Philosophisches Länderlexikon
Essay
von Jack
1. Japan (Länder: das Wesentliche)
Japan war seit seiner Entstehung ein Hybrid des Mongolisch-Solaren mit dem Polynesisch-Chthonischen, das Lunare an sich kam in der japanischen Kultur nicht vor (oder nur als ideeller Mittelpunkt). Die kulturelle Eroberung durch China, eine Kultur, die das Lunare absolut setzt, hielt Japan jahrhundertelang im Spannungsverhältnis zwischen dem Solaren (der göttliche Kaiser) und dem Tellurischen (um Macht kämpfende Feudalclans), während die kulturelle Fassade die Harmonie nach chinesischer Art war. In diesem Zustand genügte das Archipel-Land sich selbst und unterhielt nur minimale Kontakte zu anderen Zivilisationen.
Als der Westen Japan gewaltsam öffnete, wurden zwei Kräfte schlagartig befreit: das Solare in Politik und Wissenschaft und das Chthonisch-Titanische in der Wirtschaft trugen zur schnellen Entwicklung des Landes zur imperialistischen Großmacht bei. Das entfesselte Solar-Heroische stürzte Japan in größenwahnsinnige Weltkriegsabenteuer, das Nihilistisch-Titanische machte aus dem Land eine Wirtschaftssupermacht. Der vertriebene chinesische Lunarismus wartet als Ruhepol der japanischen Blade-Runner-Zivilisation und kann in aller Bälde im Stil einer feudalistisch-matrixizistischen Gesellschaftsform zu den extrememüden Japanern wiederkehren.
Japan will nicht ewig wachsen bis es platzt, deshalb macht es keinen Sinn, Massenmigration als Lösung demographischer Probleme des Landes zu betrachten. Japan nimmt den demographischen Winter billigend, wenn nicht sogar erleichtert in Kauf, weil es nach den rastlosen Jahrzehnten der Extreme endlich wieder schlafen will.
2. Frankreichs Kampf gegen die Irrelevanz
„Vae victis!“ triumphierte Brennus auf die feine französische Art. Wie vor dem Aufstieg, so auch vor dem Fall Roms rafften sich die Gallier noch einmal auf: „Gallic Empire“, Zeitpunkt: Krise des 3. Jahrhunderts. Doch weder Charlemagne noch St. Louis noch Louis XIV noch schließlich und schlussendlich Napoleon konnte Europa dauerhaft unter das dramatisch-weibliche Regime nach Gilbert Durand unterwerfen. Die Welt gehört letztlich den Sachsen; Angelsachsen ist eine poetisch-redudante Bezeichnung, es sind schlicht und einfach Sachsen.
Der dynamische Lunarismus der Franzosen nahm das solar-staatenbildende Element der germanischen Franken auf und vermengte es mit weiblichem Lunarismus der Kelten. So war es schon zur Römerzeit: ein kulturell fremdes Patriarchat im Kopf, das eigene gälische Matriachat im Herzen. Jetzt, wo seit 200 Jahren das abendländische Patriarchat zerfällt, übernimmt keineswegs das Weibliche, sondern vielmehr das Weibische die Herrschaft. Nicht die Frau als Tochter, Persephone, sondern Kybele, das Weib als matriachaler Tyrann, dominiert die technokratisch-titanische Welt des globalen Westens.
Persephone kämpft nicht, sie liebt. Sie lässt die Natur im Frühling aufblühen und ist eine Muse allen schönen Produktionen des abendländischen Geistes. Die speziell französische Persephone ist aber die Wasserfee Melusine, eine ostentativ lunare aber heimlich chthonische Gestalt. Deshalb konnte Frankreich kein Reich des Schönen auf Erden gründen.
3. Sachsen: Die Leere nach dem Sieg
Die Anfänge sind bescheiden: kleine Gruppen von Kriegern erreichen vor 1500 Jahren von Bremen und Bremerhaven aus die britische Küste, helfen den Einheimischen nach dem Rückzug der Römer in der Zurückschlagung unmittelbarer Nachbarbarbaren und übernehmen erst nach einigen Generationen die Herrschaft, nein, nicht in Britannien, sondern lediglich im heutigen England. Geschlagen und getreten von den Dänen, erobert von den Normannen, im Angevinischen Reich französisch dominiert: die Sachsen, die auf die Insel kamen, waren in den ersten Jahrhunderten ihrer Geschichte kein großen Volk, auch zahlenmäßig nicht. Selbst im 18. Jahrhundert beherrschte die britische Marine die Meere mit einer im globalen Vergleich verschwindend geringen Gesamtbevölkerung zu Hause.
Erst nach dem Hundertjährigen Krieg, dem Startkonflikt der Neuzeit, emanzipierte sich England vom kulturell erdrückenden Frankreich und suchte sich fast 250 Jahre selbst. 1688 beginnt der Sachsenstaat den Kampf um die Weltherrschaft. Die noch zur Frankenzeit daheimgebliebenen Sachsen werden im vereinten Germanien aufgehen, welches aber durch preußisch-baltische Dominanz eine ganz andere Entwicklungstrajektorie bekommt. Hegels germanisches Zeitalter als vorläufiges Ende der Geschichte lässt sich nach dem Namen der Sieger auf ein sächsisches Zeitalter vergenauigen. Der WASP, white anglo-saxon-protestant, der Herr der Weltmacht USA, ist, um Volker Pispers zu zitieren, die Orchidee unter den Menschen.
Nach dem Endsieg fehlt den heroischen, solaren Sachsen ein Ziel. Nicht ohne Grund ist die angelsächische Welt im Ultradekadenz-Zeitalter der Vorreiter des Nihilismus, des Transhumanismus und des Antinatalismus (der in anderen Kulturräumen nur religiös-implizit einen Platz hat, es jedoch nie zu einem philosophisch diskutierten Thema schafft). So ist es heute mit den (Angel-)Sachsen: They conquered the world, and now they go MGTOW.
4. Deutschlands Preußenfluch
Das sächsische Deutschland unter den Ottonen hatte nur kurz Bestand, doch genoss es Ende des 10. Jahrhunderts den Respekt Ostroms auf dessen Höhepunkt unter dem kinderlosen MGTOW-Imperator (976-1025). Da gab es noch das größdänische Nordseereich und Kiewer Rus, die fünfte Großmacht Europas war das kulturell nur Byzanz ebenbürtige maurische Spanien, das sich im 10. Jahrhundert ebenfalls auf seinem Höhepunkt befand (vom Kalifen Abd ar-Rahman III bis zum General Almansor). Im 11. Jahrhundert ließ sich der deutsche Kaiser vom Papst erniedrigen, im 12. Jahrhundert war auch ein Friedrich Barbarossa gar nichts gegenüber dem angevinischen Reich Heinrichs des Großen (obwohl nicht so genannten) von England. Im 13. Jahrhundert, nach Bouvines (1214), tanzte Frankreich das HRR aus, das schon im Hochmittelalter weder heilig noch römisch noch ein Reich war.
Deutschland blieb bis in die Moderne zersplittert, was den deutschen Landen guttat. Weder die kulturelle Führung (mit Goethe und Kant) noch die technologische Entwicklung wurden von der Kleinstaaterei behindert. Aber im 13. Jahrhundert geschah in der Dunkelheit des heidnischen Baltikums noch etwas anderes: Kreuzritter gründeten den Deutschen Orden, aus dem das Undeutschland entstand, in dem wir heute noch leben: Preußen. Mit dem Verfall der abendländischen Hochkultur des Humanismus ging der stetige Aufstieg Preußens einher. Im nihilistischen Europa des Jahres 1871 ging der schwarze Stern eines Reiches auf, das noch gruseliger war als das HRR: die preußische Besatzung Deutschlands hatte begonnen.
Der Soldatenkönig in der Frühmoderne konnte keine weltbewegenden Erfolge feiern, sein heute noch gefeierter Sohn profitierte von einem Idioten auf den russischen Zarenthron und gewann den 1. Europäischen Weltkrieg trotz Niederlage. Im 2. Europäischen Weltkrieg wurde Preußen vernichtet und doch wieder aufgerichtet. Gewann England seine Kriege mit Dusel, so verlor Preußen seine Kriege und gewann trotzdem. Doch als der Titan zum Manne wurde, zitterte Europa: Österreich und Frankreich fielen kurz nacheinander wie Fallobst, 50 Jahre später hatte das Deutsche Reich die Entente am Rande einer Niederlage, wäre nicht der andere Titan, USA, dazwischengekommen. Doch jetzt war der preußische Ungeist in seinem Element: der 4. Europäische Weltkrieg wurde schon vorbereitet, als der dritte gerade zu Ende ging.
