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Reiseübelkeit

Text zum Thema Urlaub/ Ferien

von  Zora

Das Fliegen konnte ich mir nie richtig angewöhnen. Obwohl ich später häufig flog, in meiner Studienzeit, als es plötzlich billig geworden war. Aber als Kind flog ich nur ein einziges Mal, in einen Winterurlaub im Schwarzwald, Inlandsflug. Eine Freundin meiner Mutter aus wohlhabendem Hause hatte uns diesen Flug spendiert, um unserer Gesellschaft willen, ihr Mann musste arbeiten und sie wollte nicht alleine mit den Kindern verreisen. Ich hatte als Abiturientin auch so eine Freundin, die mich ins Restaurant einlud, um nicht alleine zu sein, aber mehr dazu später und zurück zum Flug: Ich weiß noch, dass es sehr früh morgens war und dass wir lange in einer fast leeren Halle saßen und ich ein Ei aus Gummi geschenkt bekam, ein Werbegeschenk der Fluggesellschaft, ich mochte die glatte Oberfläche, sie machte mir Lust, hineinzubeißen, ich war noch sehr klein, in jedem Fall unter vier. Und ich weiß noch, mein Platz am Fenster, das Klapptischchen vor dem Sitz und darunter das Fach mit der Kotztüte aus Papier, jemand, meine Mutter oder die Stewardess, wies mich darauf hin, falls mir schlecht würde. Und ich weiß noch, dass ich sofort eine natürliche Skepsis dem Papier gegenüber hatte, ob die Kotze es nicht durchweichen würde, aber dann musste ich gar nicht kotzen und das überraschte mich, weil ich im Auto immer kotzen musste und meine Familie immer im Auto verreiste, ich kannte das Kotzen also von mir und die Erkenntnis, dass ich Fliegen körperlich besser aushalte als Autofahren, beschäftigte mich. So wie es mich Jahre später beschäftigen sollte, dass ich Schifffahren noch viel schlechter aushalte als Autofahren, was schade ist, denn ich würde so gerne all in Schiffsromantik gehen, von mir aus auf einem Segelboot leben, auf dem Meer, aber das bleibt mir verwehrt, wegen der Reiseübelkeit, die sich nicht ausgewachsen hat, auch nicht beim Autofahren. Sobald der Autogeruch in meiner Nase steigt, regt sich schon die Übelkeit und ich meine nicht die Abgase, die Autos nach draußen pumpen und die auch schlecht riechen, ich meine den spezifischen Geruch der Karosserie, nach Plastik irgendwie und im schlimmsten Fall auch noch nach Wunderbaum und manchmal Rauch und menschlichen Ausdünstungen, und egal was, jeder Geruch, der sich mit Autogeruch vermischt, wird zum Gestank, kein Geruch vermag den Autogeruch aufzuheben oder zu übertünchen, es ist andersherum, der Autogeruch durchdringt jeden erdenklichen anderen Geruch mit seiner übelkeitserregenden Plastiknote, bemächtigt sich seiner. 

 

Ja, Autos, Autos, ich mochte sie nie, seit ich mich erinnern kann, dieses körperliche Unwohlsein, aber trotzdem mochte ich unsere Familienurlaube, aus denen das Auto nun einmal nicht wegzudenken war. Ich weiß noch, wie es dastand, vor unserem Haus, wartend und still in der Augustdämmerung, bis in den letzten Winkel gefüllt mit Zelt und Tisch und Klappstühlen, Kleidung und Standmatten aus Stroh und später Windeln für meinen kleinen Bruder und einer großen, weißen Kühlbox mit orangefarbenem Deckel. Das Tischchen meines Kindersitzes war auch orangefarben, es war aus Kunstleder und die Schale war aus Styropor, überzogen mit einem merkwürdigen strumpfhosenartigen schwarzen Material, und geformt wie ein Ohrensessel. Wir fuhren immer erst bei Einbruch der Dunkelheit los, wegen meiner Reiseübelkeit, nachts konnte ich schlafen und musste nicht kotzen, die Sonne machte es schlimmer, aber die ersten Stunden durch die Schweiz verschlief ich, und wenn ich aufwachte, waren wir schon in Frankreich, meine Eltern fuhren immer durch und wechselten sich beim Fahren ab, wir machten nur kurze Pausen, am Straßenrand und manchmal an Raststätten. Und es war heiß und an den Raststätten lagen viele leere Plastikflaschen herum, Plastikflaschen waren in Deutschland damals noch gar nicht üblich, und es gab Stehklos, Löcher im Boden, die ich nicht allein zu betreten wagte, aus Sorge, ich könne mich anpinkeln oder ausrutschen und hineinfallen, deshalb hob mich meine Mutter immer hoch und ich war sehr froh, wenn es vorbei und alles gutgegangen war. Unten im Fußbereich hatte ich meinen Sandeimer stehen, ausgekleidet mit einer Plastiktüte, für die Länge der Autofahrt nannten wir ihn Kotzeimer, denn es war nicht immer möglich sofort anzuhalten, wenn ich kotzen musste, also hatte ich diesen Eimer mit Tüte, damit nichts daneben ging. Und ich weiß noch, von meinem Aufwachen in der französischen Sonne bis zur Ankunft am ersten Zeltplatz, das war eine unendliche Quälerei, eine Kotztortur, bis nur noch Galle kam, und ich weiß noch, dass es mich irgendwie faszinierte als Kindergartenkind, dass Kotze so viele unterschiedliche Konsistenzen haben kann und sich dann auch im Hals ganz unterschiedlich anfühlt und schmeckt. Aber das gehörte nun einmal zu unserer Reise und zu mir, anders hätte ich es mir gar nicht vorstellen können und ich wusste, dass es vorbeigehen würde, wenn wir erstmal angekommen wären und trotzdem waren diese Autofahrten auch gemütlich, ich weiß noch, dass wir Musikkassetten hörten und gemeinsam sangen, Simon and Garfunkel und die Beatles, Joan Baez und Bob Dylan und dass Netze über die Berge gespannt waren, damit keine Steine auf die Autos fielen, und dass ich mich freute. Aufs Meer. Auf Orangina. Auf französische Pommes Frites, die viel besser waren als die deutschen. Es war ja auch ein französisches Wort. 




Anmerkung von Zora:

Inspiriert

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