Punx & Computer bei VINYL BOOGIE
Reportage zum Thema Bildung/ Wissen
von Koreapeitsche
Auch zu diesem Thema kann ich meine Punkerklappe wieder nicht halten: Der Computereinsatz bei VINYL BOOGIE. Viele Punx wussten zunächst gar nicht, dass Läden wie VINYL einen Computer verwendeten. Allerdings war dies punkige Kunden- und Schallplatten-Management nicht mit heutigen Sales-Methoden vergleichbar.
Zu der Zeit kannte ich niemanden in der Punkszene, der einen Computer besaß oder verwendete. Da musstest du schon ein Freak sein oder einen eigenen Shop besitzen, bei dem das Sinn ergab. Klar fuhren viele ab auf Telespiele und Spielhallenkonsolen. Doch das ist eine andere Geschichte.
Wer fleißig die Pisggelbe Punkliste las, bekam spitz, dass VINYL BOOGIE einen Computer für die Kundenkartei besaß, der den Kosenamen „Onkel Herbert“ trug. Auch Mülleimer Records verwendete einen Rechner, der laut VINYL BOOGIE vom Typ „Commodore Brutal 280SL mit Einspritz-Floppy“ war. Damit galten diese beiden Versandläden als Pioniere der computergestützten Kundendateien.
Es ging langsam los mit den Computern. Die ersten aus meinem Punkumfeld, die einen Computer besaßen, waren Trimmers Cousin und Fielmann. Beide besaßen einen C-64. Fielmann spielte damit ein Spiel , bei dem kleine Druiden ein Parkur absolvieren und Symbole einsammeln mussten. Das Spiel hieß „Druids Troctroctroc“ oder so ähnlich. Mir wurde bald im Türkenimbiss ein C-64 angeboten, der angeblich von einem Schuleinbruch stammte. Es stand sogar der Name der Schule darauf. Jetzt besaß ich einen Computer und hatte Angst, dass mir der Schuleinbruch angehängt werden könnte. Trimmers Cousin kopierte mit eine paar Floppy Discs, auch eine Disc mit einem Drumcomputerprogramm. Von Fielmann bekam ich eine Kopie des Druidenspiels. Trotzdem ebbte das Interesse an Computern schnell wieder ab.
Die VINYL-BOOGIE-Punks gingen mit ihrem Mail Order Shop und der Punkliste frühzeitig eigene Wege. Auch den Begriff Datenfresser defininierte VINYL radikal anders. Das Wort wurde eher im Sinne von Kundendatenreduzierung verwendet. Kundendaten würden aktiv aus „Onkel Herbert“ gelöscht, wenn keine weiteren Bestellungen erfolgten. Das war eher eine Drohung. Denn wer wollte schon auf die Punkliste verzichten?
IM MAI geht der gnadenlose
Datenfresser um. Wer sich
seit Dezember nicht mehr ge-
rührt hat,wird aus der Kar-
tei gestrichen. Wer bei anderen
mitbestellt,soll das sagen,bei
wem? Dann gibts die Listen wei-
ter.Wer was anderes hört,ebenfalls.
Vielleicht hilft die grauer Kult-
liste weiter.Wer kein Geld hat
zum Bestellen kann 5.- schicken
und bleibt bis zur nächsten
Streichaktion drin.
(Zitat: Punkliste, Mai ‘83)
Ergo waren die Kunden bestens informiert über den Umgang mit der Kundendatei und dem Versenden der Pissliste. So wurde Vertauen erzeugt in einem zunehmend hart umkämpften Marktsegment.
GÄHN:
Wer 3xbestellt hat,bitte
melden.Kommt dann in die
Kartei&kriegt die Listen
automatisch.Erkennbar an
den aufgeklebten Adressen
auf dem Umschlag. Sonst
nur die nächste Liste.die
auf ne Bestellung folgt
(handgeschriebene Adresse)
(Zitat: Pissgelbe Punkliste, Okt./Nov. ‘83)
Doch es gab weiterhin Ärger mit der Kundendatei. VINYL versuchte die Kunden über die anhaltenden Probleme auf dem Laufenden zu halten. Das schlug sich in Kurzberichten nieder.
DAS IST NEU ODER ANDERS
Wie in der letzten Liste
angekündigt,haben wir Euch
in 2 Hälften geteilt. Die
1 Hälfte bekommt die Liste
Mitte des Monats, die ande-
re zum Ende.(so müssen wir
nicht eine Woche ackern
wie die doofen & drehen 3
Wochen Däumchen).Bis jetzt
gehen wir einfach von der
Postleitzahl aus.Wer diese
Liste jetzt nicht gleich
bekommt,hat die falsche
Postleitzahl.Wünsche berück-
sichtigen wir natürlich,
scheint Euch aber ziemlich
egal zu sein.
