Zu spät

Kurzprosa zum Thema Lebensbetrachtung

von  StillerHeld

Ich setze mir Ziele. Ich erreiche sie ohne unnötigen Aufenthalt und mit der größtmöglichen Effizienz. Und wenn ich ein Ziel erreicht habe, suche ich mir ein neues. Sofort. Am liebsten sind mir Ziele, die nur dazu da sind, um ein weiteres Ziel zu umschreiben, sodass ich nie in die Verlegenheit komme, ziellos dazustehen. Wo ich jetzt bin, weiß ich nicht. Wo ich hin will, kann ich dir aber genau schildern, in allen Farben und Schattierungen, in Technicolor und Powerpoint.

Du bringst mich nicht aus der Ruhe. Schon gar nicht mit der Sinnfrage. Sinn suchen nur die Langsamen. Ich bin nicht langsam. Schau ihn dir an: Er hat es nicht drauf. Siebzig Jahre und noch keinen Kick erlebt, weder die Höhen von Ecstasy noch die Tiefen eines Bungeesprungs. Ein einfaches Leben, Krisen ausgelitten, ausgesessen, Manches genossen, kurz aufgeglüht, dann abgebrannt. Da sitzt er nun und denkt über die vergangene Zeit nach, die er gerade noch am Horizont dahinschwinden sieht. Er leistet sich Auszeit von der Zeit. Sitzt einfach da und klinkt sich aus. Müde, aber im Reinen mit Vergangenheit und Gegenwart. Atmet tief. Ist sich seiner Gegenwart bewusst.

Wir haben es nicht leicht. Es fließt die Zeit, und jedem Menschen ist eine unterschiedlich große Spanne Ewigkeit gewidmet. Wir antworten darauf: Hol das Maximum aus deinem Leben! Alles wird schneller, alles muss sich vermehren. Das Moderne wird unmodern, das Ausreichende unzureichend. Der Überfluss nährt den Glauben, versorgt zu sein. Aber wenig wird besser. So treiben wir selbst die ziellose Veränderung voran und beklagen uns, mit ihr nicht Schritt halten zu können.

Letztlich wollen wir es alle nicht wahr haben: Wir sind nicht ewig da. Aber jeden Tag merken wir mehr, dass es zu Ende geht mit uns. Und wer hat den meisten Spaß gehabt? Am letzten Tag wird abgerechnet. Die Punktesieger werden den ruhigen Zufriedenen in die Augen sehen. Und beiden wird Erkenntnis zuteil werden.

Zu spät.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (07.02.17)
"größtmöglichen Effizienz" = postmodern für NICHTS
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