Tristans Mama / 2.Version

Erzählung

von  minze

Ein zweites Mal schwanger sein ist für sie schwierig, aber es geht besser als beim ersten Mal. Trotzdem immer die Vorsicht, immer das innere Abstand halten vor dem, was sie erinnert. Die Geburt wird ganz anders. Es war mir dann egal, was die im Krankenhaus machen werden. Charly hatte es auch geschafft, vielleicht hab‘ ich mich so mehr getraut. Trotzdem will sie es kein drittes Mal.

Auf das erste Kind haben Tom und Morgane fast drei Jahre gewartet. Sie haben keine besonderen Dinge deswegen unternommen, in der Zwischenzeit ein Haus geplant und gebaut. Sie hat viele ungewöhnliche Pläne umgesetzt, es sieht industriell aus, die Fassade ist aus Blech, eine einfache Konstruktion, ein großer Kubus, man könnte auch sagen, es sieht wie eine Lagerhalle aus, innen großzügig und modern. Sie hat es mir nicht erzählt, dass sie es einige Zeit schon versuchen - zum Beispiel in der Zeit des Hausbaus oder in dem Sommer, in dem sie anschließend geheiratet haben. Es passte in ein sehr klassisches Bild, dass sie dann nach der Hochzeit schwanger war. Morgane hatte schon vorher oft Rückenprobleme, die sie länger außer Gefecht setzten, Hexenschuss, daran erinnere mich – da dachte ich, das haben doch die älteren Menschen, sie saß mir gegenüber, ratlos und berichtete, dass sie es schon in der Kindheit gehabt habe, große Rückenprobleme und dass immer wieder das Volleyball ausfällt. Wenn sie länger spielt, ist es unausweichlich mit sonstigen Verletzungen verbunden.
Sie ist also das erste Mal schwanger und gleich zu Anfang setzt sie bei der Arbeit aus, zu Anfang ist es die Migräne und die untere Wirbelsäule, da liegt es schon in der Luft, dass es beschwerlich werden wird. Sie schläft viel und schlecht. Ich hatte auch Angst, auf dem Bauch zu schlafen - Ich will es schützen, auch wenn ich es noch nicht spüren kann, vielleicht gerade deswegen. Sie lächelt müde, als sie von Osteopathie und Physio erzählt, Medikamente gehen ja nicht. Aber sie akzeptiere, dass sie einfach so gebaut sei, einfach so verbaut sei. Ich dachte, schwanger könnte ich mich anders spüren.
Tom freut sich auf die Geburt. Ihre Unruhe geht auf ihn über, er sagt es nicht zu uns, aber immer muss er irgendwas vorbereiten, planen, vordenken für die erste Zeit mit Kind. Dann, wenn ich mit Morgane über die Geburt oder die Schwangerschaft spreche. Sie liegt lange vor Termin auf dem Sofa, die Wehen setzen schon immer wieder ein, sie schaut Sportsendungen, da kommen genug diesen Sommer. Tom will endlich Vater werden, er fühlt sich voll im Saft, das Haus, heiraten, das schaffen sie alles. Auch ein Kind. Ab dem Erscheinen im Krankenhaus, in den Eröffnungswehen, will sie ihren Körper abgegeben, später wiederholen. Von Anfang an zerriss es mich, es waren nur die ersten Wehen, aber mein Rücken hat‘s zerfetzt, ich hatte Angst, voll zu zerfetzen. Diese Idee vom Wegatmen von Schmerzen verkrümmt in der Angst, die nichts aufmachen will. Ich konnt’s nicht, null - diesen Kontrollverlust, diese Überwältigung. Wie ein Tier ist dein Körper.
Wenn man ein Kind auf die Welt bringt, soll man‘s abstoßen und man muss es schützen, loslassen soll man im Druck, in der Angst. Die Angst überwinden, der Angst aufmachen. Es liegt da unten, in die Enge gepresst, kommt nicht mehr zurück in den Bauch, dieses Gefühl: kommt es raus, bleibt es drin - es ist beides unvorstellbar.
Die Kindsbewegungen waren das Schöne an der Schwangerschaft. Sie hatte so eine klingende Kugel über dem Bauch getragen, die baumelte und bimmelte ganz leise, irgendwie tibetisch, vor sich hin, wenn sie sich bewegte, und für sie war das ein Singsang, ein beruhigender mit dem Kind. Sie hatte so ein Bild in sich, wie das Kind damit ein bisschen spielt, dass es sich hinbewegt.
Tom ist gefasst, aber ohne Worte, ohne Taten, er blickte sie entschlossen an, entschlossen, das fertige Kind ins Babysafe zu setzen, seine Frau zu waschen oder so, aber er kann in der Ankommenssituation noch nichts tun. Er soll der stille Begleiter sein. Das ist er. Sie sieht ihn oft an, sagt, dass es vorbei sein soll und dass sie sich so schämt über alles, er bleibt still und hält es aus. Es ist schlimm für ihn, er vergisst in ihrem Flehen das Kind, denkt daran, ihr Leben über die Nacht retten zu müssen. Und als er später seine Tochter in den Armen hält, da will er kurz Morgane vergessen können, einfach über seine Erschöpfung und er wünscht sich, dankbar sein zu können, in ganz vielen stillen Stunden nur mit seiner Tochter sein zu können und sie zu waschen, seine Charly.
Morgane will vor den weißen Kitteln nicht so viel aus sich herauslassen müssen. Es läuft und scheißt aus ihr heraus und sie fand das Weinen beim Ankommen schon zu viel, nicht angemessen für das Ereignis, aber die Hebamme und die Ärzte haben sie nicht angesprochen, konnten ihr nichts mitgeben, das wäre gut gewesen: ein Wort, eine Geste, die sie erreicht. Als es von Anfang an zu viel war, sagte sie blind hin, sie müssten im Krankenhaus ihr doch helfen können, es verkürzen, sie benebeln können. Zu spät fühlt sie kaum was, weil die PDA zu spät gesetzt wird. Dann, als sie nichts mehr fühlt, schreit sie anders, ohne Rhythmus, ohne die Wehen. Der Schmerz ist weg, die Panik bleibt. Dann ging gar nichts mehr mit meinem Körper, kein Schmerz, das war noch weniger als vorher, dann konnte ich nichts trauen, so als würde ich das Baby nicht mehr spüren. Es geht etwas voran, die Ärzte sagen Tom, dass Charly weiterkommt, dass es dem Ende zugeht. Morgane schreit also, schaut nur Tom dabei an, drückt die Hebamme weg, Tom nickt, zwischen ihr und dem, was die Ärzte sagen hin- und hergerissen. Die Hebamme sagt doch noch was, vom positiven Schreien. Das war es nicht, positiv. Schließlich heult Tom, drückt weiter Morganes Hand und sie verstummt und sagt nur, es sei vorbei für sie. Die Ärzte nehmen die Saugglocke. Tom nimmt ihr Baby und wartet behutsam auf Morgane. Morgane denkt später oft daran, wie Tom geweint hat, er habe es verstanden, dass sie jetzt Charly holen können.

