In einem anderen Land - Hommage an Ernest Hemingway II. Teil

Erzählung zum Thema Begegnung

von  pentz

Vor der Grenze machten wir noch einmal in einer größeren Stadt halt.
Ein Jugendlicher, umringt von einem Pulk anderer, bittet mich um Feuer. Als ich habe verneinen müssen, fasst er an meine Muskeln und flötet laut: „Oh, seht Euch den an, wie viel Muskelpakete der darunter versteckt hält.“ Er drückt meine Arme mit einer Hand, die andere grabscht in meine Umhängetasche. Meine Freundin stößt diesen plötzlich von der Seite weg mit beiden Händen: „Da schau her, schnüffelt da in anderer Leute Tasche herum.“ Über so viel Attacke schockiert, möglicherweise von ungeahnter Richtung her-, nämlich von einer Frau kommend, flüchten der Jugendliche und seine Schar.
Ich gehe in die Knie auf dem Bordstein nieder, wo wir gerade standen. Schweißperlen rannen über meine Stirne. Meine Hand wischte sie mit dem Rücken ab. Salzige Tropfen fielen mir ins Auge. Ich griff zitternd nach einer Zigarette.
Sie setzt sich nieder neben mich auf den Boden, schlägt ihre langen Beine bedächtig übereinander. Eines steht in die Höhe und wippt gemächlich vor sich hin. „Hast Du den gesehen, wie der geflüchtet ist?“ Ich bin noch überwältigt. „Aber Du hast es ihm gezeigt. Hätte ich Dir ehrlich gesagt, nicht zugetraut.“
Ihr Gesichtsausdruck verrät keinerlei Regung zu der Aufregung über das hektische Geschehen vorhin, noch zu meiner saudummen Bemerkung über ihre Rolle dabei. Ich versuche nicht als Hosenscheißer da zustehen, zumal im Nachhinein, allem Anschein nach und mit ihren Augen gesehen, das doch bloß ein Witz war.
Ich rede und rede, rede gegen mein Schwäche an, rede mich zu einem Winzling und Gnom ihr gegenüber. Ihr Blick umrundet von einer starren Maske; fixiert gen einen hohen Berg.
Was war schon geschehen: ein Rotzfrechling hatte versucht einen Anderen zu beklauen. Dessen Begleiterin hat ihn etwas angestupst, auf dass er wieder den Abgang mache. Lächerlich, wie jener samt seiner Freunde erschrocken  in alle Himmelsrichtungen auseinanderstobte. Das war’s. Und du machst solch ein Brimborium daraus, großer, starker Mann. Das ist schon schwach!
Was soll ich tun, mich verfolgt die Situation. Immerhin bekomme ich mich in den Griff: mein Redeschwall versiegt.
Was, diese Situation war doch kaum bedrohlich, was hast du? Schlimmer als das wiegt dein falsches Bild von mir. Merkwürdig!
Aber zunächst noch befinde ich mich in Schockstarre, mehr als das andere verfolgt mich die Frage, wie der nur auf mich verfiel? Ziemlich heruntergekommen, konnte ich doch unmöglich eine vielversprechende Beute darstellen? Anscheinend wirke ich noch nicht verwahrlost genug – trotz regennass-starr verknitterter Klamotten. Oder habe ich ein Opfergesicht, dessen ich mir noch nicht bewusst bin? Passt meine Visage in ein bestimmtes Beuteschema?
Ich war ratlos. Ich wäre fast das Opfer eines Diebstahl geworden. Dabei war ich hungrig, ausgeliefert den unverschämt teuer feilgebotenen Essens-Happen hier und andere, die es genauso nötig hatten, überfielen mich. Da stimmte etwas nicht! Vielleicht wurde ich auch als Hyäne gesehen, aber als schwächere, die von anderen versucht wurde, Leichen zu fleddern? Mein Selbstwertgefühl ging den Bach hinunter, mit dem Rinnstein, in denen meine Füße standen und durch den ein kleines Rinnsal Wasser floss. Zum Glück von einem einigermaßen klaren Quellwasser der nahen Berge durchzogen. Insofern befand sich mein Ich in guter Gesellschaft, das den Hügel hinunterfloß.

                                                        *

Schweißgebadet wachte ich auf. Inmitten der Nacht, Dunkelheit ringsumher, Schatten huschten über die Zeltwand. Scharrte da nicht etwas außerhalb in unseren Abfällen? Ein Bär, eine Ratte, Schwarz- oder Rotwild? Kein Zivilisationslicht hellte die Schwärze etwas auf. Wo befand ich mich hier, eingehüllt in die Natur wie in ein dunkles Grab? Vor mir, über mir, im unendlichen Schwarz-Raum, schwebte das Gesicht des vereitelten Diebes: sehr dunkelbraun, Dreitagebart und hirschbraune Augen. Einer meiner alten Freunde, wurde es mir schlagartig klar. Wie einem Dämon, den man einst entkam, stand er mir gegenüber, Ausflucht geschlossen, Flucht ausgeschlossen und Zuflucht verschlossen. Von einem meiner guten alten Freunde! Doch wollte ich mich nicht erinnern. Ich versuchte krampfhaft wieder einzuschlafen. Natürlich wurde es nur schlimmer. Nun Erinnerung, so komm!

Plötzlich warf er sich auf den Sitz des Rollers, fälzte sich darauf  hin mit seinem breiten Hintern und die langen Beine fuhren akkurat rechtwinklig auf den Boden. Der Lackel steckte sein Revier ab, verkündete unmissverständlich: he, Fremder, du bist hier auf meinem Territorium, sei Dir dessen bewusst! Er ließ nicht breit und kantig seine Gesichtsmuskeln spielen, um herausfordernd Unerschütterlichkeit und Angstfreiheit zu signalisieren. Dazu schaute er zu ernst drein. Ihm ging es nicht so gut, dem sauren Gurkengesicht nach zu schließen. Da zeichneten unverkennbar fundamentale Furchen holzschnittartig ein jugendliches Gesicht. Anzunehmen, das nicht gut Kirschen zu essen war mit ihm.
Worauf er saß: auf einem Roller mit einem Eis-Am-Stil-Kasten, Marke Selbstanbau. Der Eiskübel am Gefährt gehörte meinem wuchernden Chef, der selbst das Trinkgeld von seinem Angestellten erbot „Das Trinkgeld, das du durch den Eisverkauf einnimmst, lieferst du bei mir ab!“ Ich konnte nichts dagegen sagen, mir war der Mund verschweißt. Der Typ von einem Chef hatte seine Lehre in dem Land gemacht, in das ich hineingeboren worden war. Für die Sünden der Eltern zahlen die Kinder. Bei seinesgleichen hier war die Rate natürlich besonders hoch, eigentlich unbezahlbar. Einen seiner Stammesmitlieder danach befragt, was das Wichtigste für ihn und seinesgleichen sei, war: „Die Familie!“
Ich schlief ein darüber, verfolgt von dieser Aussage bis in turbulente Träume hinein.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(20.11.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram