Lob des Mainstreams

Kommentar zum Thema Neid

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Versuche und Irrtümer

Der Mainstream ist kollektive Intuition. Diese kann auch missbraucht werden (Volkshysterie: Antisemitismus, Hexenjagd). Individuelles Denken ist aber auch nicht fehlerfrei und kann falsch sein.



Der Mainstream ist gut, weil er in der Postmoderne vor Beliebigkeit schützt:



  • Der Mainstream ist nicht zynisch (er ist naiv-realistisch)
  • Nicht die Mehrheit bestimmt, was Mainstream ist
  • Die Meinung der Mehrheit wird vom Mainstream bestimmt
  • Was Mainstream ist, bestimmen auch keine Verschwörer hinter den Kulissen
  • Der Mainstream ist nicht Verhandlungssache (intuitive Zustimmung)
  • Der Mainstream ist nur bedingt ideologisch steuerbar
  • Im Mainstream findet der Fluss der Natur seinen Weg
  • Ideologische und kulturelle Hindernisse werden umströmt




Kluge Ideen sind nicht direkt durchsetzbar, weil nur 2% der Bevölkerung sich auf dem Niveau der reflektierenden Intelligenz befinden (ab IQ 130; mit IQ 115 ist nur die kritische Intelligenz erreicht: Skepsis, Negativismus, Einseitigkeit, und selbst der Bereich von 115 bis 130 ist in der Minderheit). Die nicht logisch artikulierbare öffentliche Meinung nimmt Menschen aller Intelligenzstufen mit ins Boot und sorgt für einen stillen Konsens, der nicht logisch explizierbar, sondern nur interpretierbar ist (Bauernweisheit lässt sich nicht in Schulwissen übersetzen).

Das Pendeln zwischen Extremen kennzeichnet eine Gesellschaft mit schwachem Mainstream (hirngewaschen, zwanghaft, anti-intuitiv). Eine Modehysterie wird in der Regel von abstrakt-logischen Wahnideen verursacht; sie ist nicht Mainstream, selbst wenn sie kurzzeitig herrscht. Das intuitive Gegenmittel ist, wie gegen jeden Terrorismus, "grimmige Indifferenz" (Herfried Münkler), z. B. das Ertragen nachvollziehbarer Corona-Maßnahmen bei erhöhter Wachsamkeit gegenüber Übertreibungen. Im aktuellen Fall des Ukraine-Kriegs darf die Feststellung antirussischer Stimmungsmache und Propaganda nicht zum den Schluss führen, es handelte sich von russischer Seite nicht um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.

Selbst in der Ultradekadenz ist feststellbar, dass der Mainstream sich nach einer Phase der moralischen und sexuellen Verwahrlosung zumindest dem Erhaltungsniveau der Natur wieder angleicht: die Promiskuität wird nicht zur Lebensweise der Mehrheit, die meisten Menschen streben immer noch nach dauerhaften nicht-toxischen Beziehungen; durch zynische Kritik am "Liebeskitsch" wird Liebe nicht abgeschafft, sondern anders angegangen; die Entartung der Kultur führt zur zwanglosen Rückkehr zu den Klassikern.



Autochthon schlaraffenländisch aufgewachsene Männer, die trotz bester Voraussetzungen im Leben scheitern, werden rechts- und Frauen linksradikal. Denen sei, den Mainstream lobend, gesagt:


Du bist in Sicherheit und Wohlstand aufgewachsen. Du gehörtest dazu, wurdest nicht diskriminiert. Du bist nicht auf den Kopf gefallen. Du hast keine Behinderungen oder schweren Krankheiten. Und dennoch hast du es in deinem Leben zu nichts gebracht.


Erfolg muss nicht extravertiert sein, nicht jeder lebt seiner Natur gemäß nur nach außen. Aber ein introvertierter Erfolg im Leben, ohne Ochsenziele (Familie, Karriere) oder Löwenziele (Status, Macht), als Adler oder Adelwolf, zeigt sich im echten, nicht bloß nach außen gespielten, Glücklichsein.