Und beim zweiten Mal ist ihr Körper schon Mama, da ist Platz gemacht, irgendwie scheint er weniger fremd, ist eine Herberge für das zweite Baby. Ich frage sie, ob sie sich besser mit den Beschwerden arrangiert hat oder ob wirklich alles etwas mehr ineinander gleitet: die verschiedenen Wochen und Monate des Ineinanderwachsens und Großwerdens von Kind, Mutter, Organ- und Körperumbau. So richtig kann sie nichts darauf antworten.Doch, ich hab es mehr akzeptiert. Aber was genau - Sie lächelt. Morgane arbeitet bis zum regulären Mutterschutz. Sie versteht, was kommen wird, was kommen kann, als es mit Wehen losgeht. Sie gibt ein bisschen Verantwortung an das Kind ab. Das Baby wird es machen. Egal in welcher Verfassung sie ist. Tom sagt noch ein paar Tage bevor es losgeht zu mir, dass Morgane einen Plan für die zweite Geburt hat und ihn vorher mit der Hebamme besprochen hatte. Er hat auch dabei gesessen. Er findet das beruhigend. Es ist ein Junge! Tom feiert offen seine Freude, es heilt ihn über das erste Mal. Er nimmt ihn, wie er Charly genommen hat, gleich an sich. Morgane ist einfach nur erstaunt. Sie hat ihn ohne Hilfsmittel geboren. Nur am Schluss setzt sich ein Arzt auf ihren Bauch, weil da schon Tristans Kopf da war und sie deswegen einverstanden ist. Tom hätte ihn tasten können, aber allein das Hinsehen war schon so intensiv. Nach der Geburt traut sie sich, traut sie Tristan für einige Wochen nicht. Ich hab‘ ihn so oft angeschaut und musste es erst kapieren. Mit einem Jungen das alles machen: stillen, die ständige Nähe, sein Atmen nachts behüten und sich vorstellen, was wird - Tom war voll drin, sie brauchte Zeit. Nach sechs Monaten sind Tristans Hoden rot geschwollen, fast doppelt groß, und sie merkt gleich, dass das nicht stimmen kann. Tom ist in einem ruhigen Fahrwasser und beschwichtigt, sie voll die wilde Löwin, sie will zu einem Arzt, der nichts bemerkt, will weiter ins Krankenhaus, die Ärzte dort machen eine tiefergehende Untersuchung. Es ist ein Tumor und bevor man herausfindet welcher, ob es ein böser ist, kämpft sie, ist sie entschlossen, sie hat die Entscheidungsgewalt über Tom. Wir entfernen den Hoden mit dem Tumor. Wir warten nicht. Ich denke, Tom wusste, dass sie das richtig macht. In dieser Situation ist sie fertig, offen, eine so starke Mama. Ich weiß Das haut mich um, wie nah sie bei Tristan ist.

