Schauspielerleben

Text

von  Ingmar

Ich schwöre es, sagst du mit einer Stimme, die nicht deine Stimme ist. Wie ein Schauspieler sprichst du. Vielleicht hast du das schon immer getan. Zum Beispiel: Du findest dich auf einer Strasse wieder, wo du für einige Momente darüber nachsinnst, wohin du deinen Weg nun nehmen sollst, und dein Fuss holt schon zu einem Schritt aus, unschlüssig, denn es ist egal, wohin du gehst. Denn der, der den Schritt jetzt tut, das bist sowieso nicht mehr du. Sondern einer, der - vielleicht wie eine Figur, die in einer Geschichte auftaucht - von diesem Moment an unter Beobachtung steht. Oder, anderes Beispiel: Wenn in einer Wohnung, deiner oder ihrer, die Frau lacht, oder du bist es, der lacht, es spielt keine Rolle, es ist so oder so ein Lachen ohne wirklichen Grund, oder eher eine Brücke zu dem Moment kurz bevor du diese Frau an die Wand presst, ihr unter den Rock langst, während sie dich an den Haaren packt, ein Büschel Haar, eine Handvoll, und sie dein Gesicht von ihrem weg reisst, damit sie dich ansehen kann, ihr Blick, der in deine Augen fällt, egal wie tief, da ist nichts, was ihn hält. Die Szene könnte im Theater...  oder im Film... Schau mir in die Augen, Kleines, jetzt, hier, wir beide spielen diesen Sex auf dieser Bühne und das Publikum schaut zu, nicht die Frau schaut mich in Wahrheit an, nein, ihr Blick ist nicht der wahre Blick, sondern. Wirklich angesehen wirst du, du stellst es dir vor, du siehst es vor dir, von einem Auge, das hundert Blicke wirft, tausend Blicke, mehr, viel mehr, hunderttausend Augen sind es, Augen, die alles, jede Klitzekleinigkeit, registrieren wollen: Wie du und sie, wie ihr auf der Matratze überall zugleich seid, umeinander und ineinander, und wie du dabei für Momente deine Augen schliesst. Ihre Berührungen und Bewegungen und deine Bewegungen, deine Berührungen, alles ist eins, Aktion, Reaktion, Wellen, hin und her. Die Kamera filmt. Porno. Livesstream. Der Gedanke geht dir unter die Haut und fickt dich richtig. Das Internet schaut dir zu. Du lebst wie ein Schauspieler und das Stück, das du spielst, ist dein Leben. Du spielst alles nur vor, sogar dir selber. Wann hat das begonnen? Das erste Mal bemerkt hast du es beim Begräbnis des Hundes. Du konntest nicht aufhören, gleichsam neben dir zu stehen und auf den Eindruck deiner Person und den gesamten szenischen Effekt zu achten. Wie alle mit dir Mitleid hatten! Dein Weinen über den Tod des Tiers, das fünfzehn Jahre mit dir verbracht hat, erinnere dich, dein Weinen, so echt wie Glyzerintränen; nicht über den Hundetod, nur vor Rührung über deinen Schmerz konntest du weinen, nur darüber, dass du tatsächlich zittertest, schluchztest, nur darüber weintest du. Und fühltest nichts als Scham. Ja, wie du dich geschämt hast! Aber das ist lange her. Sags noch einmal, jetzt, aber bitte, sei bitte dieses eine Mal du selbst. Ich bitte dich. Sprich schamlos, lüg mir ins Gesicht!

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (07.12.15)
Ist das ein du = man?
Graeculus (69) meinte dazu am 07.12.15:
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 idioma (07.12.15)
Wahrlich erschreckend,
wo du endest,
wenn du endlos Filme und Werbung schaust
und du die Gefallsucht und Eindruckschinderei
schon so sehr verinnerlichst ,
dass die narzisstische Störung
schon so weit fortgeschritten ist,
dass sogar deine intimsten emotionalsten Momente
zur Show gefrieren..... brrrrrrr..........
idi
PS : das ist nun WIRKLICH gruselig !
(Kommentar korrigiert am 07.12.2015)

 niemand (07.12.15)
Ich weiß nicht, warum man diesem Text ein "gruselig" verpasst hat. Es sei denn man gehört zu der Sorte Leser, welche stets den Schreiber eines Textes mit dem Protagonisten eines solchen gleichsetzen. Der Text ist gut, weil er einen Typen von Mensch charakterisiert, dem man nicht selten begegnet und da der Text nicht unter Tagebuch, oder ähnlichem gepostet wurde, nehme ich den Schreiber davon aus. LG niemand
P.S. und selbst wenn dieser Text autobiographische Züge haben sollte, so ist er dennoch gut geschrieben.

 idioma antwortete darauf am 07.12.15:
" Der Text ist gut, weil er einen Typen von Mensch charakterisiert, dem man nicht selten begegnet."
Ich habe mit keinem einzigen Wort behauptet, dass der Text schlecht sei ! Die Tatsache, dass man solchen Menschentypen "nicht selten" tatsächlich begegnet, ist doch wirklich gruselig, oder etwa nicht ?
Obwohl mich der Autor mit dem "du" nicht persönlich ansprach, hab ich dennoch absichtlich vom Autor das "du" übernommen, ohne ihn damit direkt ansprechen zu wollen, sondern nur als Demo, um zu zeigen, wie das rüberkommt : Niemand überschüttete mich prompt mit Schimpf und Schande.... Danke !
idi

 niemand schrieb daraufhin am 08.12.15:
@ Idioma
Nun mach aber mal halblang Idioma. Erstmal habe ich Dich doch garnicht angesprochen [deine Reaktion ist eine KV-typische in Richtung: Ich ziehe mir den Schuh gerne an, der da grad in der Landschaft steht] sondern auf das "gruselig" angespielt, ohne zu wissen vom wem dieses kam, einfach nur weil es im KV schon Sitte zu sein scheint alle Texte die manchem Leser nicht passen mit dem Prädikat "gruselig" zu bestücken. Also bitte, nimm Dich nicht so wichtig und glaube nicht, dass sich meine Gedanken um Dich drehen könnten. LG niemand

 Bergmann (16.12.16)
Ich bedauere (auch angesichts dieses Textes), dass du dich und deine Texte so rar machst hier auf kv. - Herzlichst: Uli

 blauefrau (31.12.16)
Der Schatten, der Zwilling, der Spiegel, der alles zurückwirft.
Ich bin nicht ich. Oder: Ich bin nur ich.
(Kommentar korrigiert am 31.12.2016)
Teichhüpfer (56)
(31.12.16)
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 Dieter_Rotmund (27.02.21)
Ja, Ingmar spricht nicht mit uns.

 Ingmar äußerte darauf am 09.06.21:
...
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