Das einmalige Rendezvous Teil V
Groteske zum Thema Verwirrung
von pentz
„Ihr Hobby ist also Schreiben?“, fragte sie mich plötzlich.
Im ersten Moment wärmte mich ein Gefühl der Dankbarkeit, da sie sich das erste Mal für mich zu interessieren schien.
Die Frage war jedoch zweischneidig – welcher Schreibende versteht sein Schreiben wirklich nur als Hobby und würde nicht gerne dafür als Künstler und Schriftsteller in den Augen der anderen dastehen wollen?
„Ja, Schreiben! Kann man so sagen.“ Es gebot sich ja etwas zu sagen.
Es war mein Tun, das Schreiben, jedoch nicht bloß Schreiben, verdammt! Schrieb ich denn wie der Schriftführer eines Vereins oder Klubs, der bei den Mitgliederversammlungen Protokoll führte? Nein! Ich tat mehr als bloß Schreiben.
„Ja, natürlich, was sonst!“ Dabei zuckte sie die Schulter.
Das schmettere mich nieder, wie wenn ein Blitz in mich gefahren und erschreckte mich zu Tode, wie wenn ein Bergdonnern über mich hereingebrochen wäre.
„Man glaubt gar nicht, wie viele Hobbyschriftsteller es heutzutage gibt!“ Das war weiter in die Kerbe geschlagen, in der Wunde gebohrt und mit Füßen auf mich herumgetrampelt.
Das konnte ich mir nicht bieten lassen. Noch sofort musste ich gegensteuern. Ich kam mir so jämmerlich, klein und winzig vor. Nur gut, dass niemand aus Versehen auf mich trat.
„Soll ich Ihnen übrigens erzählen, was ich am liebsten mache auf der Welt?“
„Wenn Sie wollen!“
„Am liebsten verbrenne ich...“
„Heinrich!“, stieß sie freudig aus.
„...Bücher!“
„Wirklich!“
Es hatte sich eine ihrer Katzen auf ihr niedergelassen, der stehend auf ihrem Schoß einen starren, krummen Buckel warf und den sie immer wieder behutsam über den Schwanz strich.
Hatte sie mich überhaupt verstanden? Hatte ich ihr endlich einen Funken Aufmerksamkeit entlockt?
„Ja, wirklich. Ich habe im Garten eine Stelle, wo ich all das Holz, das so im Haushalt marode wird, Stühle, Tische, Regale undsoweiter zu einem Berg auftürme und lagere. Damit schüre ich meinen Grill an. Um ein Grillfeuer zu entfachen, braucht man natürlich Spreusel und Papier. Dafür nehme ich ausrangierte Bücher oder besser Literatur heran, die mir nicht gefallen hat. Jedes Buch, das mir missfällt, landet in dieser Ecke und entgeht nicht seinem Schicksal. Ist das nicht herrlich? Bücher zu verbrennen, glauben Sie mir, macht einen Höllenspaß!“
„Hm!“
Woran war ich? Ich weiß heute jedenfalls, was ich insgeheim gehofft hatte, dass sie sagen würde: „Das Gleiche mache ich in abgewandelter Form. Sobald ich ein Buch kritisiere, schmeiße ich es auf den Abfall und ziehe es aus dem Verkehr. Als Kritikerin bin ich metaphorisch gesprochen auch Bücherverbrenner.“ Denkste, diese Kritikerin belletristischer Literatur versprühte keinen Funken, weder einen des Feuers, geschweige denn Humors. Sie glaubte wohl am Ende an ihr Berufsethos einer Journalistin oder was? Die Notwendigkeit der Buchkritik steht außer Frage. Die Leser brauchen eine Orientierung oder sonst welchen Sermon.
Stattdessen Streicheln über den aufgerichteten Schwanz der Katze, von der Mitte des Rückens beginnend, wobei sie hin und wieder ihre Nase in das buschige Fell steckte. Katzen stanken wohl nicht für sie!? Aber Menschen, um so mehr Männer!