Du bist gegen den "Mainstream". Dabei handelt es sich um einen undefinierten, diffusen Feind, der scheinbar übermächtig ist, doch in Wirklichkeit sich gegen deine Hasshandlungen nicht wehren kann. Es sind irgendwie alle, die sich irgendwie angepasst haben, und nicht wie du, stolz und unabhängig sind. Und es ist gleichzeitig auch keiner: deine Rundumschläge richten sich gegen die Luft.

Menschen mit Migrations- oder einem anderen schwierigen Hintergrund sind nie ostentativ gegen den Mainstream: sie haben andere Sorgen. Aber abgesehen von selbsterklärten Opfergruppen, die sich und noch mehr anderen das Leben schwer machen, mit oder ohne dass sie es selbst schwer hatten, sieht keiner diesen Gegner aus Luft, den du so engagiert bekämpfst, dass alles andere, und somit du im Leben, zu kurz komm(s)t.

Wer gegen Fremdenfeindlichkeit oder Homophobie kämpft, wendet sich gegen definierbare Missstände; sein Kampf kann Erfolge oder Misserfolge vorweisen. Der Kampf gegen den Mainstream ist eine infantile Trotzreaktion dagegen, nicht automatisch seinen Willen bekommen zu haben. Darin spiegelt sich die Anspruchshaltung, viel zu erreichen, ohne viel zu tun. Du bist gescheitert, und die anderen sind schuld.

Tatsächlich ist der Mainstream Zeitgeist plus menschliche Natur. Als geborener Nicht-Außenseiter gehörtst du automatisch dazu. Als Maskenverweigerer, als Putinversteher, als Sexist, als Rassist, als Transphober bist du genauso Mainstream wie Cancel Culture und Nuttenfeminismus, Väterfeindlichkeit und Sozialneid der Linken. Es gibt basierend auf Angst den rechten, und auf Neid den linken Flügel des Mainstreams. Die Mitte steht für Sicherheit und wird von denen besetzt, die es gerade gut haben. Wenn sich das ändert, wandern die Neidischen nach links und die Ängstlichen nach rechts.

Wer außerhalb des Mainstreams aufwuchs, hat keinen Grund, diesem mit Hass oder Ressentiment zu begegnen. Er begegnet dem Mainstream pragmatisch, nicht, um sich anzupassen, sondern um sich auf der soziokulturellen Landkarte zu orientieren. Der Mainstream greift ihn nicht an, stellt seine Werte nicht in Frage, schließt ihn nicht aus. Doch wer z. B. als höchsten Wert nach Jonathan Haidt Reinheit hat, wird in der Promiskuität der ultradekadenten Gesellschaft nicht partizipieren; der "Spaß", der ihm dadurch entgeht, ist keine Strafe, sondern die selbst gewählte Konsequenz.

Es gibt nur eine Möglichkeit, den Mainstream zu besiegen: Sei besser! Sei exzellent und nimm alle Hürden in Kauf, die dies mit sich bringt. Strebe konsequent Erfolg an, und zwar dort, wo du erfolgreich sein willst. Studiere nicht BWL und Jura, wenn es dir nicht um die Bitches geht. Wenn es dir aber doch um die Bitches geht, dann bitche, vervögelt nochmal, nicht rum, dass du dich für den soziosexuellen Erfolg in einer ultradekadenten Gesellschaft anpassen musst. Wenn du aber Erfolg in der Sache anstrebst, die dir wirklich am Herzen liegt, wirst du den Mainstream nicht einmal bemerken: die Mehrheit bestimmt nicht, welchen Weg du zu gehen hast, außer, natürlich, du willst deinen eigenen Weg gehen, aber nur, wenn alle auf deiner Seite sind. Das wäre aber, den Kuchen zu essen und zu behalten.




Anmerkung von Jack:

2022

...und übrigens:


Die meisten Menschen müssen auf den common sense vertrauen, sie fahren gut, wenn sie sich daher am Mainstream orientieren. Ob ein Verstandes-IQ oder ein Vernunft-IQ von 115 die Schwelle zwischen Intuition und Denken darstellt, muss näher untersucht werden. Nach pessimistischen Schätzungen sind es 2%, nach optimistischen sogar 15%, die dauerhaft den Intuitions-Autopilot verlassen und als Denker durchs Leben gehen können.

Denker sind Erfinder, Entdecker, sie erschaffen Neues. Ohne die Top 1% würde die ganze Menschheit immer noch in der Steinzeit leben, nicht nur technologisch, sondern auch moralisch: es sind Denker, die intuitive Mainstream-Praktiken wie Sklaverei, Hexenjagd, Homophobie oder Todesstrafe in Frage stellen (mit offenem Ausgang, nicht einfach nur dagegen). Gäbe es nur den Mainstream, wäre das menschliche Leben überall auf der Welt nicht einmal mit dem der Naturvölker zu vergleichen: die Menschen wären bloß etwas intelligentere Tiere.

So trägt jedes Mitglied der intellektuellen Elite eine Verantwortung für die Dummen; ein Kluger muss statistisch bis zu 50 Idioten geistig auf den Schultern tragen. Zieht man schlechte und böse Menschen unter den Klugen ab, wird die Verantwortung der Anständigen unter den Intelligenten noch größer. Sie müssen alles kritisch hinterfragen, das Leben für alle verbessern, Probleme lösen, deren Existenz die Mehrheit noch nicht einmal erkennen kann, für Frieden zwischen Gruppen aus emotional und intuitiv gesteuerten Mitmenschen sorgen. 

Ist die Sünde der Normalintelligenten Destruktivität (bloß gegen den Mainstream sein: aus Ressentiment, Minderwertigkeitskomplexen, Zukurzgekommensein, Wut, Hass, sonstigem privaten und persönlichen Leid, oder aber als hypervigilante emotionale Reaktion auf Kränkungen durch Mitmenschen), so ist die Sünde der Exzellenten die Abstinenz (Rückzug ins Private, Verweigerung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, nicht-spirituelles, egoistisches, Eremitentum).

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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (18.09.25, 13:38)
Der Kampf gegen den Mainstream ist eine infantile Trotzreaktion dagegen, nicht automatisch seinen Willen bekommen zu haben. Darin spiegelt sich die Anspruchshaltung, viel zu erreichen, ohne viel zu tun. Du bist gescheitert, und die anderen sind schuld.
Das stimmt meiner Meinung nach so nicht. Ich gehe davon aus, dass ein innerfamiliäres Ungleichgewicht für die Trotzreaktion sorgt, das hat sehr ähnliche Hintergründe, wie die Faktoren, die hier angeführt wurden, allerdings bezieht sich die Reaktion auf Handlungen eines Menschen( Vater, Mutter, Geschwister) und da liegen auch die Lösungen in der Kommunikativen Auseinandersetzung mit diesen Menschen oder eben der eigenen Erkenntnis darüber, welche Emotionale Verstrickung zugrunde liegt.

Zum Rest des Textes später mehr, das ist ja ein ziemlich überladener, meiner Empfindung nach, ich nenns mal Versuch einer zusammenfassenden Analyse

 Jack meinte dazu am 18.09.25 um 13:42:
Der prägende Einfluss der Familie ist „geschenkt und vorausgesetzt“, wie mein Philosophieprofessor aus Hannover sich ausdrückte.

Ich gehe davon aus, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner psychischen Traumata. Vielleicht irre ich mich.

 DanceWith1Life antwortete darauf am 18.09.25 um 13:58:
Also dieses mehr ist wirklich so nah dran, an dem worum es mir ging, da sollte man erst mal tief durchatmen, iukwim .
BTW ich kann die Aussage deines Profs nachvollziehen, was allerdings die Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen formt, ist ja eine Wissenschaft für sich und der hier Mainstream genannte Kontext, immer gewöhnungsbedürftig, in jeder Auslegung des Wortes.

 Jack schrieb daraufhin am 18.09.25 um 14:08:
Nicht die Aussage, die Idiosynkrasie ist von meinem hegelmarxianischen Professor, der übrigens auch an seiner Anspruchshaltung gescheitert ist: er hatte vorausgesetzt, dass die Leitung des philosophischen Instituts ihm geschenkt wird.

