Das einmalige Rendezvous
Kurzgeschichte zum Thema Liebe, lieben
von pentz
Wir landeten bei einem derjenigen Italiener, der an jeder Ecke zu finden ist, nachdem wir uns ziemlich atem- und sprachlos um ein paar Blocks getrieben hatten. Anders kann man es kaum sagen. Wir hatten uns nichts zu sagen, suchten nach Worten, die nicht kamen. Eine Unruhe herrschte zwischen uns wie zwischen diesem Planeten im Weltall und seinem Mond, welche zwar unaufhörlich miteinander Zyklonwolken austauschen, obwohl sie Hunderte von Kilometer auseinander sind und umeinander kreisen, doch sich nicht vereinigen können.
Wie war ich froh, endlich im Lokal angelangt zu sein und sogar darüber dankbar, dass mir der Wirt, den ich bislang noch nie in meinem Leben gesehen hatte, auf seine verbindliche Art die Hände schüttelte als wären wir alte Bekannte.
Das gleiche tat er freilich bei der „Signora“, während ich nach einem freien Platz ausschaute. Selten auch, dass ich so froh war, endlich sitzen zu können und mich mit irgendetwas beschäftigen zu können.
Wir schützen uns voreinander, indem jeder für sich und für den anderen unsichtbar seinen Kopf in die Speisekarte vertiefte. Überflüssigste Gestik, denn welch Italiener bieten schon andere Speisen an als der andere?
Wir bestellten ganz etikettengemäß zuerst Getränke - ich ließ ihr natürlich jedes Mal den Vortritt - nach Erhalt in derselbigen Weise die Gerichte, wobei ich mich darüber freute, dass solch Rituale einem wie Brücken über unberechenbar strömende Sturzbäche helfen und navigieren konnten.
Es war etwas in der Luft, nur was? - Blitze könnten herunterfahren, nur in welcher Form? - Spannungsgrad hoch, nur in welcher Weise kommt es zur Abfuhr?
Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel mir auf, dass er sich von nichts von denjenigen unterschied, die ich bisher kannte. Die üblichen Bilder an den Wänden von Venedig, Mailand oder von der Riviera-Küste. Aber halt, hier jedoch prangten Fotographien von italienischen Filmen aus den Sechzigern, in kruden Schwarz-Weiß-Raster aufgenommen: Fellini, Pasolini und wie sie alle hießen.
Eigentlich ein günstiges Thema, um Halt und Zuflucht zu finden in einem meiner Gesprächspartnerin ebenso vertrauten Sujet, worüber wir nicht großartig nachdenken und verkrampft nach Worten, die unsere Gedanken schmücken könnten, suchen mussten, dachte ich.
Sicherlich, darüber hatten wir uns jeder schon Tausende Mal mit anderen unterhalten, keine Mühe bereitete das – was sich auch als Tatsache erwies. Die Gefahr bestand nur darin, dass normaler Weise es bald schnell einem aus dem Hals heraushing hinsichtlich Abgedroschenheit, noch mehr wegen Ausschließlichkeit, die hier vorherrschte. Aber in dieser noch unausgewogenen, eruptiven und unsicheren Stimmung zwischen zwei Unbekannten war es wie Treibgut, an das wir uns klammerten. Wenigstens brauchte ich mich nicht auf meine leicht über die Lippen kommenden Worte konzentrieren, dachte, würde mir keinen unerwünschten Faux pas erlauben, nicht ins Fettnäpfchen treten und konnte also getrost den davor geschalteten Zensor abschalten. Allerdings bekam ich damit einen Blick frei für Dinge, die mich nur umso mehr elektrisierten und echauffierten. Insofern hätte ein wirklich anspruchsvolles Thema wiederum befreit.
Wenn zwei miteinander ausgehen, muss doch einmal das Thema auf die „Liebe“ fallen, vielleicht so nonchalant wie: „Und wie stets bei Ihnen mit der Liebe?“, eine Floskel vergleichbar der „Und wie gehen die Geschäfte?“ oder „Zu Hause alles in Ordnung? Kinder gesund, Ehefrau wohlauf?“ bei einem anderen Gesprächspartner als hier.