Hatte sie es denn nicht nötig, irgendetwas zu meinem anormalen Verhalten zu sagen, irgendwie dazu eine Meinung kundzutun, irgend etwas?
„Wissen Sie, ich nehme schlechte Bücher und natürlich auch fast schon zerfledderte dafür heran, um meinen Grill anzuzünden. Zeitungen lese ich nicht. Bei diesem Niveau mittlerweile!“
Konnte man es noch direkter sagen? Stattdessen was: ungerührtes Streichen der buckeligen Katze über Rücken und Schwanz.
So arg- und gewissenlos wäre ich auch gern gewesen, zum Teufel!
„Aber sehen Sie, deswegen könnte ich kein Buch verbrennen wie Sie. Jedes verbrannte Buch ist ein Loch im Gedächtnis der Menschheit“, entgegnete sie mir jetzt endlich.
Über diese Entgegnung hätte ich froh sein können. Andererseits war sie jedoch ausgesprochen hirnrissig, schließlich verbrannte ich ja nicht das letzte Exemplar eines Buches.
Wie schwiegen nun eine ganze Weile - dass ich es tat, was wunder, war ich doch abgemahnt worden, aber dass sie auch schwieg, war nicht die feine Art, wäre es doch an ihr gelegen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Die Atmosphäre wurde heruntergezogen wie ein Mühlsteins ins Wasser.
Allmählich kam ich mir nicht nur nicht-existent vor, sondern geradezu veralbert, verdeppert und verulkt: ich saß einer Person gegenüber, einer Frau, die innig beschäftigt war damit, ihre Katze zu streicheln und zu liebkosen und schwieg mich dabei an.
Das machte mich depressiv, ich musste aus diesem Sumpf heraussteigen, ich musste mich in irgendetwas stürzen, überhaupt, fand ich in einem starken Impuls, ist es jetzt an der Zeit, Tacheles zu reden.
Ich deutete auf ihr Bild „Kinderutensilien im Sandstrand“: „Ein sehr interessantes Bild.“
Wenn man nichts zu sagen wusste, sagte man ja „interessant“ und damit nichts aus.
„Ich frage mich nur, wo dabei das Kind...“
Noch bevor ich ausreden konnte, beendete sie meinen Satz mit ihren Worten: „ist?“
Ich schluckte. Hatte sie bemerkt, dass sie mich nicht hatte ausreden lassen?
„Ich verstehe nur zu gut, was sie sich sagen wollen. Ist ein Kinderbild nur mit Utensilien und ohne Kind überhaupt ein Kinderbild? Die Kinderutensilien müssen sein, um ein Kindbild den Odem einzuhauchen und mit wirklichem Leben zu erfüllen auf solch einem Bild.“
„Genau, das meine ich auch!“, stimmte ich triumphierend und voreilig ein.
Sie hob die Hand und ich verstummte augenblicklich.
„Das ist die Frage: Muss man auch das Kind malen? Ich sage Ihnen jedoch: Um die Wirkung eines Kinderbildes zu erzielen, bedarf es keineswegs des Kindes. Im Gegenteil, es muss weggelassen werden. Je weniger selbst vom Kind zu sehen ist, um das es letztlich geht, um so mehr wird der Betrachter zum Kind.“
Das barg eine gewisse Überzeugungskraft. Aber, aber... ich kam nur nicht darauf, was ich entgegensetzen musste. Nur dass ich es musste, wusste ich.
„Genau so ist es: schaue ich auf Kindersachen, werde ich zum Kind. Sehe ich ein Kind, lässt es mich unberührt, ich denke: na, halt ein Kind, meinetwegen auch, wie es spielt. Aber der Betrachter selbst empfindet nicht, ich bin es, ich bin jetzt das Kind. Sobald ich aber meine Kindersachen dort sehe, fühle ich mich erst als Kind am Strand wie irgendwann einmal!“
Damit sprang die Katze von ihrem Schoß, als ob seine Zeit um gewesen wäre. Als sie aus dem Zimmer lief, tauchte gleich daraufhin die nächste auf, die sich genauso anstandslos und unaufgefordert auf ihren Schoß niederließ.