NEU: die Listen bekommt Ihr
jetzt automatisch bis 3-4
Monate nach der letzten Be-
stellung,danach nur noch,
wenn wir Bock haben,auf je-
den Fall nicht mehr regel-
mäßig.(weil wir nicht soviel
Briefmarken lecken wollen).
Mit 3x bestellen und dann in
die Kartei ist auch Schluß,
Ihr werdet gleich in den Klub
aufgenommen.
Falls Ihr euch nur für be-
stimmte Sachen interessiert,
z.B.Amis oder Exoten und euch
die übrige Liste schnuppe ist,
könnt Ihr auch(ab 84) nur ne
einfache Liste bekommen,die
immer dann rausgeschickt wird
wenn was neues grade reinge-
kommen ist.(So sparen wir uns
auch das Einfärben der Listen,
macht ganze Menge Arbeit).
Paar Leute,von denen wir ewig
nix mehr gehört haben,bekommen
diese Liste mal wieder(keine
weiteren).Ihr wißt schon wies
gemeint ist.
(Zitat: Pissgelbe Punkliste, November ’83)
VINYL arbeitete offensichtlich mit zeitgemäßer Punker-Ki, das heißt Kundenkartei und Kundenüberwachung vom Feinsten, dazu Tagging von Listenschnorrern und Identifizieren von zahlungsunwilligen Kunden wie Dirk aus Kiel. Schlussendlich kam es zu öffentlichem Brandmarken ebendieser säumigen Punks und „Listenschnorrer“, ohne die Hintergründe zu erforschen, weshalb bestellte Pogo-Platten nicht per Nachnahme entgegengenommen werden konnten.
Guiness-Buch
Den Rekord dieses Jahr im
Verweigern oder nicht Abho-
len von Bestellungen haben
Andro aus Frankfurt, Dirk
aus Kiel und dicht gefolgt von
Jochen aus Greven.Aber sie
kommen lange nicht an die
Marke ran,die LIZ LUX aus
Neuerburg 1981 setzte (ja,
die die immer die Bekannt-
schaftsannoncen in Musik-Ex-
press machte („Einsame Punke-
rin“).
(Zitat: Pissgelbe Punkliste, Ende ‘83)
Dass das Geld stattdessen für Alkohol ausgegeben wurde oder die Lieferung am Ende des Monats erfolgte, wo viele Punks bereits kein Geld mehr auf dem Konto hatten, zog VINYL BOOGIE nicht in Erwägung. Wir Punks erfuhren jedoch nichts darüber, wie das Verwalten der eigenen Lagerbestände über den Computer organisiert wurde.
Sogar Datendiebstahl und Wirtschaftsspionage waren damals schon Thema. Diese Probleme wurden ebenfalls in der gelben Punkliste breitgetreten.
XY-UNGELÖST
-der Krimi in der Pissgelben
Unsere Adresskartei ist ver-
schwunden! Zwar war sie schon
etwas älter, aber paar Adressen
sind halt doch weg. Das ist
natürlich äußerst ärgerlich.
Der Gedanke an Spionage liegt
nahe. Zur Aufklärung dieser
Sache haben wir eine s e h r
hohe Belohnung ausgesetzt
(wiederholen: sehr hohe).Also
wenn Ihr irgendwo her Post be-
kommt obwohl Ihr selbst nicht
geschrieben habt, teilt uns
das mit. (auch in Zukunft).
-Dieser Absatz ist leider kein
Witz, sondern blutiger Ernst.
(Zitat: Pissgelbe Punkliste Ende ‘83)
Für Unbehagen sorgten Berichte über angeblich ausgewertete Briefe aus den Mülltonnen von Aggressive Rock Produktionen.
Es ist übrigens absolut sinn-
los,an AGGRESSIVE ROCKPRODUKTI-
ONEN wegen Listen,Platten oder
anderem zu Schreiben.Das ist ne
Plattenfirma,dir noch mehr zu
tun hat als wir. Die Schreiben an
AGR holen wir uns aus der Müll-
tonne.Manchmal staunen wir schon,
welche Namen wir da sehen, u.a.
republikbekannte Listenschnorrer.
