Agitprop

Satire zum Thema Politik

von  max.sternbauer

Lukas Weigel war ein schwer arbeitender Proletarier. Mit seiner Freundin wohnte er auf nicht so vielen Quadratmetern.Und er hatte eine Schildkröte die er Morla nannte. Ja  genauso wie die aus der „Unendlichen Geschichte“.
Lukas war kein politischer Mensch bis dahin gewesen. Niemals gewesen Aber er sollte es werden.
Ganz unspektakulär sogar. Er aß Kekse die seine Freundin gebacken hatte und starrte auf den Parkplatz seiner Firma. Dort sah er er nichts was ihn bewogen hätte, keine Gräueltaten.
Da fragte er sich, so bei sich, ob er nicht was verbessern könnte.
Er schaute, kaute und fragte sich.Und fertig war sein beginnendes politisches Engagement.
Da fand er auch den Zettel, den politischen.
Auf einen Toilettendeckel in einer Kneipe. Lag da wie von einem Kellner serviert, auf dem Deckel des Klos, dieses Ding. Einmal ging Lukas auch hin, zu diesem Treffen das dort proklamiert worden war. Ohne revolutionär gesinnte Hummeln im Arsch.
Es war ein schönes altes Haus. 200 Jahre alt.
Mit einem Innenhof,dessen Boden aus Kopfsteinpflaster bestand und der Erfüllt war mit Blättern und Ästen eines Baumes der schwer beladen eine Ecke einnahm.
Und vielen alten Plakaten. Lukas drehte sich kurz im Kreis und fand ein Schild, das wieder zu einem abgerissenen Pappkarton führte das auf eine Tür genagelt worden war.  So wie Thesen. Sicher nicht von Martin Luther.
Lukas ging in einen Raum, in dem schon verstreut Stühle warteten. Ein Mann in einer mehrmals geflickten Hose, studierte mit gerunzelter Stirn ein dickes Magazin.
Auf seinem bunten Seidenhemd waren grinsende Fische abgedruckt. Aber seine Augen lächelten nicht. Abrupt riss er seinen Arm hoch und sprach in sein Handy, was aufzeichnete: „Seite 5, Bericht über Befreiungsfront in der Republik San Ramon. Zu oberflächlich, Autor geht zu wenig auf die Analyse der Gesamtsituation im Klassenkampf ein“.
Mit dem Ausdruck großen Ernstes nickte er und fand dabei Lukas.
„Sei gegrüßt Freund“.
Er wies ihm einen Platz zu. Er bot ihn nicht an, sondern sagte einfach mit seiner Geste „setzt dich da hin“.
Kaum klebte sein Hintern in der Holzmulde des Stuhles, als Lukas Weigel mit Fragen zu gehagelt wurde. Hast du Marx gelesen. Wenn ja, hast du ihn auch verstanden.
Warst du schon mal politisch aktiv. Wenn ja wo genau Vor allem, warum.
Beide redeten, also einer redete und der andere kam nur mit den Nicken nach.
Ungefähr eine halbe Stunde. Dann als die Zeiger der Uhr einen gewissen Markstein passiert hatten,
starrte der Mann immer wieder zu der Türe hin, bis er es ganz weg ließ Lukas anzusehen. Und diese Blicke wurden ätzender und ätzender wie um die Tür damit zu schmelzen.
„Das nenne ich marxistische Arbeitsdisziplin, bei der ersten Sitzung zu spät kommen“.
Lukas wollte den Mann was fragen. Aber da wurde ein Fenster hinten aufgerissen. Beide drehten sich dem Geräusch zu und sahen einen jungen Mann der vom Brett sprang und
in die Hocke sank als er landete. „Pfuh“, machte er dabei und entließ einen Haufen heißer Luft.
Lässig ging er in einen vollkommen viel zu langen Kurs um die Stühle herum und begrüßte die unsichtbare Menge mit einem breiten kumpelhaften Grinsen.
„Ah, endlich eine neue Visage. Ist ja ein hübscher Anblick“, polterte er bei seinen (fast) erfolgreichen Versuchen Lukas den Arm aus zu reißen.
„Was machst du denn in unserer Gruft der 68er Phrasen. Hoffentlich keine Leichenschändung“. Er lachte  und und schlug auf Lukas noch brennenden Arm.
Der wiederum hatte ein paar Antworten parat. Doch die schienen alle irgendwie unpassend zu sein.
Der Andere bedachte die Aktivitäten seines Freundes/Kollegen/Schicksalsgefährten, mit düsteren Blicken. Er hatte sich zu einem Tisch begeben.Dort lagen ein Aktenordner, seine Stifte und eine Armbanduhr. Starr wie ein Denkmal eines Denkers, oder Beamten, oder denkenden Beamten
oder beamteten Denkers, hatte er mit gefalteten Händen vor seinen Utensilien Position bezogen.
Pfeifend hing der Andere seinen Mantel auf, holte gemächlich eine Packung Salzstangen aus seiner
Tasche und aß eine Portion. Unter dem kauen nuschelte er zu Lukas und dem Denkmal hinüber.
„Soll ich uns von draußen ein paar Bier ordern“.
„Nicht während der Sitzung“, zischte sein Kollege eiskalt zurück.
„Anatol“, polterte Stefan, „du bist  viel zu verkrampft“.
Seine Pranken begannen Anatols Schultern zu massieren, während dessen Augen immer getrübter wurden. Bis sie einen Grad erreicht hatten wo es Lukas beim hinsehen richtig eisig und gruselig  wurde.
Die beiden trüben Kugeln taxierten Stuhl um Stuhl.
„Wo ist Diego“?
„Muss für einen Kollegen einspringen“.
Anatol schaute sich weiter im Raum um.„Und Caroline“.
„Bringt ihre Katze zum Tierarzt“.
„Und Erwin, ist der auch beim Tierarzt“.„Nein im Flieger nach Stockholm. Sein Onkel wird dort begraben“. Anatols Scheinwerfer hatten wieder ihre gewohnte Härte zurück gefunden.
„Was weißt du vom Spartakusbund“.
„Ja die habe ich erreicht“, sagte Stefan während er das Rückgrat seines Freundes mit dem Daumen
bearbeitete. „Und was“.
„Kommen nicht“. „Moment einmal, wir haben heute ein Bündnistreffen. Und wenn keiner von der
anderen Organisation kommt, dann haben wir auch logischerweise kein Bündnistreffen“.
Anatol dampfte aus allen Löchern. Stefan enthielt sich einer Antwort, futterte Salzstangen und massierte. „Das ist zwar administrativ ganz praktisch, ein Bündnis mit nur EINER Partei, aber sieht doch ein ganz klein wenig erbärmlich und merkwürdig  aus, wenn das auf einem Flyer gedruckt wird“. Stefan patsche ihn freundlich die Schulter und setzte sich neben ihn.
„Always look on the bright side of live“, summte er ein wenig zu fröhlich. Ein Blitz durchzuckte Anatols Augen. Er hob beide Hände und machte ein Puppentheater.
„Hallo Liebknecht“, begann eine Hand mit quetschender Stimme. „Hallo Lenin“, antwortete die andere mit einer tiefen Bassstimme.
„Gehen wir Eis essen und singen „Bella Ciao“!
„Jaha“ riefen beide Puppe zusammen. Also Anatol hätte sie beide brüllen lassen. Aber er hatte ja nur eine Stimme zur Verfügung. Dann riss er sich wieder zusammen und begann mit der Sitzung.
„Also das ist die erste Sitzung unserer Proletarischen Befreiungsfront. Unsere
beiden Organisationen,"Neuer Spartakusbund" und die "Offensive für Sozialismus" die vertreten von uns hier wird, haben eine Fusion vor einiger Zeit beschlossen.
Damit du verstehst um was es hier geht, stell einfach mal zwischen durch fragen, okay“.
Das war an Lukas gerichtet worden. Anatol wartete noch kurz auf eine Frage. Dann machte er weiter. „Da wir das Grundsatzpapier heute nicht mehr besprechen können, sollten wir uns den anderen Punkten zuwenden. Die sind zwar etwas trivialer., aber ein Grundsatzpapier wer braucht das schon.Vielleicht könne wir ja später Origami daraus machen. Besprechen wir also Carolines
Punkt. Ich meine nämlich die Frage, ob wir den Zusatz Marxistisch-Leninistisch noch an den Namen hinzufügen sollten. Leider ist Caroline nicht da, weil sie ihrer Katze Zäpfchen in den Arsch schieben muss“.
Stefan machte sich räuspernd von der Seite bemerkbar. Seine Fingerspitzen klopfen gegeneinander, langsam als müsste ihr Takt die Ernsthaftigkeit seiner in die Schieflage gebrachten Augenbrauen noch betonen. „Ich finde deine Frustration verständlich. Aber sie sollte unserer Parteiarbeit nicht im Wege stehen. Bitte Anatol, mach weiter. Nein, sieh mich nicht so an und gib die Faust runter.
Wir müssen weitermachen. Was haben wir, ja hör auf zu fauchen. Da nimm diesen Punkt.
„Kritik und Selbstkritik der Redaktion“.
Anatol hatte sich zu einer theatralischen Geste aufgerichtet. „Ach ja richtig“, sagte er sanft.
Er nahm das Magazin von vorhin wieder zur Hand.
„In meiner Funktion als Redakteur unseres Mediums muss ich leider wieder alte Kamelen aufwärmen.Es hausen in unserer Publikation zwei Dinge, nämlich horrende Rechtschreibfehler und im inhaltlichen einen schwachen Klassenstandpunkt“. Hier kam er mal kurz von seinen pathetischen Ton herunter und fragte Stefan, „übrigens kannst du auch mal was schreiben oder Redaktionsarbeiten übernehmen. Ich muss meine Diplomarbeit abgeben und hab nicht mehr soviel Zeit alles alleine zu machen“. Lukas kam da was Kastilisch-Spanisch vor. Vorsichtig hob er seine Hand. Anatol schaute zur Seite.
„Stefan, machst du bitte Eine Rednerliste. Gut, Lukas“.
Lukas Arm sackte wieder in dem menschenleeren Raum hinab.
„Also, du schreibst fast alles von den Artikeln“?
Anatols Kopf wirbelte herum, so das es einem schwindlig wurde. „Alles, ich schreibe alles“, belehrte er Lukas und fragte nach warum ihn denn das interessiere. Lukas Antwort blieb an einem mysteriösen Ort zurück. Warum hast du denn dir selber alles nochmal laut vor gelesen vorhin?  Als ich reinkommen bin. Was sollte das?
Anatol wartete noch diszipliniert auf eine Antwort, dann machte er weiter. Oder wollte weitermachen. „Was macht denn der Artikel über Trotzki da drinnen“, fragte Stefan. Das Magazin war aufgeschlagen in den Händen
Anatol hätte sich fast auf die Zunge gebissen, so überrascht war er.
„Hä“, grunzte er, vollkommen aus dem Konzept gebracht. Wie ein Fächer wurde das Magazin  ihm hochgehalten. „Ja, das ist ein Artikel  von Trotzki“, sagte Anatol.
Sein Freund nickte ein wenig zu heftig und ruderte mit dem freien Arm.„Jajajaja schon verstanden. Aber warum ist er da. In unserem Magazin“. „Na das ist eine theoretische Arbeit von ihm über Freunds Psychoanalyse“Ja warum, warum drucken wir sowas ab“, stotterte Stefan „Weil Trotzki ein wichtiger Theoretiker war. Ein wichtiger Denker der Arbeiterklasse. Weil wir Trotzkisten  sind"Anatol wirkte dabei, als  wäre es das natürlichste auf der Welt und lachte auch so. Aber das erstarb, als er die Reaktion seines Freundes sah. Zitternd, richtig zitternd, zeigte Stefan auf Anatol.„Du bist Trotzkist“ .
„Ja, so wie du“, sagte Anatol darauf, formulierte den Satz in seiner Mitte zu einer fassungslosen Frage um. „Hey, stop,du bist kein Trotzkist“?
„Nein, fauchte der andere. „Aber du berufst dich doch immer auf Lenin“, schrie Anatol.
„Na weil ich Leninist bin, du Genie“.
„Aber das bin ich doch auch“ , sagte Anatol und zeigte mit dem Daumen auf sich.
„Aus welchem Loch bist denn du gekrochen, Hä ?“.
Anatol fing einen Satz an, hielt inne, fing wieder von vorne an. Dann starrte er auf das Magazin
und haute mit er blanken Faust darauf. „Hast du es gelesen, hast du es jemals gelesen“:
„Natürlich nicht“. Damit begann ein Gebrüll und Geschrei, bei dem Lukas gar nichts mehr mitbekam.Worte konnte er schon hören, aber was sie bedeuteten...........?
Er konnte es nicht wiedergeben. Was er aus den tosende Brandungen der Wut heraushören konnte waren wüste Wortinseln. „Arschgekröse“, Vaginalschleim“, Gehirn amputierter Zombie.
Aber es flogen auch historische Daten durch die Luft. Parteitage, Revolutionäre, politische Theorien. Lukas verstand gar nichts.
Lukas überlegte ob er nicht gehen sollte. So mit den Beinen und da raus durch die Tür da.
Welche Birne röter als die andere leuchtete, Stefan oder die von  Anatol,        ließ sich nicht feststellen.
„Verräter“, murmelte jemand. Das kam postwendend zurück. Als die Luft zwischen ihnen beiden knisterte wie bei elektrischen Spulen, hatte sich einer von ihnen im Funkenregen aufgerichtet.
Stefan verkündete;“Ich werde die Proletarische Befreiungsfront gründen“.
Anatol erhob sich ebenfalls und legte eine Hand auf sein Herz.
„Nein, das ist meine Aufgabe“.
„Schleich dich aus den Sitzungsräumen“.
„Revisionist“.
„Faschist“ . Anatol keuchte. Langsam nahm er alles vom Tisch, so als wäre jeder Gegenstand aus Glas. Seine Gesten waren voller Melancholie.
Er nahm seine Tasche und ging um die den Tisch herum, wollte zur Türe.
Bevor er diese, und das war sicher, zum letzten mal öffnete sah er nochmal zurück in seine Vergangenheit. Er lächelte. „Viel Glück noch“. Dann war er weg. Stefan packte seinen Hinterkopf und brauchte erst mal einen Moment.
„Wie die Geschichte so spielt was“.
Er schaute zur die Seite auf seine Unterlagen.
Er faltete beide Hände auf seinem Kopf zusammen,
versuchte absolut lässig und entspannt zu wirken und sagte Lukas, „na was meinst du, sollen wir weitermachen“.
Er  gab Lukas einige Papiere  in die Hand, als hinter ihm das Fenster aufgerissen wurde. Anatol brüllte von draußen herein, „Dieser Sitzungsraum hat mein Vater organisiert, du verzeihst dich“.
Nach dem sie einige Minuten wieder gestritten hatten, waren beide weg.
Nur Lukas war noch da. Und er blieb. Nicht nur physisch.
Er beugte sich nach vorne und nahm sich eine von den Mappen die zurück gelassen worden waren und begann zu lesen.

Ende


Anmerkung von max.sternbauer:

Eine realsatirische Tragikomödie über das Linkssein

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Kommentare zu diesem Text

magenta (65)
(09.01.12)
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mischkunst (28)
(18.01.12)
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