1933 reißt der goldene Faden deutscher Dominanz in Kultur und Wissenschaft jäh ab: der Tod, ein Meister aus Deutschland, wird zu dessen frenetisch angebetetem Gott. Die Rache der baltischen Heiden am christlichen Abendland war vollbracht: nicht das gemächliche Österreich, nicht das edle Sachsen, sondern das monströs-baltische Preußen bestimmte den Kurs des deutschen Volkes mit dem bayrischen Neandertaler als Führer. Immense Energien wurden der Zerstörung und Vernichtung gewidmet, und doch war es nicht Deutschland, das die Atombombe als erstes hatte. Die Welt hatte Glück. Die siegreichen Titanen vernichteten Preußen abermals, nach 1945 sollte es kein Preußen mehr geben, doch der alte Ungeist lebt nach wie vor und eine echte Entnazifizierung bleibt Desiderat. Heute zeigt sich Deutschlands Todeskult als Schuldkult mit der Holocaust-Religion (Giorgio Agamben), deutscher Vernichtungsgeist führt, als Selbsthass verkleidet (weil in der Postmoderne en vogue), Europa mit Ausnahme Großbritanniens in die kulturelle und politische Selbstzerstörung. Solange sich die Sachsen und Franken, die Thüringer und Schwaben, die Bayern und Ostfriesen nicht vom Fluch des Baltikums befreien, bleibt Deutschland ein Antiland, eine Antination, der Bösewicht der Geschichte.
5. Der oströmische Katechon
Aurelian, Diokletian und Konstantin retteten das Römische Reich aus der Krise des 3. Jahrhunderts für Sol Invictus, nicht für Christus. Doch es war ein magisches Zeitalter und die Sonne wurde, wie Vasquez in Aliens (1986) fälschlich für einen Mann gehalten. Die deutsche Sprache (explizit: DIE Sonne) und die nordeurasische Religion (implizit: nicht die Sonne, sondern der Himmel ist die männliche Gottheit) hatten Recht, die antiken Post-Polytheisten irrten sich.
Auf dem Sterbebett konvertierte Konstantin zum Christentum. Theodosius machte dem Polytheismus ein Ende. Dazwischen hätte sich im wahren (orthodoxen) Christentum die wahre Glaubensformel (Arianismus) durchsetzen müssen, was aber nicht geschah. Diesen Geburtsfehler Ostroms nutzte das Arabische Kalifat, das mit der Gründung des Islam den Arianismus wiederbelebte und fortan die Mitte der Welt dominierte.
Die Justinianische Pest und die Kaltzeit der Völkerwanderung raubten dem zweiten römischen Reich die Kräfte. Als Ostrom wieder zu Kräften kam, hatten schon Franken (Karolinger) und Sachsen (Ottonen) Ansprüche auf den Titel des zweiten Rom gestellt. Die Makedonische Dynastie machte das Reich zur Jahrtausendwende zum mächtigsten in Europa, doch das Zentrum der christlichen Kultur konnte die Schwächen seiner geopolitischen Konkurrenten nicht nutzen und verlor die Vormachtstellung im Osten an die Türken (11. Jh.) wie vormals an die Araber (7. Jh.).
Der Katechon, der Aufhalter des Antichrist, bäumte sich unter der Komnenen-Dynastie noch einmal auf, doch das Gewonnene wurde abermals durch eigene Fehler zerronnen. Am Ende bleib die Geschichte des Hätteseinkönnens, die byzantinische Fahrradkette. Das unrühmliche Ende kam, selbstverschuldet wie immer, 1204 durch die katholischen Ketzer. Mit dem Fall Konstantinopels endete das christliche (nach Oswald Spengler magische) Zeitalter, auch der Islam der Türken und Mongolen war nun ein anderer.
Zombie-Christentum und Zombie-Islam existieren noch heute. Das Judentum hat als einzige abrahamitische Religion durch Selbstabgrenzung und Ausgrenzung seine monotheistischen Derivate zwar überlebt, aber es macht heute nicht mehr als eigentliche Religion, sondern nur als identitätsstiftende Idee des jüdischen Volkes einen Sinn. Das Christentum, das das „dritte Rom“ vom zweiten übernahm, ist historisch irrelevant, denn das Ende Ostroms war eben schon 1204 und nicht erst 1453 eingetreten. Sollte dennoch eine Fortsetzung folgen, so müsste sich ein Konstantin XII Noomachos zum Führer der rechtgläubigen Christen aufschwingen; Spengler würde mit seiner Spekulation über die Nachfolgekultur des Abendlandes recht behalten, wenn dieser Imperator der Christenheit aus dem Volke der Russen käme.
6. Polen: Being Greuther Fürth
Der eine ist Henry Kissinger, der andere ist Zbigniew Brzeziński. Der deutsch-amerikanische Großmeister des weltpolitischen Schachspiels war Fan von Greuther Fürth, sein polnischer Kollege war die Antwort auf die Frage, warum Robert Lewandowski beim FC Bayern spielt: Polen ist Greuther Fürth. Der ewige Zweitligist der Geschichte mit kurzen Aufstiegsphasen betritt als Zeitgenosse des guten sächsischen Deutschlands die Weltbühne. Im Hochmittelalter dann glänzt das Greuther Fürth der Weltgeschichte durch fünfte Plätze in der 2. Liga, bis eine Union mit frisch bekehrtem und doch im Herzen heidnisch gebliebenem Litauen für den Schritt aus der Bedeutungslosigkeit sorgt.