Ich fand mich wie in einer Zirkusveranstaltung vor einerseits, andererseits wie bei einer Tierfütterung, bei der ein Tier nach dem anderen allabendlich sein Happi und seine Portion, in diesem Fall seine Streicheleinheiten, abholte und verpasst bekam.
Nachdenklich machte mich das, ja, irritiert, mich fragend und feststellend: da stimmt doch etwas nicht, oder!?
Hinsichtlich der Diskussion über Kunst fühlte mich schachmatt gesetzt. Wo waren die entsprechenden Worte, ihr Paroli und die Stirn zu bieten? Oder hatte sie am Ende doch recht? Wenn man jedoch ihre Gedanken weiterverfolgte, dann, dann... stimmte doch etwas nicht.
Ich sagte zunächst: „Das ist also ihr künstlerische Anspruch. Es genügt ihnen zu wissen, dass es ihnen gefällt?“ Hatte ich damit wirklich meine Bedenken geäußert, ich wusste es nicht. Jedenfalls hatte ich etwas dagegen gesagt.
Selbstgefällig lächelte sie vor sich hin, fixiert auf ihr heißgeliebte „Getrude“, wie sie dieselbige jetzt nannte.
„Aber nein!“
sollte ich sie fragen, ob bei „Getrude“ etwa ein zufälliger Zusammenhang mit Getrude Stein bestand.
„Ich weiß genau, was Sie denken: paradox, widersprüchlich, irgendwie stimmt da irgendetwas nicht, nicht? Ich gebe Ihnen recht, das sich dies unstimmig anhört. Die Tatsache, dass man, je weniger man von einem Gegenstand schreibt, malt oder hört, desto intensiver derselbige sich im Bewusstsein des Rezipienten manifestiert, ruft Widerspruch hervor. Und doch ist es so! Warum ist es so?“
Pause, Ruhe, Schweigen.
„Ich will ihnen ein Beispiel geben. Schauen Sie sich einmal ein Bild von Eduard Monet an und den selben Gegenstand von einer hochmodernen Kamera abgelichtet. Sie werden erkennen, dass das Bild von Monet nicht nur nicht lebendiger, sondern detaillierter, genauer, lebendiger, wahrer, kurzum echter ist.
Was ist es nämlich, dass Eduard Monets Bild eines Gegenstandes echter, besser und sogar wirklicher erscheint lässt als ein mit einer Kamera besten Qualität aufgenommenes Objekt und Sujet?“
Wir schwiegen.
Mir lagen solche Worte wie Seele, Geist, Aura, weiß der Teufel was auf der Zunge, traute sie mir jedoch nicht hervorzustoßen, denn sie klangen so hausbacken, unmodern und antiquiert.
„Jedenfalls, und das ist meine Kritik an ihren Werken. Denn gerade dies können Sie nicht! Je weniger der Autor es fertig bringt, über den Gegenstand, die Sache oder das Erlebnis dessen, der als Protagonist, Betrachter, Hörer oder Sehende gemeint ist, zu schreiben, malen, sprechen und zu filmen, desto echter, lebendiger und wahrer bringt er ersteres in denjenigen, den er damit erreichen will, herüber.
Aber sie, sie sind wie ein kleines Kind in ihrer kleinen Welt befangen. Es befriedigt Sie ihre Kunst, so wie sie ist: umständlich, ausschweifend und konventionell.“
Hier legte sie eine Pause ein. Das war allerdings keine künstliche.
