Sie war keine Schönheit im üblichen Sinne. Sie war viel mehr.

Novelle

von  hehnerdreck

Sie war nicht nur schön, wie man sonst von Schönheit spricht, in ihr wohnte etwas Seltsames, das einen wie die Augen und Gesten von Kindern verzauberte. Eine Erscheinung, die man nie vergisst, sobald man sie gesehen hat. So schien es mir damals. Es war an jenem Tag, als ich, erschöpft von der Arbeit, Zuflucht im Café Bazar suchte, fern von Ort und Last, die mich an meine Mühen erinnerten. Ach, Thomas, dieses Café, das du so oft besuchtest, war an diesem Tage leer von deiner Stimme.

Wie gerne hätte ich deine scharfe Spottrede gehört, mit der du die Dekadenz unserer Zeit so treffend beschreibst. Stattdessen, und das war weit aus mehr als nur Trost, trat sie ein – jene Erscheinung, die man alle zehn Jahre sieht –, eine Gestalt von solcher Anmut, dass mir der Atem stockte. Und auch sah ich ein inneres Leuchten, Grazie, Würde und all das Edle, das sich in ihr verband. Ein kindlich-naives Begehren zog mich wie von selbst zu ihr hin.

Ich, der neben Thomas Bernhards Stammplatz saß, dem „Majestät der literarischen Wahrhaftigkeit”, riss die Augen auf, als sie lächelnd, zart und doch bestimmt zu mir herantrat. Da setzte sie sich zu mir, und ich, benommen, suchte nach Worten, die ich nicht fand. Doch sie trug mich mit leisen, aber deutlichen Zeichen in Sicherheit. „Äh!“, sagte ich, unfähig, mich vom Staunen zu lösen.

Doch dann sprach sie zu mir auf eine Weise, worauf ich mich begann sicher zu fühlen und entgegnete ihr im selben Rhythmus und Wärme ihrer Worte, mit den meinen. Ihr Duzen, ihr mildes Lächeln, berührte mein Herz beruhigend wie eine sanfte Hand. Wir sprachen über alles, was der Mund fassen kann, und doch blieb der Sinn in jenem Augenblick kleben, als sie mir die Hand auf den Rücken der meinen legte, sanft und doch fordernd, als wolle sie sagen: „Hier bin ich, hier bist du.”

Dann sprach sie jene Worte, die mich verwirrten, weil sie so tief waren wie ein verborgenes Meer: Sie sehe in mir den, den sie einst kannte, in einer anderen Zeit. Ich fühlte mich wie ein Kind, das zum ersten Mal die Mutter berührt, die ihm Wärme gibt und doch unnahbar bleibt. In diesem Augenblick schwebte ich über dem Boden, getragen von Sehnsucht und einem Licht, das mir Freiheit versprach. Doch dann begann ich zu ahnen, dass sich hier etwas abspielt, das fernab von der Wirklichkeit ist.

Es war ein Traum. Aber kein gewöhnlicher. Er schien echter als die Wirklichkeit – wie eine tiefere Wahrheit, die sich hinter einem Spiegel verbarg.

Am nächsten Tag sah ich dieselbe Frau wieder. Diesmal war es kein Traum: Mit Einkaufstaschen ging sie vor mir her. Ein paar Meter trennten uns noch, doch meine Ungeduld trieb mich voran. Ich überholte sie, drehte mich um und wir sahen einander an.



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Kommentare zu diesem Text


 niemand (29.08.25, 09:32)
Mit Einkaufstaschen ging sie vor mir her. Ein paar Meter trennten uns noch, doch meine Ungeduld trieb mich voran. Ich überholte sie, drehte mich um und wir sahen einander an.
Hoffentlich war das keine Überraschung im Sinne von: Von hinten Lyzeum

und von vorne Museum  :O     Das haben Träume so an sich, wenn sie
der Realität nicht ausweichen können. LG Irene

 Augustus (29.08.25, 09:36)
Wir sprachen über alles, was der Mund fassen kann
Der Text merkt an, dass der Autor über eine feine Intuition verfügt; er Aber ihn an der einen oder anderen Stelle nochmal untersuchen sollte. 


Ernstgemeinte Texte sollten wie durch einen Arzt als Patienten behandelt werden; eine gründliche Untersuchung erschließt die Krankheiten vom Patienten. 
Ein sehr guter Autor sollte also unbedingt auch im metaphorischen Sinne auch eine „Arztpraxis“ unterhalten, damit seine Texte dort nach Beschwerden behandelt werden können. 

Der obige Satz ist zu hastig geschrieben und demnach unentwickelt, gleichwohl enorm viel Potenzial in ihm steckt. Eine Präzisierung sehe ich hier von Nöten, wie etwa dass der Verstand die Themen fasst, sie formuliert, das Chaotische ordnet, während der Mund dann das Ergebnis dieses Prozesses ausdrückt und dem anderen vermittelt; während beide in dem geistigen Aufräumen von Chaos immer näher einander durch dessen Ordnung zum Verständnis finden.  
Natürlich kann dein Satz ganz anders aussehen. Etwas verträumtes, finde ich, sollte immer etwas ausgeschmückt sein, wie ein buntleuchtender Weihnachtsbaum

 hehnerdreck meinte dazu am 29.08.25 um 13:50:
Danke, dass du meiner Novelle Potenzial zugestehst und sie für wertvoll genug befindest, um sie zu überarbeiten. Das sehe ich übrigens auch so. Doch eine solche Überarbeitung verlangt von mir nicht nur große Konzentration, sondern auch viel Zeit, um Dein Anliegen einer gezielteren Argumentation und eines prägnanteren Stils zu erfüllen und dem Anschein von Beliebigkeit zu entgehen. In einem Literaturforum, das sich der gegenseitigen Hilfe verschrieben hat, ist es dennoch erfreulich, jemanden wie Dich zu haben, der eine solche Haltung zeigt.

Du hast recht: Bildhaftigkeit, die poetisch sein soll, braucht Sinn und eine nachvollziehbare Logik. Bei der Formulierung darf nichts zugelassen werden, was den Eindruck von Beliebigkeit erweckt. Eine Überladung sollte vermieden werden, um eine leserfreundliche Homogenität des Werks zu gewährleisten. Danke für Deine konstruktiv-kritischen und durchaus nützlichen Worte aus einer praxisnahen Perspektive. Du zeigst klare Ansätze auf, wie sich Passagen verbessern lassen, ohne den ursprünglichen Sinn zu verwässern.
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