Das unwegsame Litauen wurde von der Großen Pest verschont, Polen profitierte als Junior Partner davon. Kulturell setzte es sich aber durch und verdaute die Balten. Der im 17. Jahrhundert erstarkte russische Bär jagte den polnischen Fuchs immer weiter nach Westen, und schließlich kam es zu den drei Teilungen Polens, einer immer noch nicht verwundenen Schande. Bayern, Dortmund und Bremen benutzten das kleine Fürth als wehrlosen Punktelieferanten im Kampf um die Meisterschaft.
Ein Jahrhundert unter russischer Herrschaft, zwangzig Jahre minderheitenunterdrückender Schurkenstaat, dann doch nicht mit Hitler gegen Russland, sondern das erste Opfer Hitlers im 4. Weltkrieg (die von den Westalliierten verratene und verkaufte Tschechoslowakei wurde geopfert, um angeblich ebenjenen Krieg zu verhindern, doch dies war keineswegs so alternativlos, wie es die Appeasement-Politik ihrerzeit darstellte). Und wieder im russischen Machtblock bis zum Happy End in der postmodern-wirtschaftsnihilistischen EU, so war das Schicksal Polens.
Als Zwischending zwischen tellurischer und lunarer Kultur bewahrte das polnische Volk seine Identität, seine Grenzen ohne Hilfe von außen zu wahren, war es nie imstande. Andere kämpften für Polen, Polen kämpfte für andere; der höchste Berg Australiens ist nach dem polnischen Nationalhelden benannt. Er ist viel niedriger als etwa die Zugspitze genannte subalterne Erhebung der Alpen.
7. Die ungarische Fahrradkette
Wer waren nochmal diese Venger? Waren es nicht die, die die ehrfuchtgebietendeste Stadt der Welt, das weltentranszendierende Reburt, gegründet, und für Jahrhunderte Europa dominiert haben? Steinbrück. Unter Matthias Hunyadi Mitte-Ende des 15. Jahrhunderts waren sie, auch, eine europäische Großmacht. Und wo ist das große Vengria mit, Angst macht große Augen, seiner 20-Millionen-Armee? Steinbrück. Ungarn, nicht Vengria. Was war ich für ein phantasievolles Kind.
Immerhin kamen diese Nomaden, Magyaren oder Madjaren, im 9. Jahrhundert als Geißel sesshafter Völker nach Ostmitteleuropa. Zeitgenossen der schrecklichen Vikinger, waren sie Vikinger des Landes, nicht des Meeres. Die sächsischen Ottonen brachten sie schließlich unter ihre Knute, und die furchtbaren Neuankömmlinge settelten down und wurden fruchtbar. Polen schenkte Europa kein großes Polen, aber viele große Polen. Und so war es auch mit Ungarn, nur dass es halt Ungarn waren. Hier Chopin, dort Liszt. Der große Atmosphäriker des modernen Kinos, Darabont Ferenc, hat ungarische Vorfahren.
In Union mit dem zweiten Sportskanonenvolk der Gegenwart, den Kroaten, überstanden die Ungarn als subalternes Königreich Mittelalter und Renaissance. Bei Mohács 1526 kam das Ende ihrer Herrlichkeit. Seitdem ist nicht mehr viel los, außer dass die Finno-Ugrier (wie ihre finnischen Verwandten auch) die meisten olympischen Medaillen pro Einwohner gesammelt haben. Aber vielleicht ist in Budapest was los, dort sollen angeblich die Frauen durchaus schön sein.
8. Türkei und Geschichte
Ein großartiges Volk, diese Eisenschmiede vom Altai. Sie schmiedeten eben halt Eisen für die Verbrecherbande der Rouran, dann besiegten sie diese Räuber und gründeten das Göktürkenreich. Aus dem westlichen Teil entstand später Khasaristan, großer Bruderstaat des russischen Khanats. Die Türken, also die Turkvölker als Nachfolger der legendären Himmelstürken, dienten erst als Soldatensklaven für und versklavten dann selbst die islamische Welt, retteten diese von Ägypten aus 1260 von den Mongolen, und regierten sie ab dem 16. Jahrhunderts als Kalifen von Konstantinopel aus. Die heutige Türkei ist eine rückständige Diktatur, die das Coronavirus nicht nur leugnet: selbst das Wort Coronavirus ist in diesem Land verboten. Deshalb liegt die wöchentliche Inzidenzzahl seit einem Jahr konstant bei Null.