Ich getraute mich nicht im Ansatz. Ich dachte ein paar Mal daran, jetzt vielleicht wäre es passend, aber sobald ich ihr in die Augen sah, floss mein Mut dahin wie Kerzenwachs auf hoher Flamme.
Gleichzeitig ärgerte ich mich: was die mich vielleicht in Schach hält, verdammt! Ich fühlte mich nachgerade irgendwie vergewaltigt, nicht nur eingeschüchtert. Diese Burg würde ich niemals erobern können, verlor ich Mut und Courage zusehends.
Also, was liegt näher in einer Situation, deren man nicht Herr ist, als die Taktik des Abwartens einzuschlagen? Sich zunächst einmal versuchen zurückzunehmen, es war ja interessant, dieser Eisklotz würde schon noch zum Schmelzen gebracht werden auf die, jene oder andere Art und Weise.
Aber, wenn sie so etwas wie lachte, dann zog sie robotergleich ihre blauen Augen von mir ab und grinste vor sich hin, als ob sie eine weise Brahmanin wäre, die mit dem Unendlichen Zwiesprache hielt, nur nicht mit mir.
Mich direkt anzulachen, Pustekuchen!
Ärgerlich, nicht einmal Freude war sie bereit zu teilen.
Höchstens erstauntes Ja.
Das war noch spontan. - Dann aber Pause.
Was sie wirklich dachte, verbarg sie geschickt. Die Mühle des Gehirns in ihrem Dickschädel mahlte offensichtlich, doch war evident, dass dort jedes Wort für Wort abgewogen wurde, bevor sie bereit war, es in die Welt hinauszulassen. Natürlich, konnte man sich doch einer peinlichen Selbstkompromittierung aussetzen! Das wäre doch das Ende, oder? Eine Heerschar von Zensoren schien sich in ihrem Gehirn breitgemacht und es verriegelt zu haben.
Je länger sie brauchte, etwas über ihre Zollschranke Lippen zu bekommen, desto ungehaltener wurde ich. Musste das sein, diese unnötige Vorsicht, dieses Lav- und Takt- und mich Malträtieren, anders es nicht mehr gesagt werden konnte.
Wieso leugnete sie nur so vehement, dass ich alles tat, um sie aufzuheitern? Warum ließ sie nicht einen Funken Freude erkennen? Warum nur war sie so verbrettert und vernagelt?
Ich warf zufällig einen Blick auf die Poster, die reihum an der Wand hingen. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus italienischen Filmen, teilweise mir bekannte Gesichter, teilweise unbekannt.
Zusehends unruhiger, ungeduldiger, verzweifelter wurde ich.
Mein Blick fiel auf den katholische Pfarrer und Ober-Schalk Don Camillo zusammen mit seinem Widerpart von Bürgermeister mit düsterem Blick in der Kirche. Erster verdrehte die großen Kulleraugen schelmisch nach oben gen dort hängendem Kruzifix. Peppone, der Kommunist, trug einen solchen Schnurrbart wie der Spaghetti-verschlingende Witzbold vorhin.
Endlich kamen die Speisen. Gelobt sei’s, dass man sich auf etwas konzentrieren konnten. Die Pausen häuften sich mittlerweile, trotz cineastischen Muss. Beim Essen waren Pausen bekanntermaßen legitimiert.
Die vermeintliche Hoffnung auf Ablenkung trog jedoch, denn ein Anblick quälte mich, weil erstens niemals bislang damit konfrontiert worden, und zweites – aber liest selbst. Ich bin mir sicher, es würde euch genauso ergehen!
Sie hatte sich ein Schweineschnitzel mit Soße und einem Kloß bestellt. Das war in der Ordnung, italienisches Einheitsgerichte konnten einem schließlich bald zum Hals heraushängen.
Zunächst schnitt sie sich mit dem Messer das denkbar kleinste Stückchen herunter. Anstatt nun dieses aufgespießt auf der Gabel in die Soße zu tunken, lag es auf der Greiffläche wie bei einem Löffel. Dementsprechend musste umgekehrt vorgegangen werden, dass die Soße mit blankem Messer über dieses beidseitig auf der Gabel zu überstrichen war.
Wieso diese unpraktische, umständliche Prozession? Handelte es hierbei um Zeitschindung bei einer langweiligen Arbeitsstelle, oder um ein Situation, die man jederzeit ausnutzen musste, wie, wenn beispielsweise der Chef abwesend war?
