Das einmalige Rendezvous - Teil XVII.

Erzählung zum Thema Apokalypse

von  pentz

„Ich möchte die nächste gute Stunde nicht gestört werden!“ Und wir schreiten durch den langen weiten Gang im Präsidium zum Zimmer des Kommissar.
„Ist klar! Herr Kommissar“, hat die gestresst wirkende Sekretärin geantwortet, um sich sofort wieder mit ihrem Kopf in die Unterlagen zu vertiefen. Welch Graue-Maus-Gesicht! Zersauste Haare und durchfurchtes Gesicht hat wenig gemein mit einer modernen Bürodame. Muss ein harter Job sein, Bürokraft bei der Polizei – diese Hetz-, Hatz- und Schmähtiraden sich über sich ergehen zu lassen, die von diesen dort herumstehenden dubiosen Gestalten unaufhaltsam losgeschossen werden: „Gesindel“, „Asoziale“ und „Steuer-Flüchtlinge“ da...

Ich sitze in einem Sessel des Präsidiums und grüble wieder einmal über meine verfahrene Lage nach.
Ich weiß ja nun Bescheid, wie der ermittelnde Kommissar über mich denkt. Als Mörder der Kritikerin erscheine ich ihm zwielichtig. Er sieht mich wohl als schrägen Vogel, zu dem solche unglücklichen Umstände des Grillbrandes und deren unbeabsichtigte schreckliche Folge, der Tod der Lehrerin, passen. Für diese Tat, leichtfertiger Umgang beim Grillen, würde ich wohl zur Rechenschaft gezogen werden. Totschlag, nicht vorsätzlicher Mord! Meine Verurteilung wird weder Fisch noch Fleisch sein: angesichts meines Nicht-Vorbestraft-Seins komme ich mit ein paar Jährchen davon. Und wahrscheinlich werde ich dennoch einsitzen müssen.
Was ist das wert? Was ist noch von meinem Leben übrig, wenn ich rauskomme? Die Schriftstellerkarriere ist jedenfalls ausgeträumt, das steht fest.
Anderseits, fahre ich wegen Mordes an der Kritikerin ein, dann würde die Brandsache einen anderen Stellenwert bekommen. Sie würde auch als ein kapitales Verbrechen erachtet werden. Danach hätte ich endlich einen Doppelmord auf dem Buckel. Das würde so viel Staub aufwirbeln und genügende Publicity hervorrufen, das mein Schriftsteller-Dasein die nötige Glaubwürdigkeit bekäme.
So aber?
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr schält sich eine notwendige, klare Vision heraus, die mir den besten Ausweg aus meiner misslichen Lage verspricht. Zuerst ist es nur ein Impuls, sofort verworfen wegen diagnostiziertem Schwachsinn, aber bald kommt die Gegenreaktion: WARUM NICHT?
Ich schlucke.
Brächte ich den Polizisten jetzt um, wäre glasklar, dass ich ein ernstzunehmender Mörder und ein solcher Mensch wäre, der nicht ein Schaumschläger, Larifari-Kasper und Budenzauberer ist, sondern ernsthaft hinter seiner Schriftstellerei stünde.
Punktum.
Von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, mutierte ich damit sogar zum richtigen Autoren.
Verlockend.
Den Polizisten töten!?
Sehr verlockend sogar.
Womit aber?
Natürlich mit dessen Dienstwaffe. Groß und breit genug hängt sie ihm am Gürtel. Ich muss nur zugreifen, halt schnell zufassen, irgendwie den Waffenträger übertölpeln, ein Schlag über den Kopf gezogen, damit er besinnungslos wird und schon bin ich in den Besitz des Todbringers.
Hm.
Klingt gut, klingt einfach, sehr einfach.
Bin ich dazu überhaupt imstande?
Ich zweifele tatsächlich, bis ich erkenne, dass diese Zögerlichkeit in meinem Mangel an Selbstwertgefühl gründet, dadurch hervorgerufen, dass mich meine Umwelt nicht für solch eine konsequente Handlung stark, geeignet und entschlossen genug einschätzt. Wenn ich nicht bald etwas unternehme, werde ich zu dem, wie man mich behandelt: ein unglaubwürdiger Schwätzer und Träumer.
Die Zeit läuft.
Tu es, gebiete ich mir.
Die Zeit läuft ab.
Wie soll ich es anstellen? Ich muss vom Rücken des Polizisten her ihn überwältigen.
Nur wie machen, dass ich hinter diesem zum Stehen komme?
Wollte ich um Austreten bitten, würde man mich geleiten, stets sich bei mir eine Person befinden, niemals würde es dabei eine Gelegenheit geben, zu der Rückenseite des Polizisten oder eines seiner Kollegen zu gelangen.