 DanceWith1Life äußerte darauf am 18.09.25 um 14:34:
Lach das wäre dann ja das klassische Beispiel für den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, ein Faktor der in deinem Text noch ein wenig mehr zur Geltung kommen könnte. 
BTW ich hadere ( welcher Herrscher des Totenreiches hat nur dieses Wort so in die Allgemeinbildung gefügt) noch ein wenig mit der Darstellung all die unbewussten Mechanismen des täglich von Unsinn überfluteten Endverbrauchers Intuition zu nennen, aber ich verstehe deinen Denkansatz.

 Graeculus (18.09.25, 13:46)
Soweit ich informiert bin - der einzige Intelligenztest, den ich jemals absolviert habe, ist schon 60 Jahre her -, ist er kritischer oder gar kreativer Intelligenz nicht günstig gesinnt. So würde er auf die Frage "Wieviel ist 23 + 4?" die richtige Antwort "Das kommt drauf an!" wohl als falsch bewerten - zumal Erläuterungen ja nicht vorgesehen sind.
Weit entfernt von Wittgensteins Einsicht, daß sich in jedem Falle ganz verschieden Regeln denken lassen, nach denen eine Aufgabe, u.a. eine Rechenaufgabe, zu lösen ist. (Regelskepsis)
Dabei kennen wir doch alle die Situation, in der jemand sagt: "Es ist jetzt 23 Uhr. Für die Fahrt brauche ich 4 Stunden. Also komme ich um 3." 23 + 4 = 3. (Restsummensystem)
Was genau testen Intelligenztests?

Daß mal jemand etwas zugunsten des Mainstreams sagt, gefällt mir und regt zum Nachdenken an. Möglicherweise ist das in Ländern, die den Begriff "common sense" kennen, näherliegend als im deutschen Sprachbereich.

 Jack ergänzte dazu am 18.09.25 um 14:04:
Für meine Hochbegabung habe ich einen hohen sozialen Preis zahlen müssen, doch im Nachhinein, mit 42 und nicht akademisch beschäftigt, kann ich sagen, dass ich diesen Preis gern bezahlt habe. In der Anmerkung platziere ich der Vollständigkeit halber mein Selbstlob der Exzellenz aus derselben Zeit.

Mit Mainstream meine in der Tat Common sense und nicht Mediokrität.

 Graeculus meinte dazu am 18.09.25 um 14:14:
Schon klar, und ich bezweifle Deine Hochbegabung ebensowenig wie die schweren Folgen einer solchen, insbesondere das Außenseitertum.
Was ich bezweifle, ist der Wert von Intelligenztests.

 Jack meinte dazu am 18.09.25 um 14:32:
Dein Intelligenztest-Argument habe ich so verstanden, dass Kreativität und Hochbegabung durchaus im Rahmen des Mainstreams zu scheitern prädestinieren, zumal nur konventionelles Denken belohnt und gefördert wird. 

Ich habe alles, was gut und würdevoll ist, getan, um mich sozial zu integrieren, und bin gescheitert. Ich habe die Forderung nach psychosozialer Gleichschaltung, natürlich, zurückgewiesen. Aber nicht nur gesellschaftlich, auch privat bin ich gescheitert. Und dennoch lobe ich den Mainstream. Ja, ich bin einsam. Und ich bin glücklich. Denn ich bin nur sozial und zwischenmenschlich gescheitert, und in den wichtigsten Lebensbereichen eben nicht.

 Augustus (18.09.25, 13:59)
Die Mitte steht für Sicherheit und wird von denen besetzt, die es gerade gut haben. Wenn sich das ändert, wandern die Neidischen nach links und die Ängstlichen nach rechts.

Ich glaube, dieser treffende Satz müsste zeitlos sein. Die eleganteste und knappste Feststellung, was politisch links und was rechts ist.

 Jack meinte dazu am 18.09.25 um 14:10:
In der gegenwärtigen westlichen Anxiety culture werden ängstliche Frauen und neidische Männer linksradikal. Rechtsradikal werden fast nur Männer. Insofern trifft die elegante Vereinfachung nicht ganz zu.

 Graeculus meinte dazu am 18.09.25 um 14:36:
Stimmt, Augustus, das ist ein sehr guter Satz.
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