Weiter stelle man sich vor, dass sie nun jedes der Gabelportionen derartig gemächlich in den Mund platzierte, als müsse sie jederzeit gefasst sein, ein heißes Eisen aufzunehmen und sofort wieder ausspucken. Mit der Zunge von einem Fehlalarm überzeugt, mahlte sie schließlich derartig langsam wie eine Mühle im stehenden Brackwasser.
Möglich, dass sie Hundert Mal gekaut hatte, vergleichbar einem Wiederkäuer oder einem radikalen Essensfetischist, als sie sich dann mit einer Serviette bestimmt 20Mal die Lippen abwischte, insbesondere die Mundwinkel.
Glaubt Sie mir, dieser Anblick war keine Augenweide. Mein Blick, ob Zufall oder nicht, ob sie mir es glauben oder nicht, fiel auf folgendes Bild an der Wand: ein in grauem Anzug auf weisem gebügeltem Hemd und schwarzer Fliege versehener Herrn, dicker Schnurrbart zudem, der mit den Händen ein schaufelgroßes Paket Spaghetti geneigten Kopfes, um besser zubeißen zu können, in seinen weit aufgerissenen Mund, lächelnden Gesichtes und irr aufgerissenen Auges zu stopfen. Hinter ihm stand eine Traube lachender Menschen.
Anders meine Tischpartnerin.
Diese machte sich mit der gleichen schildkrötenartigen Behäbigkeit wie vorhin ans Kloß. Ihre Gabel wagte kaum dasselbige durchzustoßen, weil es sich vielleicht um einen Blindgänger aus dem II. Weltkrieg handelte. Sie sickerte so langsam hinein wie Wasser in eine dicke Lehmschicht.
Mit dem Kloßstückchen verfuhr sie gleich dem Fleisch, Messer in die Soße getunkt, mit demselben links und rechts das auf der Gabel befindende Stückchen angefeuchtet, bis sie es endlich in zeitlupigstem Schneckentempo in ihr kaum geöffnetes Mündchen steckte.
Widerwillig verleibte sie sich Essbares ein, gleich einem mittelalterlichen Mundschenk, der auf alles gefasst sein musste, insonderheit heimtückischste Gifte, die man sich überhaupt vorstellen konnte in einer Welt, in der man niemanden und nichts trauen konnte.
Mir war diese Frau ein Rätsel und Ärgernis zudem!
Das Ärgernis verschlimmerte sich, als ich den Fehler beging zu fragen: „Schmeckt es Ihnen nicht?“
„Durchaus!“, kam es mit dünnem Strahl hervor. Ein düpierter, stierer Blick musterte mich, als müsse sie sich versichern, mit wem sie es hier zu tun habe.
Ich räusperte mich, führte in meiner Verlegenheit auch meine Serviette an den Mund, so als könnte ich das etwas deplaziert wirkende Räuspern damit wegwischen.
Was hatte ich falsch gemacht?
Durfte man nicht einmal danach fragen, wie der Begleiterin das Essen schmecke, das wir da in einem Restaurant zu uns nahmen? Es sollte doch ein Genuss sein. Es war doch ein Stelldichein, das alle Wünsche erfüllen sollte, alle Bedürfnisse befriedigen und nichts zu Wünschen übrig ließ, mag es dies hier auch etwas überromantisch klingen. Aber in diese Richtung zielte es.
Aber nein, ich hatte etwas falsch gemacht.
Habe ich vielleicht indirekt auf ihr langsames Vertilgen des Essens mit dem Zeigefinger getippt und gefragt, warum mahlen sie so lange? Nein, habe ich nicht! - Habe ich möglicherweise unbedacht ausgerufen: was spielen sie so lange mit ihren Fleisch- und Kloßstücken auf der Gabel herum? Tunken sie es doch einfach in die Soße und führen es in ihr Essensorgan, das etwas weiter geöffnet sein sollte, empfangsbereiter und vertraulicher dem gegenüber, was sich ihr Körper von außen zuführt. Beileibe nicht!
Aber wahrscheinlich ist alles Äußere für diese Person eine Zumutung!
