Goethe in Weimar

Gedanke zum Thema Vergangenheitsbewältigung

von  Bergmann

Layout für Dieter Wal


Thomas Manns Roman Lotte in Weimar ist eine nüchterne Zurücknahme seiner Goethe-Begeisterung in frühen Jahren. Das Buch ist, so gesehen, eine teils heitere (Selbst-)Kritik. 

Zufällig fand ich in einem Offenen Bücherschrank eine neuere Goethe-Biografie von Karl-Heinz Schulz (Reclam, 1999) und konnte etliches untersuchen, inwieweit die Kritik an Ihm Selbst auf Fakten beruht oder fiktiv ist: Ziemlich gut belegt alles, etwa seine Abstinenz von nationaler Gesinnung, seine Napoleon-Bewunderung, seine Eitelkeit: Als das Ritterkreuz des kaiserlichen Ordens der Ehrenlegion, das Goethe von Napoleon erhielt, nach der Niederlage in der Leipziger Völkerschlacht  nicht mehr konvenierte, erbat und erhielt er einen Staatsorden des österreichischen Kaisers ... Auch die Personen werden getreu gezeichnet. Sehr fiktiv und nicht immer überzeugend bzw. wahrscheinlich sind allerdings die Gefühle von Lotte geb. Buff. Ein auch stilistisch kokettes Spiel, das Thomas Mann hier treibt, inklusive der möglicherweise humorvollen Selbst-Spiegelung des Großschriftstellers Thomas Mann in Jupiter Goethe.

Lotte in Weimar zwingt mich immer mehr dazu, mein eigenes Goethe-Bild zu überprüfen, wie Thomas Mann, der offenbar das meiste auch damals schon recherchierte. Der ältere Goethe gibtetwa ab 1805 zunehmend kein gutes Bild ab, er wird immer konservativer, verknöchertentsetzlich, auch politisch - während sein Landesherr Carl August immer liberaler und moderner denkt. Eine schaurige Geschichte ist Goethes Sohn August ... Es ist etwas deprimierend, wie ein poetischer Genius in Dingen des Alltags und in den menschlichen Beziehungen so schwach wird ... in Thomas Manns Roman wird es schonungslos herausgearbeitet. Lotte wird immer mehr zur Zuhörerin und Anlass einer Goethe-Biografie. Möglicherweise ist der oft arg gedrechselte Sprachstil, der zur Zeit um 1800 passt, ironisch gemeint; diesmal aber nicht gegen Goethe, sondern vielleicht gegen das gläubige Bildungsbürgertum 1939ff. Ich traus ihm zu. Der frühere Bildungsbürger war oft autoritätsgläubig, und so gibt es auch einen unterschwelligen Bezug zur politischen Ebene vor dem Weltkrieg. Thomas Mann arbeitet sehr ausführlich Goethes Verehrung Napoleons heraus, die zu einem großen Teil auf Selbsttäuschung beruht ... Interessant finde ich, dass sich Goethe mit den Wahlverwandtschaften noch einmal zusammenreißt und ein epochemachendes Werk schreibt und Faust II vollendet, obwohl er schon an der Langeweile seines Lebens leidet und Ruhe sucht. Dieser erste Eheroman ist genial und fleißig entstanden. Wilhelm Meisters Wanderjahre dagegen zeigen, dass der Großschriftsteller keine Lust mehr hat, zu der Zeit trinkt er nachweislich täglich 2-3 Liter Wein, und so entsteht unfreiwillig ein fragmentarisch-moderner Romanansatz ... 



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Kommentare zu diesem Text


 Hobbes (30.10.23, 19:32)
Hallo Bergmann,

obwohl gut geschrieben überzeugt mich der Text trotzdem nicht.

Aber der Stil gefählt mir sehr!

Gruß 

Peter

 Bergmann meinte dazu am 30.10.23 um 21:12:
Lieber Peter, 
mich interessiert ja, was ich besser machen könnte oder sollte, also was dich nicht überzeugt und warum nicht.
Herzlichst
Uli

 Hobbes antwortete darauf am 31.10.23 um 06:58:
Hallo Bergmann,

was du besser machen könntest? Ohje schwierig zu sagen. Der Still ist ja, eigentlich sehr gut. Ich lese ja nur das Beste aller Zeiten, vielleicht bin ich daher literarisch zu verwöhnt. Ivh kann da kaum was sagen.

Beste Grüße 

Peter

 Rosalinde (31.10.23, 05:52)
Naja, Bergmann, dass Goethe einfach ein Mensch war und kein Übermensch, das ist nichts Neues. Was zählt, ist sein Werk. Und was die Napoleon-Verehrung angeht, so sollte man bedenken, dass erst mit Napoleon in Deutschland der Wind etwas frischer wurde, durch den Code Napoleon. Von daher stand Goethe damit auf der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts des Bürgertums. Dies sollte man dem armen Goethe nicht zur Last legen, ein Fall für den Verfassungsschutz ist er nicht. Mich stößt eher Thomas Mann ab, wenn ich ihn lese, höre ich immer so ein leises genüssliches Schmatzen über seine eigene Titanenhaftigkeit.