Es öffnet sich gerade die Tür einen Spaltbreit.
Ich erinnere mich, dass er zur Sekretärin gesagt hat, er wolle die nächste  Stunde unter keinen Umständen gestört werden. Es muss sich um etwas Dringendes handeln, dass diese ihn unterbricht und die Unterhaltung und Vernehmung stört. Aber herein tritt sie nicht. Der Polizist steht auf und geht selbst zur Tür und hat mir damit seine breite Hinterfront zugekehrt.
Das ist d i e Chance, denke ich. Die Tür ist schalldicht. Sobald er sie schließt, kann ich ihn übertölpeln, zum Bespiel von hinten meine Arme um seinen Körper schlingen, damit er und seine Hände blockiert sind.
Das ist ein eminenter Vorteil, von hinten, jetzt!
Aber mir graut davor.
Denn töten will ich ihn nicht. Es genügt die Geiselnahme.
Wehrte er sich, bin ich gezwungen, ihn kopfvoran an die Wand zu donnern. Wie stark oder auf welche Weise oder wohin am geschicktesten und effektivsten muss dieser aufschlagen, ohne ihn nachhaltig zu verletzten, gar einen Toten zu produzieren, zumindest ihn vorübergehend außer Gefecht zu setzen? Der Kommissar muss anschließend noch aufwachen, damit ich mit ihm verhandeln kann.
Vergiss, du bist völlig aus der Übung. Das ist zu risikobehaftet.
Inzwischen tritt der Kommissar auch schon wieder an seinen Schreibtisch.