Die Rede war natürlich von der wahren Türkei, dem Stammland der Oghusen, aus denen erst die großen Seldschuken und dann die noch größeren Osmanen hervorgegangen sind. Deren Nachfolgestaat ist die Republik Türkei, als antiislamisch gegründet, als islamistisch wieder zur Großmacht geworden. Von den Vorfahren, den solaren Himmelstürken, ist mentalitätsmäßig nicht mehr viel da. Das dionysische Anatolien lunarisierte das seit 900 Jahren dort residierende Vielvölkervolk, das das bergige Hinterland mit den durch und durch lunaren Kurden, einem viel älteren aber weniger kriegerischen Volk, nicht so richtig teilen möchte. Sollen die sich in den Elam verziehen, ihr Stammland seit 4000 Jahren? Oder soll man lieber eine ehrliche Volkszählung in Anatolien durchführen und dann das Völkerrecht anrufen?
Größe zeichnete die alten türkischen Reiche aus, insbesondere in Form von kultureller und religiöser Toleranz. Deshalb nahmen die Turkvölker einst den universalistischen Islam an. Der Islam ist lange nicht mehr das, was er (kurz) mal war, die Türken sind es auch nicht mehr. Aber die Lieblingsvölker der Philosophen, die Griechen und die Deutschen, sind eben halt auch halt einfach eben halt nicht mehr, was sie einmal waren. Alles ändert sich, und, anstatt in aktuelle politische Diskussionen einzusteigen, gucken wir an dieser Stelle mit Heraklit und Laotse einfach mal zu.
9. Allemagne : Croatie 0:3
Arminius macht ein Praktikum in Illyrien. Die Barbarei, mit der die Römer das freiheitsliebende Volk der Illyrer abschlachten, läst ihn in der Nacht an Deutschland denken. Er lockt römische Legionen nach Germanien unter dem Vorwand, es würde eine Stadt Bielefeld existieren, und stellt ihnen eine Falle. Germanien bleibt unerobert. Illyrien wird römische Provinz.
Luka Modric wirkt neben all den Milchbubis der WM 2018 wie ein mittelalterlicher Ritter. Der Spieler des Turniers wird um den verdienten Weltmeistertitel gebracht, doch nicht der Weltmeister, sondern wieder Kroatien wird zur WM-Legende, wie schon 1998. Das paradigmatische 0:3 prägt Deutschland noch über den WM-Gewinn 2014 hinaus, und bleibt doch ein Symbol. Kein deutscher Herrscher hat es geschafft, wahrer römischer Kaiser zu werden. Die Ottos und Friedrich Barbarossa waren nah dran. Aber das Volk, das das tausendjährige Reich des Mittelalters als ein römisches begründet hat, das waren die eigentlichen Vorfahren der heutigen Kroaten.
Aurelian, Diokletian und Konstantin waren die drei legendären Kaiser, die die Welt des Mittelalters nach der Krise des 3. Jahrhunderts, mit der die Antike endete, urspringen ließen. Rom ging nicht unter, sondern blieb bestehen, als griechisches Imperium im Osten und als fränkisches im Westen. Ohne die drei Kaiser wäre das Imperium Romanum einfach niedergemäht worden, aber durch sie gab es einen fließenden Übergang, der von Historikern bis heute nicht bemerkt wurde, weil er gerade wie Kontinuität aussah, sodass manche 476, noch manchere die Zeit Justinians und die manchsten die arabisch-islamische Expansion als Zeitenwende zwischen Antike und Mittelalter ansehen.
Die Krise des 3. Jahrhunderts ist der Beginn, das 13. Jahrhundert ist das Ende des Mittelalters, insofern es als Geschichtsepoche Sinn machen soll. Und das solare illyrische Element, das sich mit dem lunaren südslawischen Element mischte, und im späten 6. Jahrhundert das heute wiedererkennbare Volk der Kroaten entstehen ließ, bildet der Ursprung der gesamten abendländischen Geschichtsepoche.
Im Spätmittelalter, ab dem 10. Jahrhundert, bezogen die Kroaten das Solare von den Ungarn, und verabschiedeten sich nach dem Ende des Mittelalters zusammen in die Halbzeitpause. Worauf warten sie? Der ausführlichste Artikel zur Serie "The Walking Dead" bei Wikipedia ist auf Kroatisch. Sie bereiten sich auf die Zukunft vor. Sie sind ein Sigma-Volk. Das Großmacht-Gehabe von Deutschen, Franzosen, Türken, Spaniern usw. tangiert sie nur peripher. Wer drei legendäre Kaiser stellte, der braucht sich nicht um Könige zu scheren.