(Zitat: Pissgelbe Punkliste, Jan./Febr. ’84)
Auch das lässt auf einen hart umkämpften Markt schließen. Zusätzlich kam es immer wieder zu Übernahmegerüchten. Angeblich lag der direkte Konkurrent Mülleimer Rekords auf der Lauer. Wurden diese Gerüchte nur gestreut, um Klatsch zu erzeugen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten?
Ende März kam das schwäbi-
sche Rollkommando von Müll
eimer, um uns mit Gewalt zu
übernehmen, nachdem es mit
Geldangeboten nicht geklappt
hat. (siehe Foto)
(Zitat: Pissliste Nr. 39, Ostern/Mai ‘84)
Es war also immer etwas los. Doch weshalb wurde der direkte Konkurrent „Sasquatsch“ aus Berlin-Schöneberg nie erwähnt?
VINYL BOOGIE nutzte schon frühzeitig einen Computer, um der vielen Bestellungen Herr zu werden. Beweise dafür liefert einmal mehr die Bepisste Pissgelbe. VINYL gibt schlussendlich ein kurzes Statement zum Thema „Punks und Computer“ ab. Darin werden nicht nur Manipulationstechniken bei der Computernutzung angesprochen, sondern auch erste Tipps fürs Hacken gegeben. Außerdem gab es nicht ganz ernst gemeinte Literatur-Tipps.
PUNKS UND COMPUTER
klingt für die meisten etwas
merkwürdig.Aber w e n i g s
t e n s müßte es Euch auch
interessieren.wie man die
Dinger kaputt macht.Elektrosta
tische Entladungen mögen sie
nicht so.also immer mit nem
Nylonunterrock über das Gehäu-
se reiben, bis die Funken
sprühen. Auf Disketten legt
man am besten Büroklammern
oder Schlüssel. Man kann aber
auch Befehle eingeben.an
denen die Dinger lange zu
knabbern haben.so wie CALL
(oder USR oder SYS - je nach
Modell)plus irgendne Zahl.POKE
ist auch was ganz feines
und heimtückisches(siehe
das nebenstehende "Chaos"Prog-
ramm. (Entnommen aus dem Buch
"BASICS for Punks" (Verlag
Franzis). Zum Lesen außerdem
empfohlen: "LOGO/ALTER! und
DOC PASCAL - zwei neue Computer-
sprachen für Jugendliche“.
NULL BAUD? Na egal. Hansi (auf
dem Foto) geht auch noch
vorsichtig ran an unseren
500MarksComputer .Wir haben
ihn "Onkel Herbert" genannt.Er
sorgt dafür, daß wir uns nicht
verrechnen.schreibt die Zahl-
karten und achtet drauf, daß
alle drei-bis viermonatelang
ne neue Liste bekommen .danach
schmeißen die gnadenlosen
Mikrochips paar Leute raus.
Noch n Hilferuf aus Böblingen:
Bei Mülleimer müßte die Compu
teranlage noch angeschlossen
werden(Kabel einstecken und
so.richtig rum.bitte).viel-
leicht kann jemand helfen(Typ:
Commodore Brutal 280SL mit
Einspritz-Floppy).
(Zitat: Pissgelbe Punkliste Nr. 46, Dez. ‘84)
Wir erfuhren etwas über die Probleme, die die Nutzung von Computern in einem Mail Order Plattenladen mit sich brachte. Sogar in den 80ern gab es Computerabstürze. Auch VINYL war davon betroffen.
UNSER TSCHERNOBYL hatten wir vor n paar
Wochen. Beim Computerabsturz (vermutlich
durch obergäriges Bier,das auf die Süd-
staatendiskette getropft war) sind fast
alle Adressen aus den Postleitzahlen 6,
7 und 8 verschwunden. Also wundert euch
nicht, wenn ihr diese Liste nicht bekommt.
Nochmal langsam: Schickt uns bitte eure
Adresse, wenn ihr 1.) in diesem Gebiet
wohnt und 2.)seit ungefähr einem Jahr
oder später bei uns was bestellt habt
und 3.) diese Liste nicht bekommen
habt. Alle älteren Adressen haben wir
noch.wer vor zwei Jahren oder länger
schon bestellt hat.dessen Adresse ist
noch hier.
(Zitat: Pissliste Nr. 63)
So schaffte es VINYL BOOGIE durch das Kommunizieren der Internas immer im Gespräch zu bleiben, was den Kultstatus des Berliner Plattenversandes in der Mauerstadt und darüber hinaus langfristig untermauerte.