Rumpel

Text

von  minze

Es ist ziemlich heiß und ich versuche die Kinder zusammen zu halten, um das Paket bei der Nachbarin abzuholen. Wir sind gerade erst heimgekommen, aber ich habe Schuhcreme und Unterwäsche bestellt und ich hoffe, die Nachbarin hat nur die Schuhcreme angenommen. Eigentlich fast albern, dass ich aufgeregt bin deswegen.

Mara auf dem Arm, Joscha an der Hand, zumindest zeitweise, wenn er nicht voraus rennt und ein Ausweichmanöver auf die Straße macht. Schließlich einigen wir uns, dass er auf der Mauer balanciert. Es dauert kurz, bis die Nachbarin die Türe öffnet. Ich bin froh, sie gleich anzutreffen. Mara wackelt lustig mit ihrem Gesicht. Ihre Grübchen tanzen mit. Ich Frage nach dem Paket. „Ach ja gerne. Das ist doch selbstverständlich. Man hilft sich doch gerne unter Nachbarn.“
Sie hat so hochgeföhnte, blonde Haare. Viel Volumen um wenig Haar. Kein Parfum, auch wenn ich das erwarten würde. So nahe kamen wir uns noch nie. Das letzte Mal habe ich mich vorgestellt, als wir uns bei Vorgartenarbeiten auf der Straße getroffen haben. Da waren wir schon dreieinhalb Monate eingezogen. Eigentlich wollte ich das schon eher machen. Da sah sie ganz cool aus, mit einem Guns n Roses T-Shirt. Jetzt Paillettenshirt. Passt auch irgendwie.

Sie fragt danach, wo wir die letzten Tage waren.  Wir waren auf dem Ferienhaus meiner Eltern. Nichts Großes. „Ja, aber das ist doch schön, das tut doch gut, das braucht man auch als Familie – einfach ein paar Tage rauskommen.“ Ich nicke. „Die Kleine ist ja eine ganz eine Brave, ne?“ Joscha fasst die Geranien im Kübel an. Ich reagiere sofort.

„Ja, sonst muss die Tante Irma mit dir schimpfen.“ Sie sagt das mit ihrem rosa Lippenstiftlächeln. „Tante Irma muss sowieso mal mit dir schimpfen, ne?“ Die Warnung kommt nur bei mir an. Joscha freut sich einfach, mal so nah an die Nachbarn ran zu kommen. Er fährt über den goldenen gravierten Schriftzug am Briefkasten. Mist. Da hängt noch so ein selbstgetöpfertes Namenschild mit liebevollen Details. Und auf der letzten Treppenstufe steht ein Schuhabstreifer-Dackel. Das wahre Gespräch beginnt, bevor ich weitere Gefahren registriere. „Er ist schon außergewöhnlich laut. Wissen Sie, früher …“ Das restliche Gelaber rauscht an mir vorbei. Ich glaube, sie hat keine Kinder oder die Kinder sind über alle Berge. Darauf komme ich, weil ich nie Besucherstimmen neben dem gemächlichen Rentergespräch der Nachbarn wahrgenommen habe. "Ich weiß nicht. Ich bin keine Mutter von früher.“ Sie schaut abwartend, ich schiebe nach, dass er sehr lebendig sei und dieser Generationenwechsel natürlich eine Umstellung sei, klar. Bei der Nachbarin ist das Lächeln verschwunden. „Alles Sache von Erziehung.“ Ich schaue weg.  „Ich möchte jetzt gehen. Geben Sie mir das Paket.“ Joscha streicht nochmal über die Blumen von der Nachbarin. Ich schau wieder hin. Die strahlt wieder: „Ja, das hat doch bereits ihr Mann gemacht.“ Achso.  Kinder, wir gehen. Mara lacht nochmal. Joscha wirft nichts um. Ich drehe mich um, dirigiere die Kinder nach Hause.

Daheim schließe ich die Türe, meine Knie sind weich, ich gebe nach. Dann sitze ich auf dem Teppich. Mich schütteln Scham oder Wut, es lässt sich nicht ganz ausmachen. Mara chillt. Sie freut sich, das Bücherregal in Ruhe ausräumen zu können. Und Papas Platten zu sortieren. Joscha sitzt fragend auf der Ofenbank. Sein Blick ist mitfühlend. Ich schaue ihn an. Wir sind beide verstört. Er sucht eine Brücke, aber ich bin kurzzeitig in einem Loch. Ich muss wieder zu ihm.