10. Das Land Bergkamps und Kluiverts
Die Geschichte der Niederlande beginnt im Barock. Als im hochmittelalterlichen Flandern hochentwickelte Städte Gent und Brügge florierten, und Mechelen Kirchenglocken an das orthodoxe Russland lieferte, das ihren Klang liebte, waren Nord- und Südholland burgundische Provinz. Der Hass zwischen den beiden Teilen Hollands ist heute legendär, der Rest sind die vereinigten Niederlande. Ajax oder Feyenoord? PSV.
Rembrandt ist toll, aber die Niederlande stehen in jüngster Weltgeschichte vor allem für Künstler wie Cruyff und van Basten, Cocu, Robben und van der Sar. Ich kenne kein individualistischeres, positiv-egoistischeres Volk. Lebensfrohe Ichlinge, ichbezogene Ichiasten, leistungsgeile und sexuell sehr freizügige Ichoholiker, die Niederländer leben halt einfach das Leben. Sie sind das einzige genuin lunare germanische Volk: der Lunarismus in Britannien kommt von den Kelten, in lockereren Teilen Deutschlands von den Franzosen.
Superstars der besten europäischen Clubs als Einzelspieler, nur Europameister 1988 als Nationalmannschaft. Was allein der weniger bekannte Spieler Seedorf alles gewonnen hat! Empirismus und Materialismus sind für den Holländer eine Selbstverständlichkeit, er ist extravertiert und schafft es trotzdem, distanziert, distinkt und diskret zu wirken. Unter den introvertierten Finno-Ugriern gibt es die Finnen, deren legendärer Skispringer Janne Ahonen nach einem abermaligen Sieg den noch legendäreren Satz heraushaute: "Finnen lächeln nicht". Sie sind die Krieger unter den uralischen Völkern; im Vergleich zu Lauri Törni ist selbst James Bond eine Memme. Die Finnen sind solar, die Niederländer sind schattig, die Niedlichsten der Germanen.
11. Norwegen: Covid47
Als Harald Norwegen einte, einer von den Drontheimern, die bei Skandinaviern so verhasst waren, wie die Sachsen bei Gott und den Menschen, war das Land eine nordische Großmacht. In der späten Wikingerzeit entdeckten die Norweger Nordamerika. Mit und gegen die Dänen kämpften sie um die Britischen Inseln. Doch bevor wir zu den Entdeckern des Nord- und Südpols kommen, müssen wir über Inzidenzen sprechen.
Eine Inzidenzzahl von 35 (oh, gefährlich!) bedeutet, dass im gegebenen Zeitraum 35 von 100000 Menschen infiziert sind. Bei einer Schluckauf-Inzidenz von 100 hat ein Promille der Bevölkerung Schluckauf. Eine Antisemitismus-Inzidenz von 1000 bedeutet, dass 1000/100000, also genau 1% der Bevölkerung im gegebenen Zeitraum Antisemiten sind. Wenn jeder 10-te eine Grippe hat (was in der Wintersaison manchmal der Fall ist), beträgt die Inzidenz schockierende 10000. Und nun verspreche ich, nicht mehr über Inzidenzen zu reden, sondern über Hospitalisierungsquoten und Sterbezahlen.
Am malerischen Yssykköl-See im heutigen Kirgisien war für die Pest am Anfang des 14. Jahrhunderts das, was für die heutigen Coronaviren Ende 2019 Wuhan war. Globalisierung war noch nicht, Menschen und andere Krankheitserreger verbreiteten sich langsam. Aber 1347 war der Beginn einer globalen Pest-Pandemie. In Norwegen überlebten diese Pandemie nur 35-40% der Bevölkerung. Eine Gesamtsterbeinzidenz von 60000 bis 65000. Klar gab es auch Masken (diese lustigen Vogelmasken), Lockdowns (von deren italienischer Namensgebung sich das heutige Wort Quarantäne ableitet) und eine Art Behandlung (das war dann eher der Aderlass als die Impfung). Der Erfolg war bescheiden. Nur in unwegbaren Gegenden, wo die Pest nicht ankam, kam es nicht zum Massensterben.
