Blätterregen - 4

Erzählung

von  minze

Kurz nachdem Klarheit darüber herrscht, dass sie erneut verlegt wird, adressiere ich auch einen Umschlag, noch einmal mit kurzen klaren Liebesbotschaften und Photos. Ich habe einen widerspenstigen Willen: dass sie meine Liebe direkter und unvermittelter trifft als die Liebe Gottes. Ich wünsche es mir und bin mir auch bewusst, dass es, wenn nicht, nur für mich ist;  ähnlich meiner anderen Beziehungstaten, der alltäglichen Hinwendungen zu ihr. Sie sagen auch dort, sie sei stabil, allerdings brechen nun auch die letzten Telefonate weg. Selten erwischen meine Mutter und mein Onkel jemanden, der gerade zufällig im Zimmer ist, der ihr das Handy halten kann oder Auskunft gibt. Nur bruchstückhaft spricht Oma. Sie verliert ihre Stimme, dachten wir, hat Halsweh. In der Woche, in der sie nichts mehr sagen kann, hängt die Physiotherapeutin, die regelmäßiger kommen kann seit dem zweiten Negativtest, das Photo von Joscha und Mara an ihr Bett. Sie nimmt sich etwas Zeit, auch für uns. Oma nennt den Griff immer Galgen. Sie murmelt immer wieder ihre beiden Namen, ich bekomme es über den Umweg der Therapeutin zu meiner Mutter zu mir mit. Es geht mir so runter.


Heute sagt sie mir, dass sie ihren Kopf verloren hatte, es seien keine Halsschmerzen gewesen. Sie spürte, wie die Worte nicht mehr zu ihr kamen. Ich will’s nicht überhöhen, aber ich sehe diesen tiefen Trost zwischen uns. Ich kann ihn nicht übersehen, nicht durch meine vorsichtig verstockte Emotion, die doch in Tränen kommt und kommt, zögernd. Ich spüre ihn, auch wenn wir vorsichtig sind, wie wir uns die Hand halten. Ob sie nicht mehr weinen wird, nicht auf länger. Sie habe einen Kloß, sie brauche Zeit. Ich habe einen Korb mit Lebensmitteln mitgebracht und die Kinder bauen eine Höhle unter ihrem Bett. Denisa möchte nicht dazu kommen, als wir Maultaschen essen. Ich dachte, Denisa müsste ihr das Essen reichen. Denisa, ihre Pflegerin, kam ad hoc. Nach den Absagen der Pflegeheime, die voll sind und denen mit Aufnahmstopp bei Coronafällen lief die Suche nach osteuropäischen Pflegekräften parallel und als mein Onkel zwischendurch sagte, er riefe keine Pflegeheime mehr an, er bete nur noch zu Gott, dass sich eine Lösung finde, dachte ich mir, dass der Markt mit den Pflegerinnen zu Hause laufen wird. Nur ein Gefühl, was sich überraschend und erleichternd bestätigte.

Denisa zieht sich zurück, sie hilft Oma in den Rollstuhl, Oma blickt mich an, dass ich es mir merke. Sie will uns beim Essen nicht stören und ich nehme dann auch die Alltagsmaske ab und vertraue nach Omas Blick, dass ich übernehmen kann. Madame! nennt sie meine Oma. Es ist, als würde sie meine Großeltern verwöhnen und mit sanfter Routine kitten, was zunächst nach Zerfall aussah. Zumindest Opa habe ich die letzte Zeit regelmäßig auf Photos gesehen: er isst und isst nun jeden Tag mehr. Er wirkt nicht ganz zu Späßen aufgelegt, als ich ihm sage, dass er nun mit zwei Frauen auf dem Buckel kaum zur Ruhe kommen wird. Im Vergleich zu der Zeit, die ihm so viel abverlangte, dass es ihm reichte, ungefrühstückt mit Schlafanzug im Bett zu bleiben. Während meine Gedanken um Denisa kreisen, versuche ich eigentlich Oma zu fokussieren. Auch in mir ist ein Kloß gebunkert und wir finden neben schüchternen Blicken und Gesten nicht alles vor, was in der langen Zwischenzeit passiert ist. Bei ihrem Satz, sie könne nicht mehr weinen, sehe ich in ihre trübe gewordenen Augen. Sehe, dass sie an einem düsteren Grund war und nicht nur kurz und so, dass dieser ihren Geist raubte. Auch, wenn sie erzählt, und die zeitlichen Abläufe verwechselt. In anderen Situationen, die so heiter sind, als wären sie vorher ebenso passiert, da sind die Augen lebendig; sie ist irgendwo zwischendrin.

Noch drei Tage vor ihrer Ankunft erreichte sie ein Windlicht, was ich in Eile bei einem Adventsmarktstand gekauft hatte, gegen die Dunkelheit. Es ist getöpfert, innen mit Gold bemalt. Ich wusste, dass in Krankenhäusern Teelichter verboten sein müssen und bin in der Hektik mit Joscha auf LED-Lichtsuche gegangen. Nahm in Kauf, dass im KIK die vielen Merchandising-Artikel von PawPatrol und Sam sind und dass ich einen Kompromiss eingehen muss, damit er nicht zu ausfällig wird. Ich suche lange, weil die KIK Mitarbeiter mir keine hilfreichen Hinweise geben können, wo sich die Lichter befinden. In der Adventszeit wechseln die Lichter hektisch den Platz, glaube ich. Ich vertraue darauf, Joscha nicht zu verlieren, als ich wiederholt vor den Laden renne. Wie ich die Lichter finde, bin ich so glücklich und in einem Mal fest in mir, dass ich ihm doch die Plüsch-Hunde untersagen kann. Der Kompromiss ist weihnachtlich, wir nehmen für ihn ein kleines Häuschen mit Schnee, das innen ein Licht hat und flackert. Dann haben wir fünfzehn Minuten, bis die Post schließt und ich fühle, dass es der letzte Countdown sein wird, bis Oma über den Berg ist, ich renne entschlossen Joscha hinterher, der das Häuschen über den KIK-Parkplatz segeln lässt, schnalle ihn ruppig an, an der Parkplatzampel entferne ich die Lichter aus der Verpackung, ziehe mit den Zähnen an dieser Schleife, die manchmal elektronische Geräte vorsichert. Oder so. Und ich schaffe es zur Post, auch das Päckchen zu verpacken, aus dem langen Chatverlauf die Adresse zu kopieren. Ich vergesse nur einen letzten Brief an sie. Ich bin zuversichtlich, dass es diesen nicht braucht.

Oma lacht über mich, weil das Preisschild dran war. Das hat man früher gemacht, um zu zeigen, wie viel man ausgeben kann. Schon als sie anrief, lachte sie darüber. Dann, wie ich die Krabben ihr vor die Nase halte: Herrlich! Wunderbar! und die Wette, dass sie noch rumänisch lernen wird. Ich muss sie nicht einordnen zwischen den Momenten, die uns verrückt haben; ich nehme alle.




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