Roboterhaft
von J. B. Weber, 2024
Bisweilen vermag ich nicht mit Gewissheit zu sagen, ob ich wirklich Mensch bin, ob ich tatsächlich fühle oder lediglich einer Pflicht zum Fühlen gehorche, einer inneren Vorstellung folgend, wie Empfindung beschaffen sein müsste. Dann betrachte ich mich selbst wie durch fremde Augen, beobachte die Gestik, die sich einstellen würde, das Gesicht, das sich verzöge, die Mimik, die sich entfalten müsste – wäre das Gefühl nur echt, das ich zu empfinden mir einbilde.
Vielleicht aber fühle ich tatsächlich, und doch ist das Gefühl so fern von mir, wie ich selbst mir fremd bin – entfremdet. Dann erscheint es mir, als sei das Empfundene nicht etwa falsch, sondern verschoben, entstellt, als wäre seine Intensität überzeichnet, zu schwach oder gar ganz anderer Natur, als es mir der Verstand suggeriert.
Mancher bezeichnet mich deshalb als roboterhaft. Man meint es wohl halb spöttisch, halb mitleidig, ich weiß es nicht. Doch es ist nicht die Abwesenheit von Gefühl, noch dessen bloße Anwesenheit, die mich quält, sondern seine Vieldeutigkeit, seine ungreifbare Gestalt, sein oszillierendes Wesen zwischen Fremdheit und Nähe und seine Seltenheit dann und wann. Aus dieser Ungewissheit, aus dem Spalt zwischen dem vermeintlichen Innenleben und dem unzugänglichen Kern meiner selbst, erwächst das Bedürfnis zu intellektualisieren – nicht um zu verdrängen, sondern um irgendwie Ordnung zu schaffen.
Ich fürchte nicht das Schweigen der Empfindung, sondern ihr gleichzeitiges Sprechen in zu vielen Stimmen – jede davon überzeugt, das Eigentliche zu sein. Ein jedes Fragment meiner Person zieht in eine andere Richtung, sagt „ich“, meint aber etwas anderes. So bleibt mir nur, das Chaos zu benennen, in der Hoffnung, es durch Sprache zu bändigen.
Roboterhaft. Welch widerlich kaltes, technisches, knirschendes Wort. Unästhetisch, unpassend. Und doch – es hat mich getroffen. Wie eine Beleidigung, die einen nur deshalb verletzt, weil sie nicht ganz unwahr ist.
Vielleicht ist gerade dieses Wort der Beginn noch einer Wahrheit, von der ich lieber nichts gewusst hätte.