Dieter

Erzählung

von  Diablesse

Zufrieden betrachtet Dieter sein Werk. Technisch einwandfrei. Ein Geniestreich. Das macht ihm so schnell niemand nach! Und die dachten wohl, er würde sich den Bedürfnissen anderer beugen. Aufstehen, nur weil die Viecher Tageslicht und Futter verlangten. Nein, nicht mit ihm. Das Malochen hat ein Ende. Wozu ist er schließlich Rentner geworden? Hat ja auch lang genug gedauert. Erst das Atomkraftwerk, dann die Schweinemast und schließlich technischer Leiter in einem ungewöhnlich großen Hotel für eine Region, in der die meisten Ortschaften nicht über 500 Einwohner kamen. Was für ein Aufstieg, was für eine Karriere. Sicher, der Hautkrebs von der Strahlung im Kraftwerk glich einem Arbeitszeugnis besonderer Art. Aber den hat er hinter sich gelassen. Besiegt hat er ihn, jawohl. Denn Dieter, das weiß er, ist ein Siegertyp.

Das hat er schon bei den Frauen gemerkt. Frau 1 - direkt ein Volltreffer. Jung und schön. Ein Kind komplettiert das Bild. Nur das Familienglück, das will sich nicht so richtig einstellen. Naja, macht ja nichts. In der Schweinemast hat er diese Blonde gesehen. Machte die ihm nicht ohnehin schöne Augen? Klar, die hat schon ein Balg von einem anderen, aber das kann man ja ignorieren oder zumindest schlecht behandeln. Wird bestimmt sowieso nur eine Niete wie der Vater.

Gesagt, getan. Frau 2 geht ihm ins Netz. Ein Sieg auf ganzer Linie. Die Niete zieht aus, Dieter zieht ein. Sie helfen sich beim Umzug. So anständig muss man dann schon sein. Aber er muss hier nachziehen und für Ausgleich sorgen. Eine Familie, beststehend aus nur einem Kind von einem anderen, das ist ja auch kein Zustand. Und so ist bald Kind 2 unterwegs. Dieter freut sich, aufzuholen.

Apropos - was macht Kind 1 inzwischen eigentlich? Wie alt ist es jetzt nochmal? Das fällt Dieter gerade nicht ein. Naja, macht ja nichts. Frau 1 wird das schon machen. Und wenn nicht, ist das ja auch wirklich nicht sein Problem.

Wild ist Frau 2. Das mag Dieter. Sie beißt und kratzt. Gab es da nicht dieses Lied von … Dirk Bach? Nee, wie heißt der nochmal? Naja, nicht so wichtig. Ja, oft spielen sie Krieg und Frieden. Fetzen fliegen. Laut wird es schon oft. Dieter erinnert sich an eine Situation: Frau 2 will ihr Kind 1 vor die Tür setzen. Der Junge ist zwar noch keine zehn, aber Selbstständigkeit will früh geübt sein. Jetzt weint Kind 2. Tut so, als hätte es sich gestoßen, die Kleine. Doch Dieter ist clever, er durchschaut das Schauspiel. Kind 1 muss zurück in die Wohnung. Das geht ja so auch nicht.

Einmal beim Abendessen klingelt es an der Wohnungstür. Kind 2 läuft zur Tür und macht auf. Ein Mann mit Weinflasche steht dort. Wieder ein Weinvertreter, denkt das Kind und ruft die Eltern. Die müssen lachen - oder tun zumindest so. Der Weinvertreter entpuppt sich als Kind 1 von Dieter. Schön, dass der Junge sich mal blicken lässt. Wird ja auch Zeit. Naja, er wusste schon, dass der noch zur Vernunft kommen würde. Immerhin ist der jetzt in einem Alter, in dem man die Treffen zu einem feuchtfröhlichen Gelage machen kann. So lässt sich die ganze väterliche Unbeholfenheit und das Desinteresse auch besser kaschieren. Prost!

Frau 2 und Dieter wird es zu eng in der Wohnung. Ein Haus muss her. Das fehlt jetzt wirklich noch. Er will doch nicht den Rest seines Lebens in einem Neubau verbringen. Da hat Dieter schon was Besseres verdient. Also greifen Frau 2 und Dieter in die nicht ganz so tiefen Taschen und verschulden sich bis über beide Ohren.

