Geschwätz

Sestine zum Thema Absurdes

von  LottaManguetti

Nichts pflegt er lieber als den Selbstbetrug.
Der Mensch ist ein Gewirr gestrandeter Versprechen,
kein Tier, im besten Fall entbehrliches Gesindel,
dem es gelang aus der Entwicklung auszubrechen.
Sein Lebensziel erstreitet er mit Lug.
Er schöpft aus Täuschung, Gaunereien, Nepp und Schwindel.

Als ginge es ihm ganz allein darum, durch schwindel-
erregenden und reichlich Selbstbetrug
den Sinn der Worte neu zu prägen. Lug
und Sinnverzerrungen verdrehen sein Versprechen.
Selbst wenn die Fälscher anfangs schüchtern radebrechen,
ihr Mittelsmann wirft's lauthals unter das Gesindel.

Erstarrt ob dieses weisen Akts fragt das Gesindel
nicht nach (die werden das schon wissen!), und der Schwindel
bereitet neu ein Fundament, auf dem Verbrechen
begangen werden, strotzt vor Selbstbetrug.
Wir scheuen nicht davor zurück, ihn auszusprechen,
sind im Begriff gefangen, jenem Lug.

Welch abderitisches Geschwätz und Lug!
In irrem Ungestüm betrügt sich das Gesindel!
Vermag ein Mensch auch nur im eignen Raum zu sprechen,
sucht er nach Selbsterhöhung und erliegt dem Schwindel.
Der Untertan, er lechzt nach Selbstbetrug.
Zu selten glückt es ihm, aus allem auszubrechen.

Er formuliert so gern. Er schwätzt bis zum Erbrechen.
Zwar wittert sein Gewissen diesen Lug,
erkennt den überhöhten Selbstbetrug ...
Und dennoch: In Gemeinschaft stärkt sich das Gesindel.
Vereint palavert es und steigert sich in schwindel-
erregenden und autogenen Heilsversprechen.

Der Mensch erlernt das Sprechen, um sein Wort zu brechen.
Vermittels Schwindelei und Täuschung und mit Lug,
krönt das Gesindel sich (und mit ihm: ich) den Selbstbetrug.


Anmerkung von LottaManguetti:

2014

Sorry, der Text stand schon mal hier drin.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (11.10.19)
Tolles wortgewaltiges Werk! Besonders der erste Satz des weisen Terzetts hats mir angetan.

Liebe Grüße
Llu 💙

 LottaManguetti meinte dazu am 14.10.19:
Danke, Llu. Lieben Gruß nach Dräsdn.

Lotta

 EkkehartMittelberg (11.10.19)
Hallo Lotta, dein formvollendetes, variantenreiches Gedicht um Lug und Trug ist leider absurde Realität. Beeindruckend!
Liebe Grüße
Ekki

 LottaManguetti antwortete darauf am 14.10.19:
Lieber Ekki, sicher gibt es noch viele andere Facetten, aber ich hatte mich dereinst mit denen der Lüge beschäftigt. Die dreiste Lüge ist eine der von mir am meisten verabscheuten Eigenart menschlichen Zusammenlebens.
Ich danke dir und grüße dich

Lotta
Fisch (55)
(11.10.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 LottaManguetti schrieb daraufhin am 14.10.19:
Und? Gehts dir jetzt wieder gut? Mir ja.

Tu amiga fiel hasta el final

Charlotte Stolperstein

Antwort geändert am 14.10.2019 um 15:20 Uhr

 TassoTuwas (11.10.19)
Liebes Lottchen,
so absurd ist das gar nicht. Der Selbstbetrug findet doch täglich statt und kann bis zur Perfektion getrieben werden.
Ich werde mich jetzt mal in Wahrhaftigkeit üben und sage, die Sestine ist großartig
Liebe Grüße
TT

 LottaManguetti äußerte darauf am 14.10.19:
Er gehört zu uns wie die Luft, die wir atmen. Dennoch kann man wenigstens anderen gegenüber versuchen, nicht allzu verlogen daherzukommen. Bewusst verlogen, meine ich.

Ich grüße zurück
;-)

Lottchen

 TassoTuwas (11.10.19)
:-)

Kommentar geändert am 11.10.2019 um 21:04 Uhr

 LottaManguetti ergänzte dazu am 14.10.19:
:P

Antwort geändert am 14.10.2019 um 09:03 Uhr
Agneta (62)
(11.10.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 LottaManguetti meinte dazu am 14.10.19:
Das freut mich, Agneta! Riesig!

Mit Gruß Lotta

 AchterZwerg (12.10.19)
Liebe Lotta,
eine gut gemachte Sestine, die inhaltlich überzeugt.
Das Schlimme daran ist, dass der "Mensch" und das sog. "Gesindel" stets auch selbsreferentiell zu interpretieren sind.

Verhaltensweisen sind im Fluss. Wer gestern ErbfeindIn war, kann schon heute mit uns am Cafétische sitzen, egal, was er zuvor gesagt hatte ...

weiß der8.