„Sie sind also zufrieden mit ihrer Kunst, was ja auch gut ist, wenn ein Mensch es schafft, mit sich selbst zurande zu kommen und sogar Zufriedenheit mit sich selbst empfindet mit etwas, was er getan hat. Jedoch andere lässt ihre Kunst kalt.“
Wieder eine Pause. Bevor sie weiter redete, huschte ein maliziöses Lächeln und gleichzeitig ein schmerzerfülltes über ihr Gesicht.
Warum ist das so?“
Pause.
„Weil sie sehr in ihrer Individualität befangen sind. Sie sind zu selbstzufrieden damit, dass Ihnen ihre Kunst gefällt.“
Nach erneutem Schweigen wiederholte ich nachdenklich den Sinn ihrer Worte mit meinen: „Wie bei ihrem Bild, so auch in der Literatur, ist die Aussage dort zu finden, wo sie nicht steht. So, wie das Kind unsichtbar ist, ist es ganz und gar da. So auch muss gute Literatur sein. Was nicht direkt beschrieben steht, wird erst um so unmittelbarer und direkter im Leser evoziert. Anders gesagt: Was Literatur sagt, steht nicht in den Worten und Sätzen, sondern...“
„jenseits dieser, richtig. Versteht der Schriftsteller erst, das Objekthafte und Äußerliche von einem Etwas nicht zu benennen und zu zeigen, sondern über andere Dinge lebendig werden zu lassen, ist er ein guter Autor!“
Mir dämmerte, was sie sagen wollte und verstand, was das Kinderbild mit Literatur zu tun hatte.
Was ihr Ölgemälde anbelangte, stimmte es. Aber, war das auch auf die Literatur übertragbar?
„Sie haben also doch dieses Bild für ein Publikum gemalt, nicht...“
„zunächst ausschließlich für mich. Richtig!“
Erneut war ich schachmatt gesetzt worden, wieder war mir das Wort aus dem Mund geklaubt worden. Außerdem, was viel schwerer wiegte, hatte sie absolut Recht mit dem, was sie gesagt hatte, wie ich es jetzt erkannte.
„Für wen malt man schließlich? Kein Künstler, ich wiederhole, keiner malt nur für sich selbst“, und lachte.
So verstummten wir da.
Im ersten Moment wärmte mich ein Gefühl der Dankbarkeit, da sie sich das erste Mal für mich zu interessieren schien.
Die Frage war jedoch zweischneidig – welcher Schreibende versteht sein Schreiben wirklich nur als Hobby und würde nicht gerne dafür als Künstler und Schriftsteller in den Augen der anderen dastehen wollen?
„Ja, Schreiben! Kann man so sagen.“ Es gebot sich ja etwas zu sagen.
Es war mein Tun, das Schreiben, jedoch nicht bloß Schreiben, verdammt! Schrieb ich denn wie der Schriftführer eines Vereins oder Klubs, der bei den Mitgliederversammlungen Protokoll führte? Nein! Ich tat mehr als bloß Schreiben.
„Ja, natürlich, was sonst!“ Dabei zuckte sie die Schulter.
Das schmettere mich nieder, wie wenn ein Blitz in mich gefahren und erschreckte mich zu Tode, wie wenn ein Bergdonnern über mich hereingebrochen wäre.
„Man glaubt gar nicht, wie viele Hobbyschriftsteller es heutzutage gibt!“ Das war weiter in die Kerbe geschlagen, in der Wunde gebohrt und mit Füßen auf mich herumgetrampelt.
Das konnte ich mir nicht bieten lassen. Noch sofort musste ich gegensteuern. Ich kam mir so jämmerlich, klein und winzig vor. Nur gut, dass niemand aus Versehen auf mich trat.
„Soll ich Ihnen übrigens erzählen, was ich am liebsten mache auf der Welt?“
„Wenn Sie wollen!“
„Am liebsten verbrenne ich...“
„Heinrich!“, stieß sie freudig aus.
„...Bücher!“
„Wirklich!“
Es hatte sich eine ihrer Katzen auf ihr niedergelassen, der stehend auf ihrem Schoß einen starren, krummen Buckel warf und den sie immer wieder behutsam über den Schwanz strich.
Hatte sie mich überhaupt verstanden? Hatte ich ihr endlich einen Funken Aufmerksamkeit entlockt?
„Ja, wirklich. Ich habe im Garten eine Stelle, wo ich all das Holz, das so im Haushalt marode wird, Stühle, Tische, Regale undsoweiter zu einem Berg auftürme und lagere. Damit schüre ich meinen Grill an. Um ein Grillfeuer zu entfachen, braucht man natürlich Spreusel und Papier. Dafür nehme ich ausrangierte Bücher oder besser Literatur heran, die mir nicht gefallen hat. Jedes Buch, das mir missfällt, landet in dieser Ecke und entgeht nicht seinem Schicksal. Ist das nicht herrlich? Bücher zu verbrennen, glauben Sie mir, macht einen Höllenspaß!“
„Hm!“
Woran war ich? Ich weiß heute jedenfalls, was ich insgeheim gehofft hatte, dass sie sagen würde: „Das Gleiche mache ich in abgewandelter Form. Sobald ich ein Buch kritisiere, schmeiße ich es auf den Abfall und ziehe es aus dem Verkehr. Als Kritikerin bin ich metaphorisch gesprochen auch Bücherverbrenner.“ Denkste, diese Kritikerin belletristischer Literatur versprühte keinen Funken, weder einen des Feuers, geschweige denn Humors. Sie glaubte wohl am Ende an ihr Berufsethos einer Journalistin oder was? Die Notwendigkeit der Buchkritik steht außer Frage. Die Leser brauchen eine Orientierung oder sonst welchen Sermon.
Stattdessen Streicheln über den aufgerichteten Schwanz der Katze, von der Mitte des Rückens beginnend, wobei sie hin und wieder ihre Nase in das buschige Fell steckte. Katzen stanken wohl nicht für sie!? Aber Menschen, um so mehr Männer!
Hatte sie es denn nicht nötig, irgendetwas zu meinem anormalen Verhalten zu sagen, irgendwie dazu eine Meinung kundzutun, irgend etwas?
„Wissen Sie, ich nehme schlechte Bücher und natürlich auch fast schon zerfledderte dafür heran, um meinen Grill anzuzünden. Zeitungen lese ich nicht. Bei diesem Niveau mittlerweile!“
Konnte man es noch direkter sagen? Stattdessen was: ungerührtes Streichen der buckeligen Katze über Rücken und Schwanz.
So arg- und gewissenlos wäre ich auch gern gewesen, zum Teufel!
„Aber sehen Sie, deswegen könnte ich kein Buch verbrennen wie Sie. Jedes verbrannte Buch ist ein Loch im Gedächtnis der Menschheit“, entgegnete sie mir jetzt endlich.
Über diese Entgegnung hätte ich froh sein können. Andererseits war sie jedoch ausgesprochen hirnrissig, schließlich verbrannte ich ja nicht das letzte Exemplar eines Buches.
Wie schwiegen nun eine ganze Weile - dass ich es tat, was wunder, war ich doch abgemahnt worden, aber dass sie auch schwieg, war nicht die feine Art, wäre es doch an ihr gelegen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Die Atmosphäre wurde heruntergezogen wie ein Mühlsteins ins Wasser.
Allmählich kam ich mir nicht nur nicht-existent vor, sondern geradezu veralbert, verdeppert und verulkt: ich saß einer Person gegenüber, einer Frau, die innig beschäftigt war damit, ihre Katze zu streicheln und zu liebkosen und schwieg mich dabei an.
Das machte mich depressiv, ich musste aus diesem Sumpf heraussteigen, ich musste mich in irgendetwas stürzen, überhaupt, fand ich in einem starken Impuls, ist es jetzt an der Zeit, Tacheles zu reden.
