Der Zirkus war in der Stadt

Text

von  TropicalDejaVu

Must the Show go on? "
- Pink Floyd " The Show must go on " -



Gestern war der Zirkus in der Stadt gewesen.

Die Plakate schrien grell, eine Flüstertüte hustete und versprach Attraktionen, ein betrunkener Leierkastenmann orgelte und lächelte zahnlos, während ein blauer Lieferwagen frische Späne für die Manege lieferte, jemand mit Zylinder verkündete, dass es keine Karten mehr gäbe.

Die Kapelle rasselte bumm – tschak bumm - tschak, die Schimmel scharrten die Hufen hinter dem Zelt.

Weiter hinten noch, in einem der Wohnwagen, sah die Seiltänzerin die Fratze des Clowns im Zwielicht einer Petroleumlampe und die Löwen verschluckten einen Schrei in ihren dunstigen Mähnen.

Im Zelt tobte die Menge, die Kapelle rasselte bumm – tschak bumm – tschak.

Das Make – Up der Seiltänzerin verlief und dem Clown platzte weiße Schminke von der Wange ab, weil sie ihn kratzte. Der Wind trug die Elefanten durch das halb geöffnete Fenster des Wohnwagens: es waren leise Trompeten.

Sie krallte sich in die Fratze des Clowns. Seine Augen waren rot und er atmete heftig.

Nirgends war ein rettender Laut.

Von fern bummerte die Kapelle bumm – tschak bumm – tschak und niemand bemerkte etwas, nur die Schimmel schabten die Hufen und bliesen aufgeregt durch die Nüstern, doch der Dompteur kraulte ihnen die Mähne.

Irgendeine Katze blickte vom Sims eines Fensters auf den benachbarten Wohnwagen, in dessen Fenster sich die Silhouette des Clowns abzeichnete: er war aufgestanden und schwang das Hemd der Seiltänzerin triumphierend über seinem Kopf herum.

Die Katze spitzte die Ohren und starrte mit grünen Augen.

Die Augen des Clowns waren rot.

Ganz in der Nähe probierten die Dompteure ihre Peitschen aus, die Kapelle rasselte bumm – tschak bumm – tschak, eine Fanfare und schließlich: Stille.

Es war alles still.

Der Clown beugte sich und presste die Hand auf ihren Mund. Die Seiltänzerin war leer, es war dort plötzlich etwas, das nicht mehr weggehen wollte, etwas wie ein Blitzschlag auf einer Waldlichtung.

Die Katze neigte den Kopf und blickte weg.

Im Zelt jonglierten die Seehunde mit Bällen und Luftballons aller Farben wirbelten durch die Manege. Der Zirkusdirektor erschreckte ein Kind mit einer Plastikblume, aus der Wasser spritzte und dann lachte er.

Alle lachten.

Der Clown lachte.

Er lachte hässlich und sein hässliches Lachen war der erste wirkliche Laut seit langem.

Der zweite Laut dann war ein Schuß, ein Schuß so unwillkürlich, dass jemand glaubte, ein Blumentopf sei zur Erde gefallen und zerbrochen.

Die Katze neigte den Kopf und blickte weg.

Ansonsten hörte niemand etwas, die Menge applaudierte, vereinzelte Bravos hier und da, weil die Elefanten Trompete spielten und die Bären tanzten wie Kosaken.

Jemand sprang durch einen Feuerreifen.

Der Clown taumelte und lachte, während er sein Hemd öffnete und Daunenfedern hervortraten wie Schnee, sein dicker Bauch verschwand jäh als er das Kissen hervorzog.

Die Seiltänzerin ließ erschöpft den Gasrevolver fallen, während der Clown rückwärts taumelte und dann, festeren Schrittes, langsam ging und schließlich etwas schneller und dann lief, hinaus in die Dunkelheit.

Von dort trat er in das grelle Licht der Manege.

Die Kapelle spielte einen Tusch und Kinder lachten über seine viel zu großen Schuhe. Mütter lachten weil die Kinder lachten. Väter hoben den Arm um Popcorn zu bestellen. Der Clown blies Seifenblasen, schnitt Fratzen und die Kapelle rasselte bumm – tschak bumm – tschak.

Schließlich verbeugte er sich, es wurden Fotos gemacht, gewunken und die Schimmel angekündigt, die bengalischen Tiger und zuletzt die Artisten.

Der Direktor pries das Leben auf dem Drahtseil.

Die Menge applaudierte und einige Reporter kritzelten die Zeitungsberichte von heute Morgen in ihre Notizblöcke.

Heute Morgen?

Heute Morgen lag der erste Schnee auf den Straßen.

Und heute Morgen war das Zelt verschwunden, denn der Zirkus war weitergezogen, jedoch ohne die Seiltänzerin: sich stürzte sich gestern vom Drahtseil unter der Kuppel in die Tiefe der Manege hinab, ohne Kraft für mehr.



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