Ich versuche es mit einem Trick. Mag es mir keiner glauben, aber ich provoziere ihn voll bewusst. Natürlich werden viele abwinken, sagen, den kennen wir schon, Psychologie-Erstsemester, nichts besonderes. Stimmt! Aber es muss klappen.
Ich frage also den Polizisten, indem ich mit der Faust auf den Tisch schlage, was in Gottes Namen er überhaupt von mir denkt? Theatralik ist wichtig.
Er blinzelt überrascht mit den Augen, zieht die Brauen zusammen und gibt sich einen Ruck. Es wäre überzogen zu behaupten, dass dies Zeichen von Angst und Einschüchterung wären. Aber Respekt tut sich darin schon ein bisschen kund.
Ich schreie nahezu: „Aha, Sie halten mich wohl für Gaga! Aber das bin ich nicht. Ich entspreche überhaupt nicht dem Bild, das Sie von mir haben. Soll ich Ihnen sagen, was Sie von mir denken? Das, was die meisten Bürger über Dichter, Denker und Philosophen meinen: von denen geht keinerlei Gefahr aus, deren Wut und Frust verpufft auf dem Blatt Papier sozusagen, bei diesen Tintenklecksern, denn, geht bei denen etwas daneben, dann höchstens ein paar Tropfen Tinte von ihrem Füllfederhalter.“
Schweigen.
„Stimmt’s nicht?“
Der Polizist ist einfach zu paff, um zu antworten. Mehr als Rhetorik ist das ja nicht, denn der Ton meiner Rede gebietet: sag nichts, unterbreche mich nicht, hör zu.
„Und wie komme ich darauf, dass Sie so denken?“
Kunstpause.
„Ganz einfach, Sie finden es nicht einmal für notwendig, mir Handschellen anzulegen. Das ist geradezu beleidigend. Sie signalisieren mir damit: der ist es nicht mal wert, dass man Vorkehrungen zur Fluchtverhinderung trifft. - Ich frage Sie, kann ich denn nicht richtig vollgenommen werden? - Andere Menschen können gefährdet sein, wenn ich ausraste, einen Fluchtversuch mache, dabei Geiseln nehme und und und. Aber nein! Muss man aber nicht mit allem rechnen und besonders solchen Menschen alles zutrauen, die ihre Nachbarhäuser in Brand gesteckt haben wie ich? - Geht nicht die Sicherheit des Bürgers über alles? - Aber nein, nicht bei einem Schriftsteller.“
Ich merke, der Polizist macht jetzt eine abwehrende Handbewegung, vielleicht als Einleitung zu einer Gegenrede. Schnell füge ich noch hinzu: „So sieht’s aus!“
Der Polizist ist unterbrochen worden. Gut so.
Sobald er erneut anheben wird, wird ihm wieder ins Wort gefallen.
Schon regt sich etwas bei ihm, bilde ich mir ein.
„Habe ich denn nicht auch ein Anrecht dazu, wie ein potentieller Verbrecher behandelt zu werden?“
Ein bisschen schwach, weinerlich, kläglich, aber es muss sein, das muss sogar noch ein paar Mal sein. Die Strategie ist, seinen Widerstand herauszukitzeln.
Bevor er wieder ansetzt, wage ich das Absolute.
„Sehen Sie, Sie würden sogar vor mir die Waffe achtlos auf den Tisch legen und liegen lassen, arglos zu ihrem Aktenschrank dort gehen, um einen Leitzordner herauszuziehen, notabene gemütlich mal auf den Lokus verschwinden, während die Knarre gefahrlos hier auf dem Tisch liegen bliebe. Sie würden denken: keine Gefahr. Von dem nicht. Das ist der Letzte. Er ist von der Sorte, der keiner Fliege etwas zuleiden tun könnte.“
Erneut schnappt er nach Luft.
Ich beuge mich nach unten, drücke den Rücken durch, um so einen gedrückten Menschen mit Buckel zu bilden. Kleiner will ich mich machen als ich bin, mich unter dem Schicksal gebeugt zeigen. Jedoch schieße ich noch um mich.
„Haben Sie keine Angst, das ich vielleicht bluffe? Dass ich nicht so bin wie ich erscheine, harmloser als harmlos? Vielleicht bin ich gar nicht zu bedauern? Bin durchtriebener als sie vermuten? Eine gescheiterte Existenz, ja. Aber immer noch gefährlich. Möglicherweise gerade deswegen!“
Jetzt müsste ich weinen können, wenn ich es denn gelernt und die Rolle einer Frau oder eines Schauspielers mir angeeignet hätte, Kuhmist und Hornochse!
Die verborgene Absicht liegt natürlich wieder allen Hobby-Psychologen auf der Hand. Schreite in eine Richtung, damit du in der entgegengesetzten herauskommst. Provoziere das Gegenteil dessen, was Du vorgibst anzuprangern. Stiere das Feuer der Vorurteile auf, unterstelle es kaltschnäuzig, auf dass er sich dazu animiert fühlt, dieses zu leugnen, wobei er gerade dieses durch sein Handeln wird bestätigen und zum Eintreten herbeiführen gedrängt wird, so dass er es letztendlich tun muss.
Jetzt bin ich also an einem besonders kritischen Punkt angelangt.
„Herr Kommissar, Sie beleidigen mich zutiefst. Wirklich, Sie tasten die Würde eines Menschen an!“
Dabei verenge ich meine Augen, um einen finsteren Blick zu machen.
Wenn schon nicht weinen können, dann bedrohlich wirken. Beides wäre natürlich besser.
Nun, operiere ich zumindest mit einer Hand am offenen Herzen. Also, Vorsicht...

Das vollständige Buch erhältlich unter:
http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.html

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (02.06.20)
Na, hoffentlich ist der Text im Buch ordentlich lektoriert!

Kommissar -> Kommissars

 Buchstabenkrieger (02.06.20)
Hallo pentz,

zusätzlich zu Dieter noch ein Hinweis.

Schon mal was von "Show, don`t tell" gehört?
Beispiele:

„Ist klar! Herr Kommissar“, hat die gestresst wirkende Sekretärin geantwortet, um sich sofort wieder mit ihrem Kopf in die Unterlagen zu vertiefen.
Zeig dem Leser doch - oder noch besser: lass den Leser selbst darauf kommen - , dass die Sekretärin gestresst ist und behaupte es nicht einfach nur.
Vielleicht bewegt sie den Kopf hin und her, knibbelt an den Fingernägeln, hat Schnappatmung. Zeige es!

LG, Buchstabenkrieger
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram