Gundula Gause und das Glück der Fische

Text zum Thema Freude

von  toltec-head

Berlin Marzahn. Souterrain Hausmeisterwohnung: Büro, Fickzelle mit Fernwärme und Philosophenstübchen in einem. Neben einem Telefon liegt ein Hörer: leises Besetztzeichen. Das Kabel zur Klingel durchgeschnitten. Gepolsterte Tür, jegliches Klopfen ertönt wie eine Elefantenherde aus einiger Kilometer Entfernung.

Wand mit Kalligraphie:

It is not necessary to live, it is necessary to travel.

Andere Wand mit angenageltem Handspiegel.  Werner Maria Plato schaut sich sein gutes altes Drachengesicht an. Er streicht über seine tiefen Nasolabealfalten und seinen schönen schwarzen Bart, aus dessen Kinnspitze eine weiße Perle lugt. Zwischen seinen Augen, an der Stelle des "dritten Auges" ist eine kleine Rose tätowiert.

In einer Ecke des Spiegels kann er mich beobachten, wie ich auf dem Sofa sitze, Chablis schlürfe und die Tagesthemen schaue.

Werner Maria Plato beginnt seinen Bart zu kämmen, schaut weiter in den Spiegel und sagt:

- Gundula Gause ist heute mal wieder extremst unglücklich.

Ich nippe an meinem Chablis und antworte:

- Red nicht solchen Müll. Du bist nicht Gundula Gause, woher willst du wissen, ob sie unglücklich ist oder nicht?

Er kämmt seinen Bart in aller Ruhe weiter. Dann hängt er den Kamm, eine aufwendige Nachanfertigung des Bartkamms aus Elfenbein des heiligen Heribert aus dem Schnüttgen-Museum in Köln, an einen Nagel neben dem Spiegel, setzt sich neben mich auf das Sofa und sagt:

- Du bist nicht ich, wie kannst du wissen, dass ich das Unglück von Gundula Gause nicht kenne?

- Ich bin nicht du, ich kann daher vielleicht nicht wirklich sagen, was du kennen kannst und was nicht. Du bist aber sicher nicht Gundula Gause und daher ist klar, dass du nichts über ihr Glück oder Unglück sagen kannst.

- Schenk mir mal bitte etwas von dem Chablis ein.

Wir schlürfen unseren Chablis und schauen Gundula Gause zu wie sie die Lottozahlen vorliest und da Mittwoch ist auch die Zahlen der Extraziehung am Mittwoch. Schließlich sagt er:

- Du driftest ab. Lass uns zum Ausgangspunkt zurückkehren. Du fragtest wie ich wissen kann, dass Gundula Gause unglücklich ist. Dabei wusstest du genau, dass ich nicht Gundula Gause bin. Warum fragst du also so einen Scheiß? Ich erkenne das Unglück von Gundula Gause aus meinem Unglück, wenn ich ihr zuschaue wie sie die Zahlen der Extraziehung am Mittwoch vorliest.

Wir lachen gemeinsam auf und ich kraule ihm wie zur Belohnung ein wenig seinen Bart. Dann zappen weiter durchs Programm bis wir bei einem Tierfilm landen, machen den Ton aus und legen die Fernbedienung weg. Ein Panther auf der Jagd nach Krokodilen. Wir nippen an unserem Chablis und entspannen.


Anmerkung von toltec-head:

Kamm des heiligen Heribert aus dem Schnüttgen Museum in Köln: .

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Kommentare zu diesem Text

mannemvorne (58)
(14.08.13)
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 toltec-head meinte dazu am 14.08.13:
Werner Maria Plato und ich in späteren Jahren:  Klick.
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