Familie Jiu mocht si an Koarl

Satire zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  max.sternbauer

Einmal beschloss das modern-liberal-urbane Paar Jiu, aus der mächtigen Provinzhauptstadt
Chengdu ihren ohnehin weiten Horizont, nun ja, eben zu erweitern.
Auf kulinarischen Gebiet wagten sie den Sprung.
Weg von dem gebratenen Reis und den Frühlingsrollen ihrer Eltern hin zu einer Küche, die von einem dunklen Kontinent kam. Wobei es den Jius niemals eingefallen wäre, dunkler Kontinent zu sagen. Oder zu denken. Nein, sie lebten in der großen Stadt, gingen in Tanzshows, wo Gruppen aus Senegal gastierten. Sahen sich französische Filme im Original an. Ohne Untertitel. Und versuchten mit dem Gaumen, die Noten dekantierter Weine zu ertasten, deren Flaschen sie von den Etiketten befreit hatten. Nur um nicht zu schummeln.

Und nun wagte das Paar Jiu einen neuen Schritt. „Soll ich dir etwas gestehen?“, sagte Frau Jiu im Bus zu ihrem Mann. Das Lächeln war leicht gequält, dennoch schimmerte es wie ein Spiegel vor verstecktem Vergnügen. Herr Jiu hielt ihre aufgelegten Hände. So wie er es immer tat. „Mir dreht sich jetzt schon der Magen, bei der bloßen Vorstellung an...!“. Sie schwieg und lächelte. Der Mann lächelte auch, weil er gar nicht anders konnte, als jedes mal zu lächeln, wenn seine Frau lächelte. 
Weil das Paar Jiu selbstverständlich auf die Umwelt achteten, hatten sie den Bus genommen. Herr Jiu fuhr selbstverständlich mit dem Rad in seine Fabrik. Wo Safe-Tibet-Fahnen  für den westlichen Markt produziert wurden. Die waren gerade groß in Mode. Das Paar Jiu hatte sich eine Flagge angeschafft. Sie hing in der Kammer, wo die Haushälterin den Staubsauger parkte, damit diese nicht so trist wirkte.
Wo diese Fahnen schließlich landeten, von dort kamen auch die Köstlichkeiten her, die sich das Paar Jiu widmen wollte. Der kleine Laden lag im Erdgeschoß eines zusammengefalteten Hochhauses. Vor dem Eingang wirkte sein Inneres wie eine Telefonzelle. Dessen Besitzer grüßte seine Besucher mit Blicken aus den Augenwinkeln. Dann beugte er seinen Kopf wieder über die Zeitung, die zwischen seinen Ellbogen lag. Das Paar Jiu näherte sich mit einem breiten Grinsen, als wollten sie ihm den zukünftigen Namensträger vorstellen. Die Augen des Mannes schoben sich wieder in diese lauernde Position.
„Wos woins?“, kam aus seinem Mund. Er nahm einen Schluck von seiner Melange und verzog das Gesicht. Diese Chinesen verstanden wirklich nichts von Kaffee. „Hello!“, sagte Herr Jiu. Die Augen des Verkäufers blickten immer noch an dieselben Stelle. Beide Männer fragten sich, was kommt jetzt? Eine wartende Sekunde schob sich an der anderen vorbei. Frau Jiu kramte eine Formulierung heraus, die sie mal in einem Geschäft in einer Stadt namens Salzburg verwendet hatte. „I-ich schao nur.“
Sie zog ihren Mann hinter sich her, Kurs nehmend auf die versteckte Bucht hinter den Regalen.
Herr Sedlacek,so hieß der Verkäufer, schnaufte.
Das moderne Paar Jiu musterte die Regale mit ihren fremdartigen Inhalten. Natürlich hatte das Paar schon einmal bei McDonalds gegessen. Zudem kannte es auch die seltsamen Bilder, die die Europäer über die chinesische Küche hatten. „Du suchst schon mal das Hundefleisch, ich suche eine passende Soße.“, wies Herr Jiu seine Gemahlin scherzhaft zur Suche an. Diese bedankte sich, in dem sie ihm den Vogel zeigte.
Ein großer Teil des Sortiments bestand zuerst einmal aus Alkohol. Herr Jiu nahm eine Dose in die
