Schmerz und Kunst

Skizze

von  Beislschmidt

Schmerz und Kunst

Niemand konnte hinter Werners Fassade schauen. Niemand wusste, dass er einer der zehn Millionen Schmerzpatienten war und einen Schrank voll mit Medikamenten hatte, die er aber nur in äußerster Not einnahm. Nur im Schmerzforum konnte er sich - anonym natürlich, mit anderen austauschen.

Der Schmerz war Antriebsfeder und Lähmung zugleich, so sagte auch sein Verleger einmal zu ihm, dass wenn er zwischenzeitlich gesundheitlich gute Phasen hatte, er keinen vernünftigen Satz zustande bringen konnte.

Hingegen wenn ihn die Migräne fest im Griff hatte, konnte er vier/fünf Kapitel in einer Woche schreiben. Er ahnte selbst, dass der Schmerz eine ungesunde Abhängigkeit erzeugte, der ihn wie eine Droge beherrschte und ihn wie ihm Rausch unnachahmliche Satzkonstellationen schreiben ließ.

Dazu hatte er auf seinem Schreibtisch noch Zeichenblock und Tagebuch liegen, die er neben seiner Arbeit akribisch füllte. Selbst über die T Werte seiner Ostoeporose oder die Mitochondriendichte führte er genaustens Buch.

Seine Alpträume mit klaustrophobischer Enge in Kellergewölben notierte er in seinem Tagebuch. Sein Hirn löste sich jede Nacht - so hatte er den Eindruck, in seine Bestandteile auf, bis er schweißgebadet aufwachte, um endlich ein paar Schlafsterne einzunehmen.

Aber sein Leiden war auch von Erfolg gekrönt, denn sein letztes Buch war schon in der dritten Auflage, Interviews mit Radiosendern und Lesungen auf Buchmessen standen auf seinem Terminplan. Werner hatte keine Freunde und seine besitzergreifende Mutter war letztes Jahr verstorben. Nur der pochende Schmerz war sein Freund und wenn er mit melancholischem Blick am Büchertisch saß und seine Werke signierte, konnte niemand hinter die Fassade von Werner schauen.


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Kommentare zu diesem Text


 niemand (21.10.24, 15:26)
@ Beisl
Ich stelle mal ein wenig "unverschämt" eine Frage und zwar, ist sie nicht ein ziemliches Klischee diese scheinbare Symbiose von "Schmerz/Kunst"?
Es ist sowieso ziemlich vage was man so allgemein als große Kunst sieht.
Je unverständlicher "Kunststücke" sind desto größer ihre Beweihräucherung seitens der sogenannten Kenner. Desto größer das hinauf Hieven des "Künstlers". Mir scheint es so, das grade diese Unverständlichkeit von manchen dafür benutzt wird, sich als ein Verständnisvoller/Kenner zu präsentieren, schon um sich von den anderen [scheinbar doofen, die zugeben nix verstanden zu haben] abzusetzen und sich ein Prädikat einzuverleiben. Wenn jemand öffenntlich sagt: "Guckt doch mal,ihr kleinen Deppen, Vati hat alles verstanden"
dann sieht man auch zu ihm hoch, auch wenn Vati nix verstanden haben sollte,
was ja nicht selten vorkommt  8-)  Ja und wo man nix messen/nachmessen
kann, dort kann man auch selten was Verbindliches behaupten. Deswegen kann so mancher auch auf den Tisch springen, sich dort entleeren und ganz gewiß dessen sein, dass da jemand erscheint und diese aus/Leere zur Größe erhebt. Nix für ungut, Beisl, aber diese Frage musste jetzt sein  ;)

LG Irene

 Beislschmidt meinte dazu am 21.10.24 um 16:40:
Ganz so einfach ist es nicht, Irene. Anlass für den Text war ein persönlicher Fall im Freundeskreis und ein Artikel im Deutschlandfunk.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/schmerz-und-kreativitaet-kopfattacken-100.html
.
https://www.reducept.com/de/blog/kreativitaet-als-medizin-gegen-den-schmerz

https://annmbuti.ch/leiden-schafft-kunst/
In der Kunst regiert eine Profit Mafia von Verlegern, Literaturmarketing, Kuratoren, Galeristen, Spekulanten und Einflüsterern. Preise werden verliehen, Messestände aufgebaut, Lesungen gehypt, Influenzer bezahlt, bis klar ist welche Künstler sich auf lange Sicht am besten ausbeuten lässt. Ob das am Ende hohe Kunst ist, wage ich zu bezweifeln.

Beislgrüße

 AchterZwerg (21.10.24, 17:32)
"Was bleibt, ist das Werk",

heißt es lapidar - und stimmt wohl so.
Was es den Künstler gekostet hat, wie dato sein Euro-Preis liegt usw., spielt letztendlich keine Rolle.

Ohne absolute Hingabe ist selten etwas Bleibendes  gemacht worden. Meistens muss der Künstler tot sein, um endlich Erfolg zu haben.

Bis dahin viel Glück!

 Beislschmidt antwortete darauf am 21.10.24 um 18:03:
Ich denke da an Johnnes Mario Simmel. Der Bestsellerautor wurde zwar gehypt, verfilmt etc aber heute ist er vergessen. Dabei war er noch nicht mal schlecht. Erfolg ist vergänglich.
Beislgrüße
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