Container

Essay zum Thema Kosmos

von  Lala

Wenn ich morgens aufstehe, dann stehe ich schon mit einem Bein in Libyen. Putze ich mir die
Zähne, schaue ich nach Nippon, sitze ich an meinem Schreibtisch, hocke ich mit einer halben
Arschbacke auf dem Supervulkan im Yellowstone. Aber nichts davon passiert mir tatsächlich.
Außer: aufstehen, abputzen, arbeiten.
Als Marco Polo am Tag seiner Abreise, am Tag des Beginns seiner weltberühmten Expedition
aufstand, so war er mit seinen Gedanken wahrscheinlich auch nicht vollständig in Venedig.
Wahrscheinlich schweifte er gedanklich schon ab ins bevorstehende Abenteuer, die
exotischen Gerüche und die fremden Welten, von denen er sicherlich gelesen und gehört
hatte, vielleicht Illustrationen kannte, die ihm aber ansonsten vollständig unbekannt waren
und die es erst galt zu entdecken.
Keine Stimmen, keine Bilder aus dem Äther, erst recht keine mit Musik unterlegten Live
Bilder vom Reiseziel konnte er sich auf sein Laptop laden. Seine Tagebuchkladde war nicht
vernetzt und besaß keine Webcam. Er musste schon selbst hinfahren, er musste mehrmals
über seinen Horizont hinausfahren, wenn er es denn wissen wollte und Polo wollte es
anscheinend genau wissen.
Wenn ich morgens im Hamburger Hafen zur Blohm und Voss Werft schaue und dort eines
dieser riesigen Containerschiffe sehe, deren Bäuche bis über das Deck hinaus mit
gleichförmigen, rechteckigen und geruchslosen Containern vollgestapelt sind, überkommt
mich das Gefühl, dass der Traum des Marco Polos, des Abenteurers, Entdeckers und nicht
zuletzt des Händlers, die Welt ganz real in Form einer Norm Schachtel erobert hat. *
Als ich ein kleiner Junge war, war die Eroberung des persönlichen Umfeldes, der zwei, drei
oder vier Kilometer große Kreis ums eigene Bettchen, der sich mit meinen kleinen
Zirkelschenkeln halt drehen ließ, noch ein Abenteuer a la Marco Polo en miniature. Dunkel
entsinne ich mich an Orte, die verboten waren, an Personen, die gemieden werden mussten
und Dinge, die nicht angefasst werden durften. Damals in Krähenwinkel konnte ich jeden Tag
meinen Horizont erweitern, ohne dass die Welt kleiner zu werden drohte, im Gegenteil sie
wurde groß und größer. Dann muss ich aber sehr bald aufgehört haben, selbst zu wandern.
Jedenfalls blieb ich sitzen und die Welt kam zu mir. In Form von Radio-Container, TVContainer,
TCP/IP-Container und in “twenty-” oder “forty-foot equivalent units” auf
Containerschiffen.
Die Welt ist keine Kugel mehr? Sie ist jetzt so eckig und würfelförmig wie ein Container?
Oder wurde die Welt in genormte Container gesteckt? Oder bin ich der Einzige, der im leeren
und dunklen Container hockt?
Noch immer sitze ich am Schreibtisch, bewege mich nicht und bin vor Jahrhunderten schon
stehen geblieben, während die Welt längst an mir vorbeigezogen ist und ich nur noch ihren
Schatten sehe oder ihrem Echo lausche. Die Welt, die mir geblieben ist? Die passt auf eine
DIN-A4-Seite.
* Wer Marco Polo ohne Anführungszeichen googelt erhält als ersten Treffer: Marc O´Polo ist
eine moderne Casual Marke.


Anmerkung von Lala:

Leider haben Irrsinn, Hinterfotzigkeiten und m. E. die Dünnhäutigkeit derer, die ihre Hose beim Schreiben festhalten müssen, weil sie Angst davor haben, sich nackig zu machen oder kurzum mediokren Geistes sind, dazu geführt, dass keineKolumne verschwunden ist.
Da aber hatten diese und mind. zwei wetere kleine Kolumnen, die ich gerade suche, ein zu Hause gefunden. Ich habe LuJa nie verstanden warum er seine Kolumnen nochmals als Text eingestellt hat. Jetzt verstehe ich ihn. Und nicht nur darin.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (27.02.13)
Eine wunderbare Abwechslung zwischen all den kilometerlangen wie einheitlich aussehenden Kohlezügen und Containertransporten, zumindest fürs Auge, sind jene Güterwaggons, die eine bunte Schlange gestapelter Autos einer Marke durch die Gegend kutschieren, bevor diese auf den Straßen dieser Welt, ob nun mit oder ohne verzinkte Karosse, dann eben an den minderwertigen Schrauben, Rost ansetzen dürfen.

Es gibt immer jemanden, der seine irgendwann mal gemachten Gedanken zuerst aufschreibt. Für die Nachwelt. Ob nun erforderlich oder nicht, aber er tut es. Und dann gibt es noch denjenigen, der das liest, und der denkt dann, warum, du hohle Nuss, hast du das nicht schon längst getan. Denn du dachtest fast das Gleiche.

Liebe Grüße
Llu ♥
(Kommentar korrigiert am 28.02.2013)

 Lala meinte dazu am 28.02.13:
Hallo Llu,

ja, das kenne ich auch gut. Dieses Gefühl: Hey, das wollte ich doch auch schreiben. Und das ist in diesem Falle ein schönes Kompliment an die Kolumne, dass sie nah dran an dem ist, was Dir zu diesem Thema auch vorschwebte. Aber deswegen würde ich an Deiner Stelle nicht darauf verzichten es zu tun, den fast das Gleiche? Hauptsache Bunt. So wie der Autozug.

Danke für den Kommentar und Deine Empfehlung.

Gruß

Lala

 Isaban (27.02.13)
Ich glaube, wir alle tragen unseren Container wie eine Eisenkugel - nein, wie einen Klotz am Bein - immer mit uns. Eine moderne Seuche, ansteckend wie Pocken und gewissermaßen genau so lebensbedrohlich.Wir leben nicht mehr, wir lassen uns leben. Einmal davon befallen, ist es sehr schwer, ein paar Atemzüge ganz ohne zu tun. Und was besonders irre ist: All die anderen Containerträger fragen gleich nach, was denn Schlimmes passiert ist, wenn man das Ding/die Dinger mal ein paar Tage nicht tätschelt. ;)
Igittigit, wie ekelig, wenn man sich selbst in so einem Text im Net (und somit im Container) wiederfindet. Da klärt im Grunde der Container über den Container auf, ohne dass der Ausgang beschildert ist.

Liebe Grüße

Sabine

 Lala antwortete darauf am 28.02.13:
Hallo isaban,

Wir leben nicht mehr, wir lassen uns leben.

Das ist sicher ein Motiv dieses Textes: Passivität. DIe Zeiten ändern sich, man lebt in einem DIN genormten Wohnaquarium mit Sauerstoffzufur, bunten Bildern auf dutzenden Ambient Programmen und mit Internetanschluss. Super bequem. Wer will da einen Ausgang finden? Aus dieser wunderbaren, abendländischen Matrix? Nein, so pessimistisch dachte ich das gar nicht, aber gerade am Ende der Kolumne wird es dunkel. Eigentlich schwingt da auch technische Faszination mit und vor allem für den Container, dem vierzig Fuß Container. Scheiß aufs Internet, der Container hat die Globalisierung erst möglich und wirtschaftlich interessant gemacht. Ein blöder vierzig Fuß Container aus den fünfziger, sechziger Jahren. So naheliegend und zwingend und von zehn anderen gleichzeitig erfunden wie VHS, Betamax und Video 2000 war das Teil nicht. Die Leute waren skeptisch. Zum Glück war es kein 42 Fuß Container. Sonst würde ich an Douglas Adams denken. Nein, dieser Container macht es möglich, dass man die Welt nicht nur anklicken und sich ein Bild von ihr machen, sondern die Erzeugnisse auch anfassen kann auf low budget und independent Niveau. Diese Container sind das spanische Gold der Jetztzeit.

Einen beschilderten Ausgang aus dieser 24/7 rund um die Uhr und rund um den Äquator Welt? Will im Abendland jemand einen Ausgang haben, ohne die Bequemlichkeiten des Containers zu vermissen? Marco Polo ist längst verwest.
MelodieDesWindes (36)
(27.02.13)
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 Lala schrieb daraufhin am 28.02.13:
Hallo MDW

Schade, ich befürchte ich habe durch Kosmos einen falschen Zungenschlag hinzugefügt. Und nein: es gibt eine zweite Kolumne, die an dieser anschließt und versucht die Enge, die hier als gegeben benannt wird aufzubrechen. Leider finde ich sie nicht. Es geht da um Unmöglichkjeiten im zweidimensionalen, schwarzwei0en Raum aber auch um die ungeheuren Möglichkeiten eines unbeschriebenen zweidimensionalen* Blatt Papiers.

Danke für Deinen Kommentar und Deine Zeit.

Gruß

Lala

*Wenn ich mich recht entsinne erkläre ich in der Kolumne warum ich den Blanko-Bogen als zwei obwohl nicht zweidimensional verstanden haben will.
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