Ich ertrage sein Schreien meistens. Er hat dann ja was zu sagen. Und ist irgendwann wieder damit fertig. Sein wilder Willen ist das. Neulich sagte eine Freundin: „Er muss sich ja irgendwie dir gegenüber behaupten“. Das war nett gemeint. Wir sind Sparringspartner. Es ist anstrengend. Manchmal löst sich das Beben auch in Lachen auf. Ich versuche mir die richtigen Fragen zu stellen – überlege, welchen Erziehungsstil ich habe und welche anderen es gibt. Und wo ich Joscha zwischen eins und zehn auf der Persönlichkeitsskala einordne. Das Fragen führt zu keinem interessanten Zwiegespräch. Joscha fasst sich ein Herz. „Ist gut Mama, ich bin da.“ Ich nehme ihn zu mir. „Komm Mama.“ Er knotet sich um mich herum, mein Herz bekommt ein Nest.

Ich atme durch. Ich denke an unseren Kampf. Wie ich ihm hinterherrenne - er zieht sich nicht an, weil „ich kann jetzt nicht“. Denke an scheiß fliegende Gabeln, zerbrochene Tassen, Haare ziehen. Tritte von ihm in der Nacht, die mich wütend machen. Ich habe Angst, das werden blinde Flecken. Wenn ich mich in Wut und Ohnmacht vergesse. Dann direkt darauf folgend diese nachgiebige, verzeihende Liebe, wenn er sich an mich klammert. Sich windet, strampelt, bis er richtig angekommen ist und sagt „Mama, ich will dich. Ich liebe dich, Mama.“  Er tobt, weil ich den Hammer wegnehme. Wegen dem Holzboden oder Maras Kopf. Joscha als schreiender, rotzender Käfer, der auf dem Boden wütet, in allen wild umhergeworfenen Körperpositionen. Wie er weint in seiner puren Verzweiflung. Seine wütenden Körperpartien rotieren um mich herum. Ich spüre alles direkt und unvermittelt, was aus ihm herausspuckt.
Gut, wenn ich ihn dann zu mir nehme und festhalte. Sein Ohr küsse, wenn das Strampeln nachlässt. In anderen Situationen mache ich es so: ich brülle, lasse ihn los. Er fällt oder stößt sich an. Wir erschrecken uns. Wir sind erschöpft vom Kämpfen, atmen wild und dann ruhiger.

Ich will vorerst nicht in den Garten. Es ist so heiß. Die Nachbarin wird uns hören. Irgendwann, wenn ich mich gesammelt habe und Mara mit den Schallplatten fertig ist, gehen wir raus, baden. Wir haben Eis im Kühlfach.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (31.03.20)
Ein Text von einer überforderten Mutter. Der Mann kommuniziert nicht (sonst wüsste sie, dass er das Paket hat). Die Nachbarin fordert mehr Ruhe, anstatt unterstützend einzuspringen. Ein schwieriges Kind, das im letzten Satz Partnerfunktion einnehmen muss. Alleingelassen mit der Situation. Der Text lässt viele Fragen offen. Was tun? LG Gina

 minze meinte dazu am 31.03.20:
Ich dachte bei deinem Kommentar eher,dass dir kaum Fragen offen bleiben ;) - schön,dass er dich zum nachdenken anregt.LG

Antwort geändert am 31.03.2020 um 15:00 Uhr

 Dieter_Rotmund (31.03.20)
Treffend eine sehr abgestumpfte Mutter mit riesigen Scheuklappen skizziert. Gerne gelesen.

P.S.:
Apell -> Appell
PowR.TocH. (58) antwortete darauf am 31.03.20:
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 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 31.03.20:
Um mich geht es hier nicht. Dass die Frau eigentlich heillos überfordert ist, hat ja offenbar schon Regina erkannt. Wichtig ist, dass Minze dies in ihrem Text treffend erfasst bzw. beschrieben hat, ohne die Belehrungskeule zu schwingen. Das macht einen guten Text aus: Für mündige Leser geschrieben.
PowR.TocH. (58) äußerte darauf am 31.03.20:
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 minze ergänzte dazu am 01.04.20:
Dieter Rotmund,ja,mündige Leser. Es ist jedem erlaubt,aus seinem Horizont und Erfahrungsschatz zu rezipieren. Mein Anliegen war es trotzdem,die Mutter vielschichtig darzustellen.die Auseinandersetzung und der Text an sich beschäftigen mich weiter. Er ist noch im Werden.
PowR.TocH. (58)
(31.03.20)
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 minze meinte dazu am 31.03.20:
Ein kleiner Ausschnitt des Wahnsinnes ;) danke fürs kommentieren und empfehlen.
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