Ich weiß es nicht, ich wurde kein bisschen schlau aus ihr.
Ich bekam Kopfweh, weil sich mir diese Person und diese Situation auf ungeahnte Art und Weise auf mein Gemüt niederschlug. Dabei kenne ich solche kaum, dass sich gleich mein Kopf so manifest zu Wort meldet, dass er lautstark Alarm schlägt.
Wie war ich froh, endlich im Lokal angelangt zu sein und sogar darüber dankbar, dass mir der Wirt, den ich bislang noch nie in meinem Leben gesehen hatte, auf seine verbindliche Art die Hände schüttelte als wären wir alte Bekannte.
Das gleiche tat er freilich bei der „Signora“, während ich nach einem freien Platz ausschaute. Selten auch, dass ich so froh war, endlich sitzen zu können und mich mit irgendetwas beschäftigen zu können.
Wir schützen uns voreinander, indem jeder für sich und für den anderen unsichtbar seinen Kopf in die Speisekarte vertiefte. Überflüssigste Gestik, denn welch Italiener bieten schon andere Speisen an als der andere?
Wir bestellten ganz etikettengemäß zuerst Getränke - ich ließ ihr natürlich jedes Mal den Vortritt - nach Erhalt in derselbigen Weise die Gerichte, wobei ich mich darüber freute, dass solch Rituale einem wie Brücken über unberechenbar strömende Sturzbäche helfen und navigieren konnten.
Es war etwas in der Luft, nur was? - Blitze könnten herunterfahren, nur in welcher Form? - Spannungsgrad hoch, nur in welcher Weise kommt es zur Abfuhr?
Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel mir auf, dass er sich von nichts von denjenigen unterschied, die ich bisher kannte. Die üblichen Bilder an den Wänden von Venedig, Mailand oder von der Riviera-Küste. Aber halt, hier jedoch prangten Fotographien von italienischen Filmen aus den Sechzigern, in kruden Schwarz-Weiß-Raster aufgenommen: Fellini, Pasolini und wie sie alle hießen.
Eigentlich ein günstiges Thema, um Halt und Zuflucht zu finden in einem meiner Gesprächspartnerin ebenso vertrauten Sujet, worüber wir nicht großartig nachdenken und verkrampft nach Worten, die unsere Gedanken schmücken könnten, suchen mussten, dachte ich.
Sicherlich, darüber hatten wir uns jeder schon Tausende Mal mit anderen unterhalten, keine Mühe bereitete das – was sich auch als Tatsache erwies. Die Gefahr bestand nur darin, dass normaler Weise es bald schnell einem aus dem Hals heraushing hinsichtlich Abgedroschenheit, noch mehr wegen Ausschließlichkeit, die hier vorherrschte. Aber in dieser noch unausgewogenen, eruptiven und unsicheren Stimmung zwischen zwei Unbekannten war es wie Treibgut, an das wir uns klammerten. Wenigstens brauchte ich mich nicht auf meine leicht über die Lippen kommenden Worte konzentrieren, dachte, würde mir keinen unerwünschten Faux pas erlauben, nicht ins Fettnäpfchen treten und konnte also getrost den davor geschalteten Zensor abschalten. Allerdings bekam ich damit einen Blick frei für Dinge, die mich nur umso mehr elektrisierten und echauffierten. Insofern hätte ein wirklich anspruchsvolles Thema wiederum befreit.
Wenn zwei miteinander ausgehen, muss doch einmal das Thema auf die „Liebe“ fallen, vielleicht so nonchalant wie: „Und wie stets bei Ihnen mit der Liebe?“, eine Floskel vergleichbar der „Und wie gehen die Geschäfte?“ oder „Zu Hause alles in Ordnung? Kinder gesund, Ehefrau wohlauf?“ bei einem anderen Gesprächspartner als hier.
Ich getraute mich nicht im Ansatz. Ich dachte ein paar Mal daran, jetzt vielleicht wäre es passend, aber sobald ich ihr in die Augen sah, floss mein Mut dahin wie Kerzenwachs auf hoher Flamme.
Gleichzeitig ärgerte ich mich: was die mich vielleicht in Schach hält, verdammt! Ich fühlte mich nachgerade irgendwie vergewaltigt, nicht nur eingeschüchtert. Diese Burg würde ich niemals erobern können, verlor ich Mut und Courage zusehends.