Ich deutete auf ihr Bild „Kinderutensilien im Sandstrand“: „Ein sehr interessantes Bild.“
Wenn man nichts zu sagen wusste, sagte man ja „interessant“ und damit nichts aus.
„Ich frage mich nur, wo dabei das Kind...“
Noch bevor ich ausreden konnte, beendete sie meinen Satz mit ihren Worten: „ist?“
Ich schluckte. Hatte sie bemerkt, dass sie mich nicht hatte ausreden lassen?
„Ich verstehe nur zu gut, was sie sich sagen wollen. Ist ein Kinderbild nur mit Utensilien und ohne Kind überhaupt ein Kinderbild? Die Kinderutensilien müssen sein, um ein Kindbild den Odem einzuhauchen und mit wirklichem Leben zu erfüllen auf solch einem Bild.“
„Genau, das meine ich auch!“, stimmte ich triumphierend und voreilig ein.
Sie hob die Hand und ich verstummte augenblicklich.
„Das ist die Frage: Muss man auch das Kind malen? Ich sage Ihnen jedoch: Um die Wirkung eines Kinderbildes zu erzielen, bedarf es keineswegs des Kindes. Im Gegenteil, es muss weggelassen werden. Je weniger selbst vom Kind zu sehen ist, um das es letztlich geht, um so mehr wird der Betrachter zum Kind.“
Das barg eine gewisse Überzeugungskraft. Aber, aber... ich kam nur nicht darauf, was ich entgegensetzen musste. Nur dass ich es musste, wusste ich.
„Genau so ist es: schaue ich auf Kindersachen, werde ich zum Kind. Sehe ich ein Kind, lässt es mich unberührt, ich denke: na, halt ein Kind, meinetwegen auch, wie es spielt. Aber der Betrachter selbst empfindet nicht, ich bin es, ich bin jetzt das Kind. Sobald ich aber meine Kindersachen dort sehe, fühle ich mich erst als Kind am Strand wie irgendwann einmal!“
Damit sprang die Katze von ihrem Schoß, als ob seine Zeit um gewesen wäre. Als sie aus dem Zimmer lief, tauchte gleich daraufhin die nächste auf, die sich genauso anstandslos und unaufgefordert auf ihren Schoß niederließ.
Ich fand mich wie in einer Zirkusveranstaltung vor einerseits, andererseits wie bei einer Tierfütterung, bei der ein Tier nach dem anderen allabendlich sein Happi und seine Portion, in diesem Fall seine Streicheleinheiten, abholte und verpasst bekam.
Nachdenklich machte mich das, ja, irritiert, mich fragend und feststellend: da stimmt doch etwas nicht, oder!?
Hinsichtlich der Diskussion über Kunst fühlte mich schachmatt gesetzt. Wo waren die entsprechenden Worte, ihr Paroli und die Stirn zu bieten? Oder hatte sie am Ende doch recht? Wenn man jedoch ihre Gedanken weiterverfolgte, dann, dann... stimmte doch etwas nicht.
Ich sagte zunächst: „Das ist also ihr künstlerische Anspruch. Es genügt ihnen zu wissen, dass es ihnen gefällt?“ Hatte ich damit wirklich meine Bedenken geäußert, ich wusste es nicht. Jedenfalls hatte ich etwas dagegen gesagt.
Selbstgefällig lächelte sie vor sich hin, fixiert auf ihr heißgeliebte „Getrude“, wie sie dieselbige jetzt nannte.
„Aber nein!“
sollte ich sie fragen, ob bei „Getrude“ etwa ein zufälliger Zusammenhang mit Getrude Stein bestand.
„Ich weiß genau, was Sie denken: paradox, widersprüchlich, irgendwie stimmt da irgendetwas nicht, nicht? Ich gebe Ihnen recht, das sich dies unstimmig anhört. Die Tatsache, dass man, je weniger man von einem Gegenstand schreibt, malt oder hört, desto intensiver derselbige sich im Bewusstsein des Rezipienten manifestiert, ruft Widerspruch hervor. Und doch ist es so! Warum ist es so?“
Pause, Ruhe, Schweigen.
