Der Mensch als Mensch und Chef
Wenn dir dein Chef sagt: „Ich habe menschlich sehr viel Verständnis für Sie, aber als Ihr Vorgesetzter muss ich an die Dinge sachlich herangehen“, dann weißt du: Der da vor dir steht, ist eine gespaltene Persönlichkeit, der Mann ist zwar Mensch. Doch im Dienst. Und du ahnst: Der beschönigt jede Schweinerei, sofern sie dienstlich geschieht. Allerdings nur, wenn sie von oben kommt. Nach unten wird er prinzipiell.
Der Mann ist ein Automat. Er teilt seinen Tag ein: Hie Dienst – dort Gefühl. Du hast vielleicht Sorgen mit irgendwas und irgendwem, willst drei Tage freihaben, aber der Chef ist im Dienst. Rein menschlich fühlt er mit dir. Sagt er jedenfalls.
Leiter tragen: die Verantwortung, die Verhinderung von chaotischen Ansichten, im Dienst
geäußert, in der Zeit von 9.00 bis 17.00 Uhr. Die Verantwortung fühlt er einfach. Er hat es
sowieso mit dem Fühlen, wenn er sich menschlich gibt. Aber es dauert keine drei Sekunden, dann ist er wieder im Dienst und muss die Dinge sachlich sehen.
Wobei das Menschliche immer so ein bisschen nach ungewaschenem Hemdkragen riecht,
nach Schluderei, nach Aufstand. So was kann sich kein Leiter oft leisten. Wo kämen wir
denn dahin? Jede Regung, die er der Unterabteilung Menschlichkeit zuordnet, empfindet
er als Blasphemie, als heimliche Schmähung des Abteilungsleiter-Selbst. Und das rechnet
er zum Sichgehenlassen niederster Qualität.
Erst abends wird der Chef wirklich Mensch, abends auf der Couch. Jetzt trägt er sein
Privatgesicht. Und Patricia, sein dienstwilliger Schatten, die Ehefrau, sieht ihn immer nur so.
Da sagt er abends, mitten im Spiel FC Bayern gegen Fürth: „Pat, ehe ich es vergesse – dem Schneider, du weißt schon, das ist der, von dem ich dir neulich erzählt habe, der ist Linkshänder. Und dann die Intellijenzbrille! Aber Porsche fahren! Dem muss ich morgen eine Strafarbeit verordnen, die sich gewaschen hat. Das dritte Mal! Das dritte Mal zu spät zum Dienst gekommen! Akademische Viertelstunde, ich kenn die Brüder! Alles wartet mit dem Frührapport auf diesen Herrn Schneider! Hält mich für Gott weiß was für einen Dussel, der! Frau krankgeworden, haha! Damit kam er mir. Du weißt, ich bin prinzipiell gegen Schlamperei.“
Pat nickt ergeben.
„Also, Pat, morgen früh. Da erinnerst du mich an den Schneider. Nicht vergessen! Dem ziehe ich die Ohren lang, dass es kracht! Schlamperei – aber nicht bei mir! Kommt mir damit - von wegen kranke Frau. Übrigens, der hat zwei Kinder, die halten dann beim nächsten Mal her! Ordnung muss sein. Wenn ich das auch rein menschlich verstehen
kann …“