Zwei Kinder, Hausrenovierung, Ganztagsjobs. Ein wenig entspannter hatte Dieter sich das alles schon vorgestellt. Denn schließlich ist sein Motto: Morgen ist wieder ein Tag. Frau 2 scheint der Stress auch nicht so gut zu bekommen. Als das Schlafzimmer endlich fertig ist, legt sie sich ins Bett – und steht tagelang nicht mehr auf. Muss sie jetzt in die Klapse? Ah, nein, zum Glück nur etwas Überforderung. Frau 2 erholt sich – und hat bald wieder Kraft zum Kratzen, Beißen und Streiten.

Doch dann der Schock. Das Hotel will ihn nicht mehr. Zu alt sei er geworden. Nicht mehr haltbar. Und überhaupt – sie wünschen ihm alles Gute. Dieters sicherer Boden, auf dem er mit beiden Beinen fest im Leben steht, verwandelt sich in Wackelpudding. Dieter kann nicht gut mit Niederlagen, Dieter ist ein Siegertyp. Er hat was Besseres verdient! Eine Beförderung, ein Orden, ein Dienstkreuz, das alles hätte er verstanden. Aber nicht mehr gebraucht werden? Dieter sitzt in seinem Haus und grübelt. Die Kinder in der Schule. Die Frau in der Arbeit. Die kommt auch immer später nach Hause. Ihr Chef ist ihm schon länger ein Dorn im Auge. Da ist doch was, da läuft doch was! Das weiß Dieter ganz genau. Die Vorhaltungen bringen die Frau auch nicht früher nach Hause. Seltsam. Irgendwas muss sich ändern. Dieter schaut sich suchend um.

Auf einer Familienfeier findet Dieter dann die Lösung. Frau 3 ist verwitwet und wohnt in einem netten kleinen Häuschen ein paar Dörfer weiter. Ihre beiden Kinder sind schon aus dem Haus. Besser kann es nicht laufen. Diesmal muss er niemandem beim Auszug helfen, der Vormann hat schon aufgegeben. Er muss auch keine Kinder permanent mehr um sich haben. Kinder sind irgendwie nicht sein Ding. Naja, macht ja nichts.

Bei Frau 3 hat Dieter Platz für ein paar Tiere: Kaninchen, Enten, Hühner. Das macht Dieter Freude. Eine unverbindliche Verantwortung. Ein bisschen Kümmern, aber nicht so viel. Und schlachten und essen kann man die Tiere auch noch. Da weiß man wenigstens, wofür man die ganze Anstrengung macht.

Zufrieden betrachtet Dieter sein Werk: sich, sein Leben und die soeben fertig konstruierte automatische Hühnerklappe mit Zeitschaltuhr. Er hat es ihnen allen gezeigt: den Frauen, den Kindern, den Hühnern. So schnell macht ihm niemand was vor.



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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (06.08.23, 18:00)
Ja, er hat es ihnen gezeigt. Was eigentlich genau? LG

 Diablesse meinte dazu am 16.08.23 um 22:28:
Wie man es nicht macht. Danke für den Kommentar.

 Janna (07.08.23, 08:56)
Ein beschissenes Leben in spannende Zeilen gepackt, mit einer Portion Ironie und einem Hauch Zynismus, hat mir sehr gefallen. Und mich an gewisse Leute erinnert, es hat sich hoffentlich ausgedietert!

Liebe Grüße

Janna
Dieter Wal (58) antwortete darauf am 07.08.23 um 09:16:
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 Diablesse schrieb daraufhin am 16.08.23 um 22:29:
Danke euch, vor allem dir, liebe Janna, für deinen prägnanten Kommentar. Besser hätte ich es auch nicht zusammengefasst. 

Liebe Grüße 
Diablesse

 AngelWings (07.08.23, 09:38)
Das ein Fall für unser Patenonkel DJ. Der hätte die zwei Kinder aus der Familie geholte, und Eltern auf die Klagbank Gesetze.
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