Lieben Gruß, Rosalinde

 Bergmann schrieb daraufhin am 31.10.23 um 09:40:
Liebe Rosalinde,
das tut mir sehr leid mit deiner Allergie gegen Thomas Manns Schmatzstil. Lies ihn lieber nicht mehr! 
Mit Goethe geht es dir vermutlich besser. Ich lese Goethe gern, weil ich in jedem Satz mit ihm verbunden bin - er atmet so schön, genau wie ich! 
Allerherzlichst
Uli

 Augustus (31.10.23, 14:21)
In Napoleon sieht Goethe ja das Dämonische überhaupt, also das, was eigentlich für den Menschen unbegreiflich ist, oder anders ausgedrückt, er siehst das dämonische in Gestalt Napoleons ausgedrückt. Der Orden ist ihm so viel wert, als die dämonische überirdische Macht ihm (Goethe) als Anerkennung seines literarischen Schaffens verleiht.

Die Begegnung mit Napoleon oder überhaupt mit der dämonischen Macht spiegelt sich im literarischen Faust in Form des Mephisto wieder.  

Die Sorge um den Sohn und die Zurechtweisung, der in den Krieg gegen Napoleon mit den anderen Jungs ziehen will, ist der menschlichen Angst geschuldet ihn vor einer Gefahr zu beschützen. Sicher, da war er zu egoistisch, aber welcher Vater oder Mutter wäre es nicht, ausgenommen die russländischen, die gerne ihre Söhne für einen Überfall und nicht für Verteidigungszwecke  aufopfern. 

Wahlverwandtschaften war ein Flop zu seinen Zeigen, Wilhelm Meister ebenso, gerade mal 50 Bücher wurden verkauft. 

Erst mit seinem Epos „Hermann und Dorothea“ hatte er wieder (!) einen größeren Erfolg nach Werther.

 Dieter Wal (31.10.23, 21:56)
Schönes Thema. Die Titel in Großschrift mitten im Text sind in meinen Augen ein typographisches Verbrechen, Du Krimineller. :)

Auch viele der Klammern. Was ist denn los mit Dir? Sonst bist Du typographischer Ästhet.

Kommentar geändert am 31.10.2023 um 21:57 Uhr

 W-M äußerte darauf am 03.11.23 um 19:05:
War gerade zufällig am 28. August diesen Jahres in Weimar, wo zu Seinem Geburtstag vor dem Römischen Haus ein kleiner szenischer Ausschnitt aus "Lotte in Weimar" gegeben wurde ... das erste Wiedersehen von Charlotte und Wolfgang.

Übrigens, die best recherchierten und treffendsten Goethebilder liefert meiner Meinung nach immer noch Sigrid Damm in ihren verschiedenen Büchern und Biographien zu Personen aus dem engen Umfeld Goethes bzw. zu "Goethes letzter Reise" (nach Ilmenau).

Am interssantesten finde ich den sehr alten, schon sterbenden Goethe. Da war er ganz er selbst und bescheiden ... schon allein die kleine Kammer mit Bett und Sessel neben seinem Schreib-/Arbeitszimmer, beeindruckt mich immer wieder.

Einmal erzählte ein Musiker/Pianist am Rande seines Konzertes von der kurzen Begegnung Beethoven - Goethe in Karlsbad. Diese schien mir bezeichnend für den bekannten Goethe.

Das Problem am "Übermensch/-dichter" Goethe war, dass er eigentlich 200 Jahre lang die Deutsche Literatur bzw. Germanistik blockiert hat, durch seine akademische und schulische Verehrung. Für mich bleiben eigentlich nur der Faust (beide Teile) und die Gedichte Prometheus und das Kickelhahngedicht Über allen Gipfeln ...

 Bergmann ergänzte dazu am 03.11.23 um 21:49:
Ich studierte Germanistik in Bonn - WERTHER bei Prof. Peter Pütz - und erlebte die von dir genannte Blockade in allen Köpfen, bis auf Pütz, der sich mit dem jungen Handke befasste. Über FALSCHE BEWEGUNG / WILHELM MEISTER schrieb ich meine Examensarbeit. 
Von Goethe liebe ich wie du FAUST, PROMETHEUS,  Kickelhahn-Episode, aber auch WERTHER, DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN und einige andere Gedichte. Mir hat auch WILHELM MEISTER gefallen, beide Teile!
Faust II habe ich noch nicht genügend verstanden (= mir anverwandelt). 
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Thomas Mann, dessen Romane ich liebe (Budden... Zauber... Joseph... Krull...), hat mit LOTTE nicht sein bestes Buch geschrieben, dafür ist mir die stilistische Gestaltung zu manieriert, da wäre mir ein Essay lieber gewesen), aber mir gefällt seine Arbeit an einem angemessenerem Goethe-Bild. 
Mir scheint, TM hat Goethes Sohn August aufgewertet. Ich kann's aber nicht beurteilen. 
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Was mir missfällt in unserer Zeit: Dass TM so abfällig bewertet wird von vielen, vor allem auf kv fällt es mir immer wieder auf. 
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Dir alles Gute, lieber Werner!
Herzlichst
Uli
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