Schreibende am Fenster 03

Tagebuch

von  HeBu

28.04.2020


Heute ist die schreibende Frau alleine am Fenster ihrer Begleiterin; die Katze liegt auf einem anderen Platz, der bietet mehr Sonne.
Eine Bekannte geht am Fenster vorüber. Ein hastiger Blick streifte die Bücher auf dem Sims. Die Beobachterin bleibt im Verborgenen. Der Hausmeister des Nachbarhauses stellt die Recyclingtonnen raus. Die Frau beobachtet mit Ungeduld die ereignislose Straße von ihrem Fenster aus und wünscht sich, sie hätte die Sinne von Freundin Katze. Für sie ist die Straße nie leer.

Drei Autos, drei Fußgänger zählt die schreibende Frau und beginnt das leere Fenster zu fürchten, wie das sprichwörtlich leere Blatt.
Die Menge des freien Parkraums fällt der schreibenden Frau ins Auge: wo sind sie geblieben die Fahrzeuge, die normalerweise dort parken? Ist das ein Anzeichen für Normalität? Das Draußen antwortet nicht.

Die Katze will spielen, aufgeregt läuft sie zwischen den Räumen hin und her. Doch der Meister der schreibenden Frau besteht auf Einhaltung der Arbeitszeit. Die schreibende Frau wartet auf die Muse.
Hat die schreibende Frau schon einmal eine solche leere Welt gesehen, wie sie jetzt durch den Ausschnitt vom Draußen sieht? Wann erleben wir eigentlich noch Leere, fragt sie sich. Sie erinnert sich an leere Autobahnen, an menschenleere, an lärmleere kann sie sich kaum erinnern. Kinder auf der Straße soll es geben, aber nicht hier.

Die Katze ist auf ihrem Platz zurückgekehrt, mit Ohren und Blick aufmerksam das Draußen verfolgend. In der schreibenden Frau brennt der Neid.
Vielleicht sucht die Frau sich für den kommenden Tag eine andere Aufgabe als die Beobachtungen aus dem Fenster. Was soll sie schreiben? Sie sitzt seit zwei Stunden an diesem Fenster und es geschieht nichts. Wie um sie zu verspotten, gibt die Katze ein entspanntes „Mhmmm“ von sich.
Ungedämpft flutet das Licht durch die Straße, sogar am Himmel herrscht Leere – Wolkenleere. Wie viel Leere ertragen wir, fragt sich die Schreibende.

Zwei Menschen mit Masken unter dem Kinn zählt die Chronistin. Die Einwohner kommen ihren Pflichten nach, nur mit dem Verstehen des Wie scheint es zu hapern – der Mensch lässt sich nicht gerne am Atmen hindern.

Groß und Klein buhlen um die Aufmerksamkeit der Katze, die Schreibende bemerken sie nicht. Noch ein zufriedenes „Mhmm“ aus Katzenschnauze und ...

Die Tücken des Arbeitens zu Hause: Immer mal wieder kommt der Gedanke, doch gerade mal dieses zu erledigen oder das zu klären. Umso schlimmer ist es, je leerer das Fenster bleibt.

All die überraschten Nachbarn: Eilig verstauen sie ihr Altpapier in der Tonne, stapeln ihre Kartons daneben - jeden Monat wieder eine Überraschung, die Wertstofftonnen werden gelehrt. Dies jedenfalls führt auf der windstillen Straße zu einer Windhose des Umweltschutzes.

Ein Hund trottet vorüber, der Schwanz lebt im Rhythmus seines Ganges. Die schreibende Frau fühlt einen Funken Zufriedenheit, dass sie die Zeit der Leere durchgehalten hat.

Eine Frau mit orangener Jacke bleibt stehen, ihr Blick liegt auf der Katze, sie telefoniert, hört zu. Die Bücher auf dem Sims ziehen ihren Aufmerksamkeit auf sich, ihr Mund formt ein Geräusch, das die Katze locken soll. Der Mund bleibt stumm. Ihre Augen sind jetzt ganz bei den Büchern, ihre Interesse auch. "Sagt das noch mal“, spricht sie in das Mobiltelefon. Sie greift zum Buch, eine schnelle Bewegung lässt es in die weiße Tasche gleiten, die sie trägt, sie geht weiter, die Katze ist vergessen. Die schreibende Frau bleibt unbemerkt und gratuliert sich zu ihrer Idee. Ein schneller Blick auf das Sims "Gelebtes Sterben“ war der Titel, den sie wählte.
Da die Frau mit der orangenen Jacke geht wieder vorbei, sie telefoniert.

Am Fallrohr, vom Haus gegenüber, sind zwei neue Aufkleber hinzugekommen, ein grüner und einer in Rosa, jetzt sind es neun. Diese Entdeckung elektrisiert die schreibende Frau einen Moment lang.

Die Frau in der orangenen Jacke kommt wieder ins Bild, sie telefoniert.

Mit gespitzter Aufmerksamkeit, das Erscheinen der Frau in Orange erwartend, verharrt die Schreibende an ihrem Platz. Sie ist sich sicher, dass die orange Gekleidete noch einmal kommt.
Eine Hand bewegt die Gardine im gegenüberliegenden Fenster, die Schreibende reagiert immer mehr wie eine Katze.
Nicht das geschriebene Wort lässt den Mann, der vorbei geht, innehalten, es ist die schlafende Katze. Den Büchern auf dem Sims schenkte er nur ein minimales Interesse.




Anmerkung von HeBu:

Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibexperiments entstanden, zu dem noch ein paar folgen werden. Allerdings ist das Experiment wegen Corona zum Erliegen gekommen.

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