 LottaManguetti meinte dazu am 14.10.19:
Sehr wohl, Achter, muss sich zunächst jeder an die eigene Nase greifen. Im Besonderen habe ich persönlich keine Probleme damit. Selbstreflexion sollte immer stattfinden, bevor man an anderen etwas moniert.
Was allerdings auffällt, ist, dass einige meinen, mit Unwahrheiten ließe sich die Welt lohnenswerter ertragen. Trump und Konsorten muss ich nicht extra anbringen oder? Lügen haben eine längere Tradition als die, die sich ihre Realität mittels derselben hinzubiegen versuchen.

Und deinen letzten Satz betreffend: Eine Freundschaft der gestörten Verhältnisse überwindet nur die Vergebung/die Liebe.

...

weiß Lotta

 AchterZwerg meinte dazu am 14.10.19:
Liebe Lotta,
schön, diesen letzten Satz von dir zu lesen.
Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel - Robespierre war ebenfalls ein großer Freund der Wahrheit und Tugend.
Das soll jetzt natürlich kein Vergleich sein.
Ich frage mich allerdings schon oft, wem diese ganzen Forenkriege und Versuche der Einflussnahme eigentlich etwas nutzen?
Ich beteilige mich grundsätzlich nicht daran und lasse mich nur ungern manipulieren.
Kunst ist und bleibt für mich wertfrei.

Liebe Grüße
der8.

 LottaManguetti meinte dazu am 21.11.19:
Sestinen sind nicht einfach zu schreiben. Ausgangspunkt ist bei mir stets die Coda, weil sich diese zum Ende hin mit der Verwendung aller Reimworte immer schwieriger gestaltet.

Coda:

... a... b
... c... d
... e... f

Eine Spielerei von mir: sich reimende Endreime.

 princess (12.10.19)
Liebe Lotta,

ich gestehe: Fast mit Widerwillen habe ich dieses Opus gelesen. Mehrmals. Seiner wirklich gewaltigen Sprachkraft konnte ich mich nicht entziehen. Wie du ein solches Stakkato an Bildern in Sprache übersetzt, das beeindruckt mich. Der "Widerwille" kommt aus dem hier vermittelten Menschenbild. Ich weiß natürlich, dass es all dies gibt. Und ich kann nicht aufhören zu glauben, dass der Mensch an sich gut ist.

Danke für den tollen Impuls!

LG Ira

 LottaManguetti meinte dazu am 14.10.19:
Liebe Ira, ich kann deinen Widerwillen sehr gut nachvollziehen. Allerdings habe ich lernen müssen, dass der Glaube an das Gute im Menschen das eigene Verderben befördern kann.
Gut, gut, im obigen Sestinchen widme ich mich lediglich eines Charakterzuges, der bestimmt nicht der einzige sein wird, der einen Menschen grundsätzlich ... aber grundsätzlich doch.
:-)

Lotta

Antwort geändert am 14.10.2019 um 09:53 Uhr
Al-Badri_Sigrun (61)
(12.10.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 LottaManguetti meinte dazu am 14.10.19:
Liebe Sigrun, ich gebe zu, ich schreibe gern Sestinen. Sie haben so einen eigenwilligen Rhythmus, so ein enges Korsett und überhaupt.

:D

Danke und lieben Gruß
Lotta

 GastIltis (15.10.19)
Liebe Lotta, zum Glück habe ich noch deinen Text „Spring“ gefunden, um ihn als Vergleich heranzuziehen. Ursprünglich dachte ich, ich hätte ihn gespeichert, es war aber „nur“ dein Betr. Achtung, für das das „nur“ so verfehlt ist wie irgendetwas sonst auf dieser Welt. Innerhalb dieses Satzes musste ich jetzt eine mehr als einstündige Pause einlegen. Warum, schreibe ich dir per PN. Jetzt musste ich mich aber wieder am Text orientieren. Dass du hier die aktuelle Notwendigkeit mit einem „alten“ Teil bestückst, zeigt, wie sinnvoll es ist, solche Texte von Zeit zu Zeit zu schreiben oder auch wieder einzusetzen. Wenn man in der passenden Stimmung ist. Für mich ist die Zeit noch nicht gekommen. Wenn ich mir Mühe gebe, wenn, wie gesagt, werde ich zwar nie deine Meisterschaft erreichen, aber ungefähr erahnen können, was den Unterschied ausmacht. Und das ist doch schon was. Ich schreibe diesen Beitrag immer noch unter Zeilen wie „Schweige. Schweige und sieh: Wie sich der Mensch verhält.“ Und da war doch einiges mitzubekommen, von gestern zu heute.
Ich grüße dich voller Bewunderung. Herzlich Gil.

 LottaManguetti meinte dazu am 15.10.19:
Dass du meine Ode (Schweige, schweige und sieh...) noch hast, freut mich sehr!
Auch dass du obige Sestine so gut bewertest, ist mir ein großes Lob.
Dafür danke, Gil.
Ich verspreche dir, weiter an lyrischen und prosaischen Ideen zu arbeiten, schon deshalb, weil ich das dazu nötige Handwerk so sehr liebe.

Bis bald
Lotta

Antwort geändert am 15.10.2019 um 19:51 Uhr
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram