Das autistische Mädchen am verstimmten Klavier

Erzählung zum Thema Kinder/ Kindheit

von  AndereDimension

Fortsetzungsgeschichte, Teil 1

Berlin ist voll von streunenden Katzen, die auf der Suche nach etwas Essbarem den Müll durchwühlen. Und wer meint es würde niemand für das Seelenheil dieser armen Kreaturen beten, der hat wohl noch nie etwas von Jule gehört.

Sie sah für einen Moment von ihrem Buch auf und schien etwas sagen zu wollen, doch sie streifte nur flüchtig die Blicke ihrer Mutter und suchte schnell wieder Schutz in einer Geschichte aus besseren Zeiten. Walter, den Jule nur widerwillig Vater nannte, verstaute Oma Lotte in der Waschküche und machte sich an der Frau zu schaffen, für die er scheinbar immer noch keinen passenden Namen finden konnte. Denn eine Schlampe, so sagte sie des öfteren, dürfe er sie nur einmal nennen. Es war hübsch anzusehen, wenn er ihr auf die Brüste spritze - als würde der letzte Schnee von den Bergen tauen.

Jule kniete vor der Apotheke und streichelte Katinka, die Katze der an Demenz erkrankten Frau Meier, von der sich Walter gelegentlich ein paar Scheine leiht. Der Wind kam ohne Ankündigung, brachte dafür aber pfeilgiftfroschgrüne, tanzende Blätter mit.

Jule verschlang alles was sie sah und hörte, um es dann heimlich zu erbrechen.

Als Oma bei ihrer Tochter einzog, schleppten Walter und drei seiner Saufkumpanen ein weißes Klavier in die Wohnstube. Einer von den dreien, der kleinste, hielt die Hände vor die Brust, sackte zu Boden und hörte auf zu atmen. Jule ahnte, dass dieser Mann in keiner guten Haut steckte, doch sie war viel zu verwirrt, als dass sie hätte länger darüber nachdenken können. Walter griff nach der Bierflasche und leerte sie in einem einzigen Zug, während Jules Mutter ihre Einkäufe auspackte und sich an das Essen machte. Jule bot dem Arzt ein Stück von ihrer Schokolade an, aber der zeigte nur wenig Interesse, stand auf und lief davon.

Katinka jagte den Blättern hinterher und vergaß dabei alles, auch das herannahende Motorrad. Ihr fehlte jetzt ein Auge, aber ansonsten sah sie aus wie immer - doch bewegen wollte sie sich nicht mehr. Eine Dame im Ledermantel stöckelte herbei und beugte sich kopfschüttelnd über die Katze. Und so schnell wie die Frau auftauchte, war sie auch schon wieder weg, als hätte der Dunst sie mit Heißhunger verschlungen.

Mit dem Versprechen, für das Kätzchen zu beten, ging Jule nach Hause, wo sie mit den Worten "Wir sind in drei Stunden wieder da" empfangen wurde - dann fiel die Tür ins Schloss und der Garderobenspiegel von der Wand. Mit zugekniffenen Augen und offenem Mund, als läge die saure Brause der Angst auf ihrer Zunge, wandte sich Jule dem Klavier zu. Schon so oft hörte sie "...und fasse den Flügel nicht an", doch heute nicht - und schon mit dem ersten Anschlag brach in ihrer kindlichen Seele ein Jubel aus, wie ihn kein Dichter beschreiben könnte. Nie zuvor kam Jule sich so nah, wie in diesem magischen Augenblick. Ihre feingliedrigen Finger wurden zum Werkzeug eines Gemüts, welches jedem scheuen Pferd zum Hort der Ruhe reicht. Wie entwurzelt lagen die Töne da, die Jule nur noch einsammeln musste.

Aus der Versunkenheit erwacht, nahm sie jetzt auch ihre Oma wahr, die mit dem Gesicht zum Fenster saß und der gefräßigen Sonne ein stummes Opfer wurde. Jule fiel auf sich selbst zurück, drehte den Rollstuhl um 180 Grad und befreite Lotte aus ihrer misslichen Lage - die sich sogleich mit einem schüchternen Lächeln, das sich unter ihre Tränen mischte, bedankte.

Noch immer trauerte Jule der Stimme nach, die einst Geschichten zum Leben erweckte. Doch war es ihr ein kleiner Trost, dass sie in der Sprachlosigkeit ihrer Oma eine Verbündete fand, die sie im Kampf gegen Außengeräusche unterstützte. Und so wurde ihr das ruhige Atmen der betagten Frau zum Pendel der Stille.

Das Mädchen setzte sich wieder ans Klavier, fädelte Töne zu einer akustischen Perlenkette auf und legte sie der Mittagszeit um den Hals, als plötzlich der Hausherr die Tür sprengte und mit einem Satz mitten im Raum stand. "Walter" hörte Jule ihre Mutter noch schreien, bevor sie, nach einem heftigen Faustschlag an die Schläfe, bewusstlos zu Boden sank.
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Der Abschied entziffert die Handschrift einer Begegnung

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.02.15)
Nach " Nie zuvor kam Jule sich so nah" wird es etwas sehr wischi-waschi-vage, ansonsten gerne gelesen (es fehlen Kommas, die mitunter das Lesen sehr erschweren).

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 22.01.20:
So ist es, Dieter. Fängt interessant an, verzettelt sich dann aber sehr, und der Schlusssatz ist völlig hochgedrechselt formuliert.
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