Hand und konnte das Wort „Beer“ bestimmen. Daraufhin versuchte er sich an dem Namen des fremdartigen Gebräus. Er trank gerne Bier aus Bambus. „Otta-gring-A“, las er laut und alleine das Zuhören tat ihm weh. Dann kam er zu dem Regal mit den Weinen und war erstaunt. Bei Weinland hatte er immer an Frankreich oder Italien denken müssen. Aber doch nicht an Österreich, dieses kleine Land in den Alpen. Wo hatten die den zwischen ihren Bergen Platz für ihre Weinreben? Und wann die Zeit zwischen jodeln, bergsteigen und Kühe hüten?
Frau Jiu hielt ihm etwas unter die Nase, was ihn von den Wein wegführte. Es wirkte wie eine kleine quadratische Schachtel, die in dünnem, rosafarbenen Aluminium verpackt war. „Sind das Zigaretten?“, fragte sie. „Von der Form her würde es passen.“ Her Jiu zuckte mit den Schultern. „Oder Gewürze, was meinst du, sicher Gewürze, oder etwa nicht?“ Herr Jiu hatte nicht einmal den Anflug einer Idee. Aber Frau Jiu war genau da, wo sie hin wollte. In dem Rausch der Neugier, was das für ein fremdartiger Schatz nun war. Etwas Widerliches, etwas Köstliches? „Whats that?“, fragte Herr Jiu Herrn Sedlcek, der mürrisch seine Krone beiseite schob. „A Packl Mannaschnittn.“
Herr Jiu versuchte ein „Äh“ zu vermeiden. Und drängte er auch die Phrase, er versteht mich wohl nicht, wieder den Hals hinunter. Frau Jiu versuchte es mit folgender Geste. Sie führte ihre Hand
langsam zu ihrem weit geöffneten Mund und tat, als würde sie etwas in sich hineinschieben.
Dann schluckte sie demonstrativ hinunter und  rieb sich den Bauch.
„Des is zum Essn“, sagte Herr Sedlacek und nickte. „Offenbar ist es zum Essen, so eine Überraschung“, sagte Frau Jiu und hob hilfesuchend die Arme.
Herr Sedlacek wollte hilfreich sein. „Se kennan des Packl ruhig aufreissn und nochschaun.“
„Was sagt er denn jetzt?“, fragte Herr Jiu und wunderte sich, dass er diese Phrase hat nicht unterdrücken können. Frau Jiu bekam wieder dieses abenteuerliche Schimmern in den Augen und verschwand wieder kurz hinter den Regalen. Sie kam mit einer zweiten Packung ähnlicher Größe
zurück. „So, wir nehmen das jetzt auch mit. Rätselraten können wir zuhause auch.“     
Sie drückte ihrem Mann die Handtasche in seine Arme und legte einige Geldscheine vor dem Verkäufer hin, damit er sich die passenden heraussuchen konnte. „Da lebt er sicher schon so lange hier, und kann kein einziges Wort. Das ist echt lächerlich.“ Herr Jiu hatte diese Worte nur leicht
gemurmelt, aber er erntete dafür böse Blicken seiner Frau. „Ich mein ja nur.“
Herr Sedlacek schob die Krone beiseite und tippte gegen das Runde Ding. „Des würd i net kaufen.
Des is a Quargl, a Kas. Und sowas verdrogts ihr do net, i maan....“.
Weil sie ihn sicher nicht verstehen würden, sagte er laut und breit „Cheese“ und zeigte auf die
beiden Gegenstände. Aber er zeigte nicht direkt auf einen  bestimmten. Sondern der Finger schwebte im Raum dazwischen, wie ein Pendel. Das Paar Jiu war nun komplett verwirrt.
„Grins auch“, sagte Frau Jiu und stupste ihren Mann an. Dessen Lippen schoben sich krampfhaft nach oben. Schnell wie Schatten verschwanden sie mit dem runden Paket. So schnell, dass Herr Sedlaceks Grinsen das Paar Jiu noch zur Tür brachte.


Anmerkung von max.sternbauer:

Ein Satirisches spiegelverkehrtes Spiel über die Vorstellungen wie man sich in Wien Immigranten vorstellt.

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