Waldeck
Text
von Saudade
Bevor ab neun eine Vorlesung die nächste jagt (Dienstag und Donnerstag sind die Kampftage), noch in Ruhe ein Kaffee. Facebook zeigt mir die "Waldeckische Landeszeitung", dort ist aus dem Zoo eine Wölfin bei einer Routineuntersuchung entflohen, über den Zaun und dann erschossen worden. Das ärgert mich, schaffen es nicht einmal, ein Tier ordentlich zu sedieren und sowas hat einen Zoo, wobei ich nicht einmal weiß, wo Waldeck ist, aber es regt mich auf, überhaupt, Geld haben sie auch keines, das schreiben sie. Nein, diese Überinformiertheit, den Drang alles lesen zu müssen, sogar die Waldeckerische Landeszeitung, ist unerträglich, ich ärgere mich nur, wobei ich die Waldeckerische Landeszeitung noch nie zuvor gesehen habe, geschweige denn davon gehört habe, überhaupt auch nie gelesen hätte, wäre die Wolfstory nicht als Aufhänger gewesen, denn die Waldeckerische Landeszeitung wäre bei uns ein Gemeindeblatt, nichts weiter, so wie sie schreibt im Lokalkolorit, ja, da sind unsere Gemeindeblätter weitaus interessanter, wahrlich, besser als die Waldeckerische Landeszeitung, die übertrifft ja alles an Triviales, was es gibt, dies aber mit stolz, der wird herausgelesen, bleibt draußen.
Und während ich die Waldeckerische Landeszeitung las, dachte ich, dass es doch ein Wahnsinn sei, seine kostbare Tageszeit mit der Waldeckerischen Landeszeitung zu vergeuden, anstatt ein Buch zu lesen, aber so funktioniert die Neugierde, da bleibt man dann hängen an der Waldeckerischen Landeszeitung, in der geheimen Hoffnung, dass diese Zeitung irgendetwas schreiben würde, das von Belang wäre, das denke ich, während draußen Lärm gemacht wird, drehe kurz den Kopf und sehe, dass die Vögel den halben Apfel, den ich für sie aufhängte, verschmäht haben, aber eigentlich war der für mein Eichhörnchen, das kam nicht, stattdessen holte sich die Amsel gerade Katzenfutter, da denke ich, dass genau sowas in der Waldeckerischen Landeszeitung gestanden wäre, hätte ich zu Ende gelesen, davon bin ich schon fast überzeugt und überhaupt, die Waldeckerische Landeszeitung sollten, das denke ich dann doch, viel mehr Leute lesen, da sieh her, das Eichhörnchen ist am Baum, jetzt wird es spannend, es kommt tatsächlich (!), frisst aber den Apfel nicht, sondern das Vogelfutter, ich bin entzückt, während ich das alles jetzt denke, die Katze weniger, sie stellt sich am Fenster auf, macht sich groß, also, genau sowas sollten die Menschen, die verkopften Menschen viel öfters lesen, denn sowas stünde in der Waldeckerischen Landeszeitung, wirklich süß, denn das erwärmt das Herz, nicht solche Wolf-abknall-Geschichten, die als, es-ging-nicht-anders verkauft wurden, reiner Dilettantismus, das wäre in Schönbrunn nicht passiert, das hörte ich nie, aber von einer Raubkatze, die eine Pflegerin zerfleischte oder einem Elefanten, der den Pfleger zerdrückte, wobei der, sagten sie, war in der Pubertät, der Elefant also, nicht der Pfleger, Elefanten sind keine Kuscheltiere, aber die Raubkatze musste erschossen werden, so weit ich mich erinnere, sonst hätte sie die Pflegerin nicht mehr losgelassen, der Elefant wurde verkauft, sowas stünde nicht in der Waldeckerischen Landeszeitung, weil die sowas gar nicht erzählen können, aber was weiß ich, ich kenne Waldeck gar nicht und kannte die Waldeckerische Landeszeitung auch vorher gar nicht, bin aber mittlerweile, je mehr ich schreibe, überzeugt, dass viel mehr die Waldeckerische Landeszeitung lesen sollten, denn Geschichten von Du und Ich und dem bösen Wolf, es war eine Wölfin am Weltfrauentag, viel mehr gelesen werden sollten, denn die sind das Leben, der Kopf allein, die eigenen Gedanken und Hirngespinste, ja, die Hirnwixerei ist es nicht und ohne Zeitungen wie die Waldeckerische Landeszeitung geht das Leben an einem vorbei, so gesehen, es war keine vergeudete Zeit, die Waldeckerische zu lesen, also die Landeszeitung. Ich weiß allerdings noch immer nicht, wo Waldeck ist, aber ich schaue jetzt mal nach.