Theodor Linden über Max Aubert

Erzählung

von  Wastl

Den Theodor Linden kenn ich seit über 'nem Jahr, der kennt dagegen den Max Aubert schon seit zehn Jahren. Linden mag ich, und den Aubert mochte Linden auch gern. Seit sich Aubert umgebracht hat, ist der Linden ganz anders drauf, als sonst. Freudlos ist er geworden, und ich kann mit ihm kaum mehr was anfangen. Linden hing halt ziemlich an Aubert, so ähnlich wie ich an Linden hänge. Den Linden gings nach Auberts Selbstmord ziemlich schlecht – bis gestern, denn Linden hat wieder zum ersten Mal gelacht.

Lindens Niedergeschlagenheit schien nun endgültig vorbei zu sein, dachte ich gestern. Gestern waren wir wie jede Woche um die selbe Zeit im Wirtshaus "Zur Blonden Schülerin". Wir sitzen aber immer so weit wie möglich vom Stammtisch weg, denn dort sind die Leut ziemlich laut und derb. Der Aubert war ein Genie!, sagte Linden gestern. Die Welt hat ihn nicht verdient!, fuhr er fort. Der Aubert war nicht nur gescheit, sondern auch großzügig und sehr bescheiden. Der Aubert war ein echter Mensch, hat Linden gestern gesagt. Nicht so wie die anderen, die nur so tun, als ob, aber nix dahinter ist!, sagte Linden. Aubert wollte keine Anerkennung – er wollte einfach nur seine Ruhe.

Aubert hielt die Bosheit durch die Menschen um ihn herum nicht mehr aus – die meisten haben ihn nicht verstanden. Also zog Aubert die Konsequenz und brachte sich um. Eine andere Lösung gab es für ihn nicht!, so Linden. Aubert konnte die anderen Menschen einfach nicht mehr aushalten. Und ich kann das auch verstehen, im Vergleich zu Aubert, waren alle anderen unecht, die meisten verkrampft und nicht wenige geradezu bösartig, raffgierig und gemein.

Während Linden redete, bemerkte ich, wie die Wirtin, die in unserer Nähe stand, einem der Stammtischler hinter vorgehaltener Hand etwas zuflüsterte. Daraufhin brach die gesamte Stammtisch-Belegschaft in ordinäres Gelächter aus. Ich fühlte mich beschämt und wurde wütend, doch Linden scherte es nicht, was andere über uns dachten. Er fuhr ungerührt fort und sprach weiter über Aubert, während am Stammtisch weiterhin lautstark gelacht wurde.

Linden sagte, Aubert habe nie die Schule besucht. Linden schlussfolgerte daraus, dass dies der Grund dafür sein könnte, dass Aubert ein echter Mensch blieb. Aubert machte sich nichts aus Vorschriften. Er kümmerte sich nicht um die Kleinkariertheiten, die unsere Gesellschaft hervorgebracht hatte!, sagte Linden.

Wenn Aubert jemanden nicht mochte, sagte er es ihm. Natürlich nicht direkt, sondern durch das Winken mit dem Zaunpfahl!, sagte Linden. Zunächst wunderte ich mich, als ich das von Aubert hörte, doch dann wurde mir endlich klar, warum Aubert immer einen Zaunpfahl mit sich herumschleppte. Und auch, warum jeder der vielen Trauergäste bei der Beerdigung damals einen Zaunpfahl bei sich trug. Ebenso fing ich an zu ahnen, warum die Stammgäste über Linden immer so laut lachten, sobald er über Aubert redete.

Und dann schlug ich Linden vor, eine Spendengala zu organisieren, um ein Denkmal aus Bronze für Aubert gießen zu lassen. Linden war von meiner Idee begeistert. Leider rief mich heute Vormittag mein Chef an und teilte mir mit, dass ich aus beruflichen Gründen für ein paar Monate ins Ausland muss und Linden deshalb bei der Organisation der Spendengala nicht helfen kann.

Ein paar Monate später:

Gestern traf ich mich mit Linden nicht im, sondern vor dem Wirtshaus „Zur Blonden Schülerin”. Von dort aus gingen wir gemeinsam zum Marktplatz. Dort stand im Zentrum eine etwa drei Meter große Bronzefigur mit der Inschrift „Zu Ehren von Max Aubert” und einer Jahreszahl. Die Bronzefigur ähnelte Aubert jedoch nicht im Geringsten, sondern viel mehr einer Zaunlatte.


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