Der Kampf seines Lebens

Kurzprosa zum Thema Mensch und Natur

von  Odine


„Noch ein Stückchen, gleich habe ich es geschafft“, redete er sich gebetsmühlenartig immer wieder ermutigend zu. Aber er konnte nicht mehr. Sein vor Erschöpfung zitternder Körper verlangte nach einem Moment der Ruhe. Er hielt kurz inne, sammelte die letzte Energie, die ihm noch blieb, um dann unaufhaltsam voranzuschreiten. Er musste sich beeilen. Er hatte keine andere Wahl, als weiterzukämpfen, wenn er leben wollte. Nichts konnte ihn aufhalten. Nicht sein weiterhin vor Erschöpfung zitternder Körper. Nicht die starken Erschütterungen, welche ihn und alles um ihn herum zum Beben brachten. Der Drang, überleben zu wollen, ließ ihn weiter über sich hinauswachsen. In der Ferne konnte er bereits die rettende Wärme der Sonnenstrahlen spüren. Ein Lichtstrahl schien ihm entgegen. Mit letzter Kraft schob er die Reste seines dunklen Gefängnisses, welches ihn noch von der Freiheit trennte, beiseite. Seine dünnen Ärmchen stützte er auf dem kalten Boden ab und richtete sich auf. Wieder einmal hatte er gewonnen. Den Kampf seines Lebens.

Jetzt konnte er endlich durchatmen, zur Ruhe kommen.
Er freute sich – auf all das Unbekannte und
Schöne, was das Schicksal ihm in der Zukunft noch schenken würde.
Aber was war das? Die Sonne über ihm verdunkelte sich plötzlich. Ein dunkler, mächtiger Schatten nahm ihm die Sicht auf alles, was ihn umgab. Der Boden um ihn herum vibrierte in einem noch nie gekannten Ausmaß, als er fühlte, wie etwas unaufhaltsam an ihm zog. Ehe er begriff, was geschah, spürte er einen bisher nie dagewesenen stechenden Schmerz, der ihn förmlich innerlich zerriss. Alles um ihn herum drehte sich. Er wusste nicht mehr, wo oben, noch unten war. Ihm wurde schwindelig. In der Ferne konnte er noch hören, wie jemand „Schau mal Mama, was für ein schöner Krokus!“ rief, als der unerträgliche Schmerz, der seine Sinne vernebelte, langsam einem schwarzen Nichts wich.



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Kommentare zu diesem Text


 AlmÖhi (07.10.24, 22:46)
So hochgradig universelle und mehrdeutige Texte liest man selten.

Am Ende hätte manch anderer stehen können. Hier war es eine Blume, ausnahmsweise eine mit männlichem Genus. Das Abschneiden aufsprießenden Lebens ist an Dunkelkeit kaum zu überbieten. Hier passiert es noch gerade ob seiner Schönheit.

Letztendlich dann ist das Geopferte Gabe eines Kindes an die gebärende Kraft, seine Mutter. Trotz aller Schrecken und allen Sterbens geht das Leben weiter. Andere gedeihen, wo die einen grausam abgeschnitten wurden.

 Odine meinte dazu am 08.10.24 um 17:11:
Danke für den Kommentar. Du hast hier ja Dinge hinein gedeutet und interpretiert, die ich ursprünglich gar nicht so bewusst gemeint habe, sehr interessant. Aber das ist ja auch das Gute, an Literatur und Kunst allgemein. Jeder zieht für sich seine individuellen Schlüsse. 🙂

Antwort geändert am 08.10.2024 um 17:17 Uhr

 AlmÖhi antwortete darauf am 08.10.24 um 20:50:
Ja, das war meine persönlich-individuelle Lesung. Wie sehr, merke ich jetzt erst. Du scheinst aber eine gute Intuition zu haben. Und diese verwirklicht häufig starke Ideen, die so Einiges nach sich ziehen.

 Odine schrieb daraufhin am 08.10.24 um 21:51:
Ja, das stimmt. Ich bin ein ziemlich intuitiver Mensch.

 AchterZwerg (08.10.24, 11:28)
Eine sehr schöne und originelle (!) Idee, etwas aus der Sicht einer Pflanze zu schreiben.
Vor allem deshalb, weil man bis zuletzt nicht darauf kommt! ;)

(Ich dachte über einen längeren Zeitraum hinweg an ewas Science-Fictionöses ...)

Liebe Grüße
der8.

Kommentar geändert am 08.10.2024 um 11:29 Uhr

 Odine äußerte darauf am 08.10.24 um 17:15:
Hallo Achterzwerg

Danke auch dir wieder für die Rückmeldung! Es freut mich sehr, dass das unerwartete Ende scheinbar gelungen ist und dir diese kleine KG gefällt. 
Tatsächlich fühle ich mich aktuell im Schreiben von Kurzprosa noch relativ unsicher und ich hatte echt überlegt  ob ich diese KG hier tatsächlich posten soll. Da machst du mir gerade etwas Mut mit deiner Rückmeldung. Danke hierfür.

Antwort geändert am 08.10.2024 um 17:18 Uhr
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