, indem du Unwichtiges vergisst und Neues lernst, aber es täuscht dich nicht. Es sagt dir die Wahrheit, wenn sie im Einklang deiner Seele steht. Das ist die Kunst. Die Kunst des Lebens. Gedanken und Ideen bleiben unvergänglich, wenn Geist und Verstand in Harmonie leben.“
„Um also Licht zu werden, sollte ich versuchen, auf Sünden zu verzichten! Sünde… Sünde ist, die Tat, die ich nicht will, dass sie mir angetan wird. Also… was ich nicht will, das mir angetan wird, das füge auch keinen anderen Wesen zu.“
„Bravo. Und nun lass mich in Ruhe, ich brauche meinen Schönheitsschlaf, du alter Spießer.“
Der Kobold fasste sich auf seine Glatze und fing plötzlich herzhaft an zu lachen. Er wartete auf seine Frau, die er bereits sehnsüchtig erwartete. Wie lange hatte er sie schon nicht mehr geküsst.


Anmerkung von Muuuzi:

... was weiß er schon...

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (43)
(12.11.11)
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 Muuuzi meinte dazu am 12.11.11:
der irre Ire musste wohl diesen Text lesen! :) Ich freue mich! Thanks.
KoKa (43) antwortete darauf am 12.11.11:
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 franky (12.11.11)
Hi Muuuzi,

Wenn man in deinem Text mal fußgefasst hat, dann packt er zu und nimmt einem unweigerlich mit, bis zum Schluss. Deine Gedanken sind trefflich und irgendwie schlüssig.

Nachdenkliche Grüße

Franky

 Muuuzi schrieb daraufhin am 12.11.11:
wow, danke! Das freut mich echt. :)

erfreute Grüße back. :)

 RomanTikker (12.11.11)
Beim lesen musste ich schnell an Descartes denken und habe mich schon darauf gefreut, mein Sätzlein aufzusagen: Ohne Frage gilt es, an Descartes zu zweifeln! Aber der Kobold ist eben kein Philosophiestudent und hat - Gott sei Dank - ein Buch zur Hand, das von salonfähiger Philosophie so viel hält, wie sein Besitzer von warzenlosen Füßen. Die ruppige Art des Buches ist angebracht und erfrischend. Die Monologe des Kobolds bringen ihn auf Antworten, die man wesentlich breiter treten und relativieren könnte, aber das Wichtigste ist ja, dass er zufrieden ist und zur ominösen Liebe findet. Ich finde das OK. Letztlich ist einfach alles da, und wer eine Dialektik hat, die glücklich macht, kann sich glücklich schätzen, wie der Kobold seine Frau.

In einem Punkt möchte ich dem Wicht allerdings ein klein wenig widersprechen: es geht sich um die Hoffnung. Hoffnung hat viel zu tun mit Furcht - zumindest geht Hoffnung davon aus, dass das Hier und Jetzt nicht gut ist und dass es ein besseres Dort und Bald geben muss. Und wenn die Hoffnung verloren ist, kriecht die Furcht aus ihrer Lauer. Hoffnung ist eine in die Zukunft gerichtete Utopie. Als Anfängerdisziplin ist das Prinzip Hoffnung vielleicht ganz gut geeignet, aber irgendwann kommt der Hoffer sicher an einen Punkt, an dem die Hoffnung kein Glück mehr bringt.

Hoffnung und Furcht sind untrennbar miteinander verwoben. Daher sagt ein altes tibetisches Sprichwort: "Ich fürchte nicht, ich hoffe nicht". Fallen BEIDE Pole weg, bedeutet das einen Gewinn für das Jetzt. Fällt freilich nur die Hoffnung weg und bleibt die Furcht, so gibt das ein Problem. Also: Weg mit der Furcht, weg mit der Hoffnung, rein ins Jetzt, machen statt warten!

Was viel wichtiger ist und was der Kobold Descartes voraus hat, ist die Liebe. Im Licht der Liebe sind die meisten Fragen obsolet.

Beste Grüße aus dem Hummerbad!
R

 Muuuzi äußerte darauf am 12.11.11:
Haha.. Ich liebe deine Kommentare. Sie sind so ehrlich.
Ich muss gestehen. Was die Hoffnung betrifft, geb ich dir recht. Ich gebe aber auch mir recht. Ich finde einfach, dass meine Skizze, Skizze heißt, da es noch viel zu ergänzen gibt. Lieber Renan, sei mir nicht böse. Ich habe den Text in kurzer Zeit geschrieben.
War soweit ganz zufrieden. ABer wenn es um die Wörter "Liebe, Leben, Sinn und Hoffnung" geht, kann man wahrlich Bibliotheken schreiben. Oder sie zumindest mit Büchern füllen.
:)


Freu mich schon, wenn du mich besuchst! :)

 RomanTikker ergänzte dazu am 12.11.11:
Oh, nicht falsch verstehen, ich habe den Text gern gelesen! Pff, dir böse sein wegen sowas? Dann müsste ich mir auch böse sein, denn mein Kommentar ist - nach meinen eigenen Ansrpüchen - auch recht unvollständig, beinahe fahrlässig dilettantisch. Aber irgendwo muss man ja Grenzen setzen. ;0) Böse? Dir? Wegen sowas? Du kennst mich schlecht, hä? ;0) Wird sich ändern. Ich gehe jetzt spazieren. Hier gibt es sicher auch Kobolde. Wenn ich einen erwische, frage ich ihn mal, was er davon hält. Wusstest du übrigens, dass es auch ein Wetterphänomen namens Kobolde gibt? Merkwürdige Blitze sind das ... und auch die sind zweifelbehaftet, zumindest nicht zweifelsohne erklärt. Screwgle mal bei Interesse! Bis bald! R
(Antwort korrigiert am 12.11.2011)

 Muuuzi meinte dazu am 12.11.11:
Ich kenn dich schon! :) War ja auch nicht ernst gemeint! :)

Ich google mal, wenn ich mit dem heftchen fertig bin. Danach gibts noch einen aufsatz darüber, den ich dir mitschicke.

Zuerst muss ich aber mal raus. Es schneit. What the f?

 RomanTikker meinte dazu am 12.11.11:
Es schneit!? Ich bin eben oben ohne über saftige Bergwiesen gewandert und habe keine Jacke im Gepäck. Zugegeben, es ist November. Habe beim Laufen das Lied vom kleinen Gnom gesungen: http://www.youtube.com/watch?v=H9YFZ13h3rY
Freue mich auf deine Post!
ichbinelvis1951 (64)
(12.11.11)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Muuuzi meinte dazu am 14.11.11:
Danke! :)

 AZU20 (13.11.11)
Viele interessante Fragen, anziehender Text. LG

 Muuuzi meinte dazu am 14.11.11:
Danke ;) Lg
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