Also, was liegt näher in einer Situation, deren man nicht Herr ist, als die Taktik des Abwartens einzuschlagen? Sich zunächst einmal versuchen zurückzunehmen, es war ja interessant, dieser Eisklotz würde schon noch zum Schmelzen gebracht werden auf die, jene oder andere Art und Weise.
Aber, wenn sie so etwas wie lachte, dann zog sie robotergleich ihre blauen Augen von mir ab und grinste vor sich hin, als ob sie eine weise Brahmanin wäre, die mit dem Unendlichen Zwiesprache hielt, nur nicht mit mir.
Mich direkt anzulachen, Pustekuchen!
Ärgerlich, nicht einmal Freude war sie bereit zu teilen.
Höchstens erstauntes Ja.
Das war noch spontan. - Dann aber Pause.
Was sie wirklich dachte, verbarg sie geschickt. Die Mühle des Gehirns in ihrem Dickschädel mahlte offensichtlich, doch war evident, dass dort jedes Wort für Wort abgewogen wurde, bevor sie bereit war, es in die Welt hinauszulassen. Natürlich, konnte man sich doch einer peinlichen Selbstkompromittierung aussetzen! Das wäre doch das Ende, oder? Eine Heerschar von Zensoren schien sich in ihrem Gehirn breitgemacht und es verriegelt zu haben.
Je länger sie brauchte, etwas über ihre Zollschranke Lippen zu bekommen, desto ungehaltener wurde ich. Musste das sein, diese unnötige Vorsicht, dieses Lav- und Takt- und mich Malträtieren, anders es nicht mehr gesagt werden konnte.
Wieso leugnete sie nur so vehement, dass ich alles tat, um sie aufzuheitern? Warum ließ sie nicht einen Funken Freude erkennen? Warum nur war sie so verbrettert und vernagelt?
Ich warf zufällig einen Blick auf die Poster, die reihum an der Wand hingen. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus italienischen Filmen, teilweise mir bekannte Gesichter, teilweise unbekannt.
Zusehends unruhiger, ungeduldiger, verzweifelter wurde ich.
Mein Blick fiel auf den katholische Pfarrer und Ober-Schalk Don Camillo zusammen mit seinem Widerpart von Bürgermeister mit düsterem Blick in der Kirche. Erster verdrehte die großen Kulleraugen schelmisch nach oben gen dort hängendem Kruzifix. Peppone, der Kommunist, trug einen solchen Schnurrbart wie der Spaghetti-verschlingende Witzbold vorhin.
Endlich kamen die Speisen. Gelobt sei’s, dass man sich auf etwas konzentrieren konnten. Die Pausen häuften sich mittlerweile, trotz cineastischen Muss. Beim Essen waren Pausen bekanntermaßen legitimiert.
Die vermeintliche Hoffnung auf Ablenkung trog jedoch, denn ein Anblick quälte mich, weil erstens niemals bislang damit konfrontiert worden, und zweites – aber liest selbst. Ich bin mir sicher, es würde euch genauso ergehen!
Sie hatte sich ein Schweineschnitzel mit Soße und einem Kloß bestellt. Das war in der Ordnung, italienisches Einheitsgerichte konnten einem schließlich bald zum Hals heraushängen.
Zunächst schnitt sie sich mit dem Messer das denkbar kleinste Stückchen herunter. Anstatt nun dieses aufgespießt auf der Gabel in die Soße zu tunken, lag es auf der Greiffläche wie bei einem Löffel. Dementsprechend musste umgekehrt vorgegangen werden, dass die Soße mit blankem Messer über dieses beidseitig auf der Gabel zu überstrichen war.
Wieso diese unpraktische, umständliche Prozession? Handelte es hierbei um Zeitschindung bei einer langweiligen Arbeitsstelle, oder um ein Situation, die man jederzeit ausnutzen musste, wie, wenn beispielsweise der Chef abwesend war?
Weiter stelle man sich vor, dass sie nun jedes der Gabelportionen derartig gemächlich in den Mund platzierte, als müsse sie jederzeit gefasst sein, ein heißes Eisen aufzunehmen und sofort wieder ausspucken. Mit der Zunge von einem Fehlalarm überzeugt, mahlte sie schließlich derartig langsam wie eine Mühle im stehenden Brackwasser.