Tristan wollte nie einen Schnulli. Er hat von Anfang an seinen Fingern gesogen. Seine rechte Hand, die braucht er, den Zeige- und den Mittelfinger. Als der OP Eingriff ist, ist an der rechten Hand die Kanüle. Er wird in den OP Raum geschoben und schreit und brüllt nach seiner Mama. Sie hat den Ärzten gesagt, welche Hand er braucht. Sie kann nicht hin und er hat die Hand nicht. Er hat seine Finger nicht. Sie haben ihm seine Finger genommen.


Anmerkung von minze:

viel am rumprobieren..

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (15.07.20)
Fängt interessant an und skizziert ein im Grunde ja schon etwas gruseliges Pärchen, aber das mit der Geburt ist viel zu langatmig, auch langweilig und etwas arg sentimental, finde ich.

Was bedeutet der Punkt vor dem "Auf"?

 minze meinte dazu am 15.07.20:
Überbleibsel eines gestrichenen Satzes.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 15.07.20:
Achso.

 monalisa (22.07.20)
Hallo minze,
grundsätzlich denke ich, dass mir diese zweite Version in ihrer Erzählweise: eher in ganzen Sätzen, weniger "abgehackt", (z. B. Hausbau) stilistisch mehr entgegenkommt und ich finde sehr schön, wie du, obwohl der Fokus auf Tristans Mutter liegt, auch die Rolle des Mannes/Vaters in Schwangerschaft und Geburt mit hineinnimmst, teilweise gespiegelt aus der Sicht der Frau. Das ist ziemlich vielschichtig und für mich gar nicht langweilig.
Allerdings hat sich der Fokus etwas von Tristan weg verschoben, der ersten Schwangerschaft/Geburt mit ihren Nachwirkungen wird viel mehr Raum eingeräumt. Man könnte überlegen, die Erzählung mit dem Absatz: "Ein zweites Mal schwanger zu sein, ist für sie schwierig ..." beginnen zu lassen und die Vorgschichte dazwischenzuschieben (?), um den titelgebenden Tristan wieder mehr herauszustreichen.

Den letzten Absatz mag ich sehr, finde ich überaus berührend: die hilflos zärtliche Sorge der Mutter und der unausgesprochene Vorwurf an die Ärzte, trotz genauer Angaben nicht genug auf ihren Sohn und seine Bedürfnisse einzugehen. Da wird Mutterliebe sehr persönlich und (be)greifbar.

Schön, dass du dich auf diese Weise (einmal nicht in der Ich-Perspektive) dem Thema Schangerschaft, Geburt, Mutter- und Vaterschaft gewidmet hast. Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße
mona

 minze schrieb daraufhin am 22.07.20:
Liebe Mona, dein Vorschlag mit den Versetzen der Absätze finde ich nicht schlecht. Ich muss mal sehen, ob dann trotzdem gut die Geschichte als Ganzes begriffen werden kann, der innere Strang, die Linie vielleicht noch deutlicher wird. Ich will das Mamasein Tristans daran auffädeln, wie Morgane sich da hineinentwickelt hat. Insofern hatte ich es auch als Vortext in der ersten Version, also als Vorankündigung, "sie ist wieder schwanger, was gibt das wohl"..

mir gefällt erzähltechnisch die zweite Version auch mehr, ist doch authentischer, näher, klarer - wie schon erwähnt n bisschen neue Erzählwege für mich, ich kann mir auch gut vorstellen, die Erzählung noch einmal auszuweiten, hab eben noch gesehen, dass auch ein paar stilistische Ungereimtheiten drin sind. Der letzte Abschnitt ist für mich wichtig, auch der berührendste vielleicht, von dem her habe ich übrigens den Text gedacht, das war für mich die Szene, die den Text ausgelöst hat, klar - daraufhin wird er für mich dann auch erzählt.
Ich bin sehr froh, dass du findest, dass ich den Vater authentisch einbezogen habe.
Mal sehen, wann und wie ich mich nochmal an den Text wage.

Liebe Grüße an dich zurück!

 minze äußerte darauf am 02.08.20:
Habs auch verändert,falls du nochmal drüberlesen magst?!

 monalisa ergänzte dazu am 02.08.20:
Find ich gut so 😊! Ja, gefällt mir.
Hat sich, glaub ich, gelohnt, die Herumprobiererei 😊!
Liebe Grüße

 minze meinte dazu am 02.08.20:
Ja,lohnte sich.ich brauche jetzt (bzw gebe ihnen) immer mehr Zeit mit den Texten. Zwar ballere ich schnell was raus,aber ich arbeite innerlich dran weiter,ringe,interagiere mit dem,..vll geht's hier auch noch weiter.

Antwort geändert am 02.08.2020 um 09:42 Uhr
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