Für immer und ewig

Kurzprosa zum Thema Tiere

von  Odine

Frisch gesägtes Holz, der erdig modrige Boden, die Pollen in der Luft, ein Artgenosse auf dem Waldweg –
der unverkennbare Geruch des Waldes strömt in meine empfindliche Nase. Es kitzelt. Ich niese. Es ist ein wunderschöner Morgen. Irgendwo in der Nähe versteckt sich ein Tier. Ich glaube, die Menschen nennen es ‚Reh‘.
Wald – das bedeutet für mich: Freiheit, Unbeschwertheit, einfach Hund sein zu dürfen. Was kann es Schöneres geben, als allein mit seinem Lieblingszweibeiner die Umgebung zu erkunden? Nur du und ich.
Ich verstecke mich hinter dem großen Holzstapel. Mein Hundeherz hüpft vor Vorfreude. Ich lasse dich
nicht aus den Augen. Dein blondes Haar schimmert in der Sonne. Sie riechen nach Shampoo. Sie riechen
nach dir. Die Hände in den Rücken gestemmt, schaust du dich suchend um.
 „Wo hat er sich bloß wieder versteckt?“, höre ich dich leise fragen.
Ich gehe einige Schritte in deine Richtung. Jede Faser meines Körpers ist angespannt. Dann ein
kräftiger Sprung. Mit meinem ganzen Gewicht erwische ich dich von hinten.
Gemeinsam gehen wir zu Boden. Meine Rute peitscht freudig hin und her, als ich dich beobachte, wie du
schimpfend auf dem Boden sitzt und dir die Blätter und Erde aus deinem Pullover wischst. Mit schief
gelegtem Kopf stehe ich vor dir und schaue dich an. Dein erhobener Zeigefinger will mir vormachen, dass
du verärgert bist. Aber ich weiß genau, dass du es nicht wirklich so meinst. Deine verschmitzt
dreinschauenden Augen verraten mir etwas anderes. Ich komme auf dich zu und stupse dich mit
meiner feuchten Nase an der Wange an. Die vorgetäuschte Strenge wandelt sich in einen weichen
Gesichtsausdruck. Du legst deinen Kopf an meinen und flüsterst mir liebevoll etwas ins Ohr. Deine warme
Stimme- für mich der schönste Klang auf Erden.
Deine Finger vergraben sich in meinem Fell. Ausgelassen lachend drückst du mich an deine Brust. Ich versenke meine Schnauze in deinem warmen weichen Pullover. Sauge den wunderbaren Geruch von
Vertrautheit auf, höre das kräftig lebendige Pochen deines Herzens, spüre meinen eigenen Herzschlag
synchron zu dir, als wären wir eins. Wir gehören zusammen. Für immer und ewig. Niemand kann uns
trennen.

Du greifst in deine Hosentasche. Ein metallisches Klappern ist zu hören.

Das Geräusch wird lauter.
„Guten Morgen!“, höre ich eine Stimme in der Ferne sagen. Eine Hand streicht liebevoll über meinen Kopf.
Ich versuche meine schweren, von Schlafsand verklebten Augen zu öffnen. Über mir erkenne ich die
Umrisse eines Gesichts. Kurze dunkelbraune Haare. Das Bild wird deutlicher. Im Hintergrund –
Gitterstäbe. Eine leise Wehmut erfasst mich. Ich fühle eine Schwere in mir. Es war ein Traum!
Nur ein Traum. Nie wieder werde ich dich stürmisch begrüßen können, wenn du abends müde und
erschöpft aus dem Büro kommst! Nie wieder werde ich zärtlich über deine Hand lecken, wenn diese
morgens entspannt über der Bettkante baumelt. Nie wieder werden wir beide bei Sonnenschein ausgelassen durch Wald und Wiesen tollen.
Du bist nicht mehr – bist gegangen für immer.
Wieder schließe ich meine Augen. Ich wünschte, ich könnte dir folgen. Dorthin, wo du jetzt bist.

Für immer und ewig.


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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (09.10.24, 05:41)
Wie berührend und kunstvoll geschrieben!

 Odine meinte dazu am 09.10.24 um 06:06:
Dankeschön 😊

 AchterZwerg (09.10.24, 07:18)
Zum Heulen anrührend!
Wenn das Wilma liest (Sairas mutiges Hündchen) ...

Sentimentalisierte Grüße

Kommentar geändert am 09.10.2024 um 07:18 Uhr

 Odine antwortete darauf am 09.10.24 um 09:14:
:'( Dankeschön! *einTemporüberschieb*

Wer ist Wilma und Saira? :ermm:

Liebe Grüße 
Odine

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 09.10.24 um 10:09:
Die wohnen hier!

 Odine äußerte darauf am 09.10.24 um 10:34:
Ah ok :)
Dann mal liebe Grüße unbekannterweiser
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