Der Himmel öffnet sich nicht

Text

von  TropicalDejaVu

Es liegt wahrscheinlich am Regen. Seit Tagen wohnen wässrige Akkorde in der Luft, die Hinterhöfe gleichen sich, in den Laubengängen des Viertels schlafen Katzen.

Die Stadt ist wie aufgeweicht und überall riecht es nach Erde, die träge gluckst, nach steinigem Wasser auf den Balkonen und in den Rinnsteinen. Schwarze Regenschirme glänzen wie blank geputzte Zylinder.

Dann ein Hupen, vielleicht ein weiteres, Motoren und Vögel in nachmittaglichen Nebenstraßen, Stille – Regen.

Dann wieder Stille.

Tassilo erzählt, dass die Briefträger die Briefe jetzt schneller zustellen seit dem Montag, an dem es zu regnen begann. Sie eilen von Hauseingang zu Hauseingang auf einem gelben Fahrrad.

Tassilo sagt: sie torkeln durch die windbestrichenen Straßen wie betrunkene Matadore.

Es liegt am Regen, es liegt alles am Regen.

Am Sonntag noch jonglierte die Sonne wie ein Clown und verlor.

Dann der Regen.

Wer kennt das nicht.

Tassilo fragt: weshalb?

Er schaut mich an, dann ihr Foto, das wie eine kleine Sonne von der Kommode scheint, schaut aus dem Fenster, raucht.

Stille.

Stille, die nicht weiß weshalb.

Das Telefon erfindet das Schweigen.

Im Hinterhof kreischt ein Fensterladen wie Schotter und ein Hund erwacht. Er bellt und jemand ruft seinen Namen. Ein Vogel entsteigt verschreckt in den leeren Himmel.

Am anderen Ende der Straße schließen die Geschäfte, der Obsthändler holt die orangene Markise ein, der Tabakhändler faltet die Zeitung, gähnt, verschließt die Tür.

Anna ist zurückgekehrt!

Jahrelang nun wohnt sie schon in diesem Haus aus Backstein, vierstöckig, von Antennen vernarbt. Jahrelang – nur der Name der Straße ist heute ein anderer.

Aber darum geht es nicht.

Sie ist einfach wieder da.

In seinem Kopf.

Lichtgeschwindigkeit.


Sie ist unter den Füßen kitzelig.

Ihre Stimme ist ein Saxofon.

Und wenn sie traurig ist, ist es als kratze sich der Mond seinen Rücken an den Dächern.

Ich glaube, ich kenne das, ja.

Und während der Regen unaufhörlich rumpelnd und schnaufend auf die Straßen niedergeht so als ende der Traum eines Lokomotivführers, erzählt Tassilo, wie er und Anna sich kennengelernt haben.

Er erzählt vom Mond, der über den Pfützen stand, in einer anderen Nacht vor Jahren und doch in denselben Straßen; wie sie vom alten Kino kamen und zuerst Hand in Hand, dann Arm in Arm den leeren Boulevards mit den nassen Neonfassaden folgten und später dann den Nebenstraßen, die dalagen wie Steine unter der Wasseroberfläche weil die Laternen so fahl leuchteten, so dass sie in einen Hauseingang flüchteten wie die Briefträger vor dem Regen.

Tassilo sagt: wie das so ist wenn man sich liebt.

Ja.

Dann ,eines Abends, riss die Sonne ab wie eine gelbe Fahne im Sturm.

Nichts ist mehr wie früher, sagte Anna, und Tassilo raucht, schüttelt den Kopf: ich verstehe das nicht.

Wir sitzen eine Weile so da.

Es ist Donnerstag.

Es könnte genauso gut Montag sein, oder Freitag.

Tassilo schließt die Augen, so dass ihm ist als ginge die Sonne hinter der Kommode auf, doch der Himmel öffnet sich nicht.



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