Der Weg des Buches

Tagebuch

von  HeBu

Unser Autor sieht sich auf einer Bühne stehen, ihm wird ein goldschimmernder Preis überreicht. Eine Stele aus vergoldeten Büchern. Der Preis wiegt schwer, sein Verleger schüttelt ihm die Hand, sein Grinsen ist breit. Mit beiden Händen reckt der Autor den Preis in die Höhe.

Blitzlichtgewitter, stehend wird applaudiert. 10.000.000 verkaufte Exemplare ruft eine Stimme aus dem off. Der Verleger und sein Lektor stoßen mit einer Magnumflasche an. Der Autor dreht sich um, dreht sich schnell wie ein Kreisel. Die Bücher, seine Bücher, die ihn jetzt umgeben, drehen sich in Gegenrichtung. Der Schwindel des Erfolgs überwältigt ihn.

Er reißt die Augen auf. Die Katze schnurrt laut, milchtretend auf seiner Brust. "Ich komme, meine Kleine", nuschelt er. Sein Arm fährt suchend über den anderen Teil des Doppelbetts. Dann wird ihm klar, dass niemand dort liegt. Montag, denkt er. Seine Mäzena ist bereits die Brötchen verdienen. Die Katze mauzt drängender. Entschlossen steht er auf.

Er versorgt die Katze, geht zu seinem Schreibtisch - so beginnt sein Arbeitstag: er liest mehrere Zeitungen, was ihn interessiert, schneidet er aus und archiviert es.

Dann wendet er sich den Notwendigkeiten der Reproduktionsarbeit zu. Dass er das bisschen Haushalt nicht schafft, dafür hätte seine Mäzena kein Verständnis.

Hausarbeit hat der Autor vor einigen Jahren, als er seinen verinnerlichten Widerstand aufgegeben hatte, als Turbo für seinen kreativen Prozess erkannt. Immer wieder unterbricht er die manuelle Arbeit, dann eilt er zu seinem Schreibtisch oder zückt sein Notizbuch, kritzelt etwas auf die Einkaufsliste der Woche; er hat sogar ein Klemmbrett im Bad, da kann sich das Badputzen schon mal etwas hinziehen. Auf der Einkaufsliste am Kühlschrank steht:

Katzenfutter,

Butter,

Blumen,

Milch,

"Als was ist sie denn getauft?", fragt die Dame des Kaffeekränzchens."Als nix", antwortet die Dame ihr gegenüber.

Äpfel,

Leergut abgeben,

Schokolade.

Ist der Einfall notiert, kehrt er wieder zur Hausarbeit zurück. Irgendwann, als der Fluss der Ideen stoppt, geht der Autor zum Altpapiercontainer, öffnet den Deckel: "Immer das gleiche, warum machen die Leute die Kartons nicht klein?, murmelt er im Selbstgespräch und beginnt die Verpackungen zu zerlegen. Dann sieht er sie unter einem Stapel Modezeitschriften: zwei Buchrücken; schnell, als müsse er Leben retten, gräbt er die Bücher frei - zieht sie heraus. Spiegel-Bestseller steht auf dem einen, das andere trägt seine Widmung.

Der Autor sieht sich noch einmal das Cover des Bestsellers an. "Spiegel-Bestseller" liest er laut. "Hat dir auch nichts genutzt!", ruft er in den Himmel.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (14.07.22, 18:34)
Ja, auch Bücher gehen den Weg alles Irdischen. Aber daß meine eigenen Nachbarn meine Bücher ins Altpapier werfen, das ist ein Kriegsrund!
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