Möglich, dass sie Hundert Mal gekaut hatte, vergleichbar einem Wiederkäuer oder einem radikalen Essensfetischist, als sie sich dann mit einer Serviette bestimmt 20Mal die Lippen abwischte, insbesondere die Mundwinkel.
Glaubt Sie mir, dieser Anblick war keine Augenweide. Mein Blick, ob Zufall oder nicht, ob sie mir es glauben oder nicht, fiel auf folgendes Bild an der Wand: ein in grauem Anzug auf weisem gebügeltem Hemd und schwarzer Fliege versehener Herrn, dicker Schnurrbart zudem, der mit den Händen ein schaufelgroßes Paket Spaghetti geneigten Kopfes, um besser zubeißen zu können, in seinen weit aufgerissenen Mund, lächelnden Gesichtes und irr aufgerissenen Auges zu stopfen. Hinter ihm stand eine Traube lachender Menschen.
Anders meine Tischpartnerin.
Diese machte sich mit der gleichen schildkrötenartigen Behäbigkeit wie vorhin ans Kloß. Ihre Gabel wagte kaum dasselbige durchzustoßen, weil es sich vielleicht um einen Blindgänger aus dem II. Weltkrieg handelte. Sie sickerte so langsam hinein wie Wasser in eine dicke Lehmschicht.
Mit dem Kloßstückchen verfuhr sie gleich dem Fleisch, Messer in die Soße getunkt, mit demselben links und rechts das auf der Gabel befindende Stückchen angefeuchtet, bis sie es endlich in zeitlupigstem Schneckentempo in ihr kaum geöffnetes Mündchen steckte.
Widerwillig verleibte sie sich Essbares ein, gleich einem mittelalterlichen Mundschenk, der auf alles gefasst sein musste, insonderheit heimtückischste Gifte, die man sich überhaupt vorstellen konnte in einer Welt, in der man niemanden und nichts trauen konnte.
Mir war diese Frau ein Rätsel und Ärgernis zudem!
Das Ärgernis verschlimmerte sich, als ich den Fehler beging zu fragen: „Schmeckt es Ihnen nicht?“
„Durchaus!“, kam es mit dünnem Strahl hervor. Ein düpierter, stierer Blick musterte mich, als müsse sie sich versichern, mit wem sie es hier zu tun habe.
Ich räusperte mich, führte in meiner Verlegenheit auch meine Serviette an den Mund, so als könnte ich das etwas deplaziert wirkende Räuspern damit wegwischen.
Was hatte ich falsch gemacht?
Durfte man nicht einmal danach fragen, wie der Begleiterin das Essen schmecke, das wir da in einem Restaurant zu uns nahmen? Es sollte doch ein Genuss sein. Es war doch ein Stelldichein, das alle Wünsche erfüllen sollte, alle Bedürfnisse befriedigen und nichts zu Wünschen übrig ließ, mag es dies hier auch etwas überromantisch klingen. Aber in diese Richtung zielte es.
Aber nein, ich hatte etwas falsch gemacht.
Habe ich vielleicht indirekt auf ihr langsames Vertilgen des Essens mit dem Zeigefinger getippt und gefragt, warum mahlen sie so lange? Nein, habe ich nicht! - Habe ich möglicherweise unbedacht ausgerufen: was spielen sie so lange mit ihren Fleisch- und Kloßstücken auf der Gabel herum? Tunken sie es doch einfach in die Soße und führen es in ihr Essensorgan, das etwas weiter geöffnet sein sollte, empfangsbereiter und vertraulicher dem gegenüber, was sich ihr Körper von außen zuführt. Beileibe nicht!
Aber wahrscheinlich ist alles Äußere für diese Person eine Zumutung!
Ich weiß es nicht, ich wurde kein bisschen schlau aus ihr.
Ich bekam Kopfweh, weil sich mir diese Person und diese Situation auf ungeahnte Art und Weise auf mein Gemüt niederschlug. Dabei kenne ich solche kaum, dass sich gleich mein Kopf so manifest zu Wort meldet, dass er lautstark Alarm schlägt.