Lieber Vater,
am Dienstag abend mussten wir zu Hause erleben, wie dein unerwarteter Schlaganfall unser aller Leben veränderte.
Der Notarzt brachte dich ins Krankenhaus; viermal haben wir dich seitdem dort besucht. Die Ärzte sprechen inzwischen leider von einem schweren Schlaganfall, den du erlitten hast. Deine linke Körperhälfte ist gelähmt, du kannst nicht mehr selbst schlucken und auch nicht sprechen.
Du schläfst viel und meistens tief. Dein Körper verlangt anscheinend nach Ruhe. Wir haben das bei unseren Besuchen gespürt und dich immer vorsichtig angesprochen - jede kleine Reaktion auf eine Berührung oder einen Händedruck, war für uns eine Bestätigung, dass du noch in unserer Nähe bist.
Auch wenn deine Augen meist geschlossen sind.
Du atmest gleichmäßig, aber schwer. Und doch spüren wir noch deine Kraft, nicht aufgeben zu wollen oder noch nicht loslassen zu können. Auf uns machst du den Eindruck, dass du Zeit brauchst, um dein aktives, erfülltes Leben Revue passieren zu lassen.
Bei unserem heutigen Krankenbesuch hast du erstmals wieder die Augen leicht geöffnet. Es hat dich sichtbar Kraft gekostet, obwohl du insgesamt etwas frischer wirktest.
Aber nie zu vor hat mir ein Winken so viel bedeutet, wie deine eindeutige Handbewegung heute. Ein gewunkener Gruß über eine Entfernung von knapp zwei Metern. Das sichere Gefühl, dass du deine Mutter und deinen Sohn erkannt hast, war auch ohne Worte und Mimik ein Grund zu großer Freude.
Für uns ist deine Geste sowohl erfreulich als auch beruhigend; sie hilft uns sehr im Umgang mit der neuen Situation.
Wir sind dabei neue Wege zu finden, um mit dir Kontakt zu halten, solange du noch bei uns bist ... wir lernen Geduld und Demut; unsere Wahrnehmung verändert sich. Details gewinnen an Bedeutung, auch wenn deine Lebenskraft zu schwinden scheint ...
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