„Ich will ihnen ein Beispiel geben. Schauen Sie sich einmal ein Bild von Eduard Monet an und den selben Gegenstand von einer hochmodernen Kamera abgelichtet. Sie werden erkennen, dass das Bild von Monet nicht nur nicht lebendiger, sondern detaillierter, genauer, lebendiger, wahrer, kurzum echter ist.
Was ist es nämlich, dass Eduard Monets Bild eines Gegenstandes echter, besser und sogar wirklicher erscheint lässt als ein mit einer Kamera besten Qualität aufgenommenes Objekt und Sujet?“
Wir schwiegen.
Mir lagen solche Worte wie Seele, Geist, Aura, weiß der Teufel was auf der Zunge, traute sie mir jedoch nicht hervorzustoßen, denn sie klangen so hausbacken, unmodern und antiquiert.
„Jedenfalls, und das ist meine Kritik an ihren Werken. Denn gerade dies können Sie nicht! Je weniger der Autor es fertig bringt, über den Gegenstand, die Sache oder das Erlebnis dessen, der als Protagonist, Betrachter, Hörer oder Sehende gemeint ist, zu schreiben, malen, sprechen und zu filmen, desto echter, lebendiger und wahrer bringt er ersteres in denjenigen, den er damit erreichen will, herüber.
Aber sie, sie sind wie ein kleines Kind in ihrer kleinen Welt befangen. Es befriedigt Sie ihre Kunst, so wie sie ist: umständlich, ausschweifend und konventionell.“
Hier legte sie eine Pause ein. Das war allerdings keine künstliche.
„Sie sind also zufrieden mit ihrer Kunst, was ja auch gut ist, wenn ein Mensch es schafft, mit sich selbst zurande zu kommen und sogar Zufriedenheit mit sich selbst empfindet mit etwas, was er getan hat. Jedoch andere lässt ihre Kunst kalt.“
Wieder eine Pause. Bevor sie weiter redete, huschte ein maliziöses Lächeln und gleichzeitig ein schmerzerfülltes über ihr Gesicht.
Warum ist das so?“
Pause.
„Weil sie sehr in ihrer Individualität befangen sind. Sie sind zu selbstzufrieden damit, dass Ihnen ihre Kunst gefällt.“
Nach erneutem Schweigen wiederholte ich nachdenklich den Sinn ihrer Worte mit meinen: „Wie bei ihrem Bild, so auch in der Literatur, ist die Aussage dort zu finden, wo sie nicht steht. So, wie das Kind unsichtbar ist, ist es ganz und gar da. So auch muss gute Literatur sein. Was nicht direkt beschrieben steht, wird erst um so unmittelbarer und direkter im Leser evoziert. Anders gesagt: Was Literatur sagt, steht nicht in den Worten und Sätzen, sondern...“
„jenseits dieser, richtig. Versteht der Schriftsteller erst, das Objekthafte und Äußerliche von einem Etwas nicht zu benennen und zu zeigen, sondern über andere Dinge lebendig werden zu lassen, ist er ein guter Autor!“
Mir dämmerte, was sie sagen wollte und verstand, was das Kinderbild mit Literatur zu tun hatte.
Was ihr Ölgemälde anbelangte, stimmte es. Aber, war das auch auf die Literatur übertragbar?
„Sie haben also doch dieses Bild für ein Publikum gemalt, nicht...“
„zunächst ausschließlich für mich. Richtig!“
Erneut war ich schachmatt gesetzt worden, wieder war mir das Wort aus dem Mund geklaubt worden. Außerdem, was viel schwerer wiegte, hatte sie absolut Recht mit dem, was sie gesagt hatte, wie ich es jetzt erkannte.
„Für wen malt man schließlich? Kein Künstler, ich wiederhole, keiner malt nur für sich selbst“, und lachte.
So verstummten wir da.