10:00 Uhr, 30. Mai 2016
Vater kontrolliert seinen Atem.
Er streicht mir mit der rechten Hand übers Haar, flüstert etwas.
Vielleicht spricht er mit den Engeln,
vielleicht hat er sein Treffen mit Gott begonnen.
Ich sehe, wie seine Knochen und Haut Licht ausstrahlen.
Er ist ruhig, so wie es edle Männer sind.
Sein Auge blinzelt leicht.
Auch ich weine nicht – ich helfe ihm, sich auf die rechte Seite zu drehen.
„Sag irgendwas, ich schlafe jetzt“, sagt er.
10:25 Uhr.
Was soll man sprechen, wenn der Vater im Sterben liegt, denke ich mir.
10:30 Uhr.
Der Tod schleicht durch den Raum.
Ich spüre ihn.
Vater ist noch immer ruhig.
Ich warte darauf, dass seine Beine dunkel werden,
sein Atem stockt,
seine Nägel sich verfärben...
10:35 Uhr.
Mein Herz schlägt immer schneller.
Ich halte Vaters Hand.
Ich verstehe den Tod nicht.
Ich will ihn nicht verstehen.
Ich will ihn nicht sehen.
Vater schweigt...
Ohne dass seine Nägel sich verfärbten, ohne dass sein Gesicht dunkler wurde,
ohne dass seine Beine dunkel wurden.
Ich weiß nicht, ob er gestorben ist.
Ich weiß bis heute nicht, ob Vater an jenem Maitag gestorben ist.