Zeitsprung zu den Helden meiner Kindheit: Amundsen gegen Scott. Der Norweger erreichte 1911 als erster Mensch den Südpol. Scott died trying. Nansen sah aus wie Ragnar, erforschte die Arktis und bekam 1922, vor 100 Jahren, den Friedensnobelpreis für Flüchtlingshilfe. Eine Generation später durchquerte Heyerdahl mit einem Floß den Pazifik. Heute ist Norwegen das Land mit dem höchsten Lebensstandard (HDI) und der nachhaltigste Staat der Welt (zweitniedrigster FSI plus zufriedenstellendste wirtschaftliche Selbstgenügsamkeit). Das Schicksal hat verhindert, dass Norwegen um die Weltmacht kämpfen konnte. Gut für Norwegen.
12. Das Ende der Saturnalien
1962 findet der Atomkrieg nicht statt. Stattdessen beginnt die Realitätsflucht, die in Metaverse ihren logischen Schlusspunkt findet. Für eine echte Matrix hat es wohl an Erfindergeist gemangelt. Der feminisierte sich infantlisierende Westen mit dem Endziel Idiocracy spaltet sich in Safe Spaces auf, realitätsfremde Blasen, narzisstische Realitätssimulationen, die mit der Realität selbst nicht interagieren, und nur durch das Wissen um die Existenz anderer Simulationsblasen in Erregung gebracht werden. Fernsehen, Internet und schließlich Social Media ersetzen die Realität.
Neo ist ein russischsprachiger Jude, ein Komiker, der einen Lehrer spielt, welcher auf die Politiker schimpft. In der Inszenierung wird er dazu aufgefordert, sich für das Präsidentenamt zu bewerben und gewinnt tatsächlich die Präsidentschaftswahlen. Nach dem Erfolg in der Simulation bewirbt sich Neo nun in der Realität für das Präsidentenamt um gewinnt wieder die Wahl. Die umgekehrte Bewegung von der Simulation in die Realität gipfelt darin, dass eine gigantische hochgerüstete Simulationsblase das von Neo geführte Land in der Realität überfällt. Jetzt ist Neo in der realsten aller Realitäten angekommen: im Krieg. Die Saturnalien sind zu Ende.
Die Saturnalien, das waren die 60 Jahre der westlichen Ultradekadenz. Das tellurische Russland und der chthonische Westen stritten sich um eine lunare Randzone, deren Selbstständigkeit schon dadurch ein Witz war, dass die Lebensmoral ihrer Bewohner in dem Wunsch bestand, die Teigtaschen sollten ihnen doch selber in den Mund springen. Diese Randzone wird nun zum Land der Helden, das gegen zombierte Blasenbewohner seine Unabhängigkeit verteidigt.
Der altersschwache Westen, der mit Schande einen 20-jährigen Einsatz in Afghanistan beendete, wurde bereits 1999 für die serbische Armee zum Gespött, die NATO-Bodentruppen erwartet hatte, und stattdessen nur feige aus der Luft ausgebombt wurde. Andere Angriffskriege verliefen ähnlich. Bei wirklich schlimmen Genoziden hielt sich der Westen zurück oder spielte eine dubiose Rolle (Ruanda, Darfur). Die Technik und die Söldner retteten die militärische Ehre. Das ressentimentale Russland, das mit Gorbatschow auf Malta sein Versailles erlebte, isolierte sich von der Welt (Russlands Welt ist und bleibt der Westen) und lief schließlich Amok.
Es gab mit Chlodwig und Charlemagne ein Vorfrankreich, es gab auch eine Vorukraine der Kosaken. Die Kapetinger gründeten erst den bis heute bestehenden französischen Nationalstaat, die wahre Geburtstunde der Ukraine ist jetzt. Der Lebenswille echter Menschen beschämt die Zombies aus dem Westen und die Vampire aus dem Osten. Immerhin lockt die Ukraine Walker, Beißer, Untote an, um für ihre Freiheit zu kämpfen, aber auch Russland holt diese kollektiven Protagonisten von The Walking Dead in seine Reihen; Rick und Negan setzten schließlich gleichermaßen Zombies in ihrem Krieg gegeneinander ein. Nazis und Söldner hier und dort als Hilfstruppen, doch die Verteidigung der Ukraine hat einen guten Kern, die Überlebenden. Russlands Saviors sind, wie Negans Gruppe, eine tyrannisch geführte Verbrecherbande.
Die Niederlage des Westens, sein Offenbarungseid, ist seiner durchfeminisierten und sich zunehmend infantilisierenden Bevölkerung noch nicht klar, aber die Zeit des Westens ist vorbei. Russland als Macht der Zukunft im Sinne Spenglers, das wird wohl nicht der Staat der Moskowiter sein. Iwan der Geldsack war sein erster, Wladimir der Oligarch wahrscheinlich sein letzter Herrscher. Moskau war kein drittes Rom, das war London. Moskau war ein Antisystem nach Gumiljow, eine destruktive Macht, deren Zeit abgelaufen ist. Die Welt war bis zum Zerreißen gespannt, und sie riss im Kreml. Die Ukraine ist das erste Land der Zukunft, das Dugins vierte politische Theorie verwirklichen könnte: einen realitätsbasierten Vitalismus jenseits der Ideologien der Moderne (Liberalismus, Kommunismus, Faschismus).
13. Wozu Italien?
Italien erlebte, im Gegensatz zu Deutschland, keine zweite Teilung im 20. Jahrhundert, aber es sehnt sich danach, zu trennen, was nicht zusammengehört. Der Gegensatz zwischen Nord- und Süditalien könnte aber auch eine Nebelkerze sein, um nicht eingestehen zu müssen, dass Italien, wie es heute existiert, überhaupt, auch zweigeteilt, keinen Sinn ergibt.
Italien ist in der Falle der Zweitklassigkeit gefangen: es spielt seit dem Neubeginn seiner staatlichen Existenz in der Moderne mehrere zweite Geigen, und zwar gegenüber Frankreich, dem spätneuzeitlich-modernen Primus der romanischen Welt, seinen neuzeitlichen habsburgischen Beherrschern Spanien und Österreich, seiner eigenen antiken Vorgeschichte als Römisches Reich und nicht zuletzt Deutschland, das ihm den Reichstitel im Mittelalter weggenommen hat.
Italien ist nicht aufgrund seiner Gegenwart ein Land der Sehnsucht. Auf meiner Italienreise im nächsten Jahr werde ich die meiste Zeit in der antiken Welthauptstadt Rom verbringen und in die Renaissance-Metropolen Florenz und Genua reinschauen. Was ist mit Venedig? Venedig ist Venedig, es ist nicht Italien. Seine Nachfolger heißen Antwerpen, Amsterdam und London, und aktuell New York.
Die Sinnkrise Italiens begann gleich mit seiner Staatsgründung. Luigi Cadorna war kein Aetius, kein Majorian, kein Theodosius, und wir sind immer noch im allerletzten Jahrhundert des Reichs in der Spätantike. Die unzähligen Isonzo-Schlachten brachten weder Ruhm noch Ehre, aber Leid und Schwere. Der Sieger Italien stürzte 11 Jahre früher als der Verlierer Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in den Faschismus. Und nun aber! Oder? Ich sage nur ein Wort, ein einziges Wort: Adua.
War es das wert, deshalb 40 Jahre später als erste Nation Giftgas aus Flugzeugen zu versprühen? Wie groß muss der Frust gewesen sein, dass man die Lazarette des Roten Kreuzes absichtlich bombardierte? Äthiopien erobert, und nun? Schwere, peinliche Niederlage gegen Griechenland in Albanien. Hitler musste aushelfen. Im Windschatten des Dritten Reichs wurde etwas Land am Mittelmeer zusammengesammelt, aber die Kapitulation gegen die Kriegs-Amateure aus den USA kam, als Deutschland antiheldisch den totalen Krieg kämpfte. Als imperialistischer Staat war das neugegründete Italien eine Katastrophe.
Doch im Frieden wurde Italien groß. Norditalien hat mehr Gemeinsamkeiten mit Süddeutschland und der Schweiz als mit wirtschaftlich schwachen Regionen Westeuropas. Trotz scharfer regionaler Unterschiede ist Italien ein Gigant der Weltwirtschaft mit einflussreicher Kultur. Die Bevölkerung ist jedoch im Durchschnitt sehr alt, die Fertilitätsrate so niedrig, dass das Aussterben unumkehrbar ist. Italien hat keine eigene, aber eine gemeinsame europäische Zukunft. Und die ist düster.
Dann aber zurück zur Vergangenheit: Was hatte Italien in den 500 Jahren nach der Renaissance überhaupt für einen Sinn? Das viel weiter zurückgefallene Spanien hat einen langen flauschigen Eichhörnchenschwanz an lateinamerikanischen Tochterstaaten. Frankreich ist eine Großmacht. Deutschland, trotz allem, auch. Von England schweigen wir besser. Die anderen europäischen Länder sind aber viel kleiner, da wäre ein Vergleich peinlich, ein verlorener erst recht. Also: What went wrong? Vielleicht ist es die Zyste. Monaco ist ein Schandfleck der Ultradekadenz, aber es liegt am südöstlichen Rande Frankreichs. Und Vatikan ist eine giftige Zyste mitten im Herzen Italiens. Bevor sich Italien abschafft, könnte es den Vatikan abschaffen, zu verlieren hat man eh nicht mehr viel.