Der Diamant in meinem Inneren
Es ist leicht, das Endprodukt zu bestaunen. Klar, funkelnd, scheinbar makellos. Ein Symbol für Unvergänglichkeit, für Luxus, für Härte. Doch niemand sieht, was war, bevor die Kohle zum Diamanten wurde. Hässlichkeit. Wertloses. Notwendiges. Ohne das vermeintlich Unedle gäbe es keine Grundlage für das, was daraus wurde. Der Druck, die Dunkelheit, die Hitze – sie waren nicht nur gewaltig, sondern auch andauernd. Jahrzehnte. Und sie verheeren weiter. Der Prozess hört nicht auf, auch wenn das Ergebnis längst da ist.
Doch um zum Diamanten zu werden, muss die ursprüngliche Kohle zerstört werden – vollständig, unwiderruflich. Was ich einmal war oder hätte werden können, ist nicht mehr. Kein Weg zurück. Diese Härte, die man in mir sieht, ist nicht angeboren oder gewählt. Sie ist das Ergebnis eines Prozesses, der mir aufgezwungen wurde. Sie wird mit Stärke verwechselt. Aber ein Diamant ist nicht stark. Er hat andere Eigenschaften. Ein Diamant kann normales weißes Licht in sämtliche Spektralfarben differenzieren. So, wie mein Geist wild vermengtes Durcheinander in unbewusster Kommunikation trennt, sortiert, dechiffriert – bis die Bedeutung jedes einzelnen Fragments eindeutig ist. Diamanten können schärfer geschliffen werden als jedes Skalpell. Auch mein Geist kann jede Unstimmigkeit durchdringen, jeden Misston, jede winzige Verschiebung in Wortwahl oder Zusammenhang – und präzise benennen, wo andere nicht einmal ein vages Unbehagen spüren.
Diese Schärfe ist zweischneidig.
Denn Klarheit – oder Ehrlichkeit – ist nur in der Theorie und an der Oberfläche gewünscht. Die Menschen leben im Alltag eine Unehrlichkeit vor sich selbst und anderen, die ich nicht ertrage. Und sie ertragen meine Klarheit und Ehrlichkeit nicht. Weil sie sich nicht vorstellen können, dass Menschen so sein können. Weil sie dann gezwungen wären, sich zu fragen, was sie selbst eigentlich sind. Und was sie mit ihren gedankenlosen Worten, Unterstellungen und völlig überflüssigen Interpretationen anrichten.
Diamanten sind klar und präzise. Wer da etwas interpretiert, scheitert zwangsläufig. Dies dem Diamanten vorzuwerfen ist der Gipfel von Dummheit und Ignoranz. Mein Alltag.
Diamanten sind das härteste, was es gibt. Das weiß fast jeder. Aber kaum jemand weiß, dass selbst die Flamme eines Teelichts theoretisch Diamanten verbrennen kann. Restlos. Dann ist nichts mehr übrig von der angeblichen Herrlichkeit. Auch bei mir glaubt keiner, wie fragil der verbliebene Rest von mir ist. Denn es geht ja seit 41 Jahren so. Wird wohl auch weitere 41 Jahre so gehen.
Nein. Wird es nicht.
Wenn ich endgültig zerstört bin, wird auch von mir nichts bleiben. Keine materiellen Werte. Keine Schöpfungen, zu denen ich in einem anderen Leben vielleicht fähig gewesen wäre. Keine Kinder. Keine Liebe. Kein Mensch, dessen Leben ich wahrhaftig verbessert hätte. Einfach nichts.
Wie auch? Ein Diamant hat NICHTS mit Leben zu tun. Jedes Schneckenhaus ist für mich schöner und wertvoller.
Der Diamant in meinem Inneren ist beeindruckend. Beeindruckend hart, scharfkantig und entsetzlich schmerzhaft.