Er war ganz stolz, als er als Soldat nach Afghanistan ging. Versehentlich hat er durch einen fehlgeleiteten Bombenabwurf auf eine Schule viele Kinder getötet, aber das gehöre eben zum Krieg, sagte er damals noch, bevor eine Gewehrkugel sein Gesicht verunstaltete. Jetzt sitzt er mit seinem verunstalteten Gesicht in einem Wiener Kaffeehaus. Eine Horrormaske könnte es nicht schlimmer entstellen. Ähnliches hört man oft von den Nebentischen sagen, natürlich leise genug, sodass er es kaum hören kann.
Es hört sich schrecklich an, wenn er seinen Kaffee trinkt. Ein ziemlich grauenvolles Geräusch macht es immer, wenn er trinkt. Eine Mutter am Nebentisch schimpfte mit ihrem kleinen Kind, das sich die Ohren zuhält, weil es das unangenehme Geräusch nicht ertragen kann, was das verunstaltete Gesicht macht, während er seinen Kaffee hinunterschlürft.
Der Kaffeehauspächter ist alles andere als begeistert, einen solchen Gast bei sich zu haben, der sich genau dorthin setzt, wo ihn alle sehen können. Besonders, weil man ihn schon am Eingang sieht, sobald man das Kaffeehaus betritt. Viele machen dann gleich kehrt und tun so, als fiele ihnen plötzlich etwas ein, weswegen sie erst später wiederkommen können. Das tun sie aber nicht, vielleicht wollten sie es ursprünglich, weil sie draußen gewartet hatten, bis das schreckliche Gesicht das Kaffeehaus endlich verlässt. Aber stattdessen sitzt das zerstörte Gesicht bis zum Betriebsende jeden Abend im Kaffeehaus, immer an demselben Platz. Man sieht es gleich, sobald man durch die Eingangstür kommt, und macht plötzlich kehrt, so wie es viele tun, sobald sie das Gesicht dort hinten, gegenüber der Eingangstür, sehen.
Der Pächter des Cafés hatte allen Grund, verärgert zu sein, und man tat sich nicht schwer, es ihm anzusehen. Zuvor hatte er die neuen Gäste noch voller Freude begrüßt. Als ihnen dann eingefallen war, dass sie etwas vergessen hatten, blickte der Pächter missmutig zu dem Gast in der Ecke. Warum musste er sich ausgerechnet dorthin setzen, wo ihn jeder von der Eingangstür aus sehen kann? Er dachte wohl: „Da tötet einer Kinder und wird durch sein unappetitliches Aussehen bestraft. Und ich muss es mit ihm ausbaden. Ich verliere einen Gast nach dem anderen. Bald kann ich nicht mehr von meinen Umsätzen leben, weil sie so drastisch zurückgegangen sind. Ein Laden mit einem unappetitlichen Horrorgesicht am unvorteilhaftesten Platz, der sämtliche Kunden hinausgraust.“ Es rechnet sich auf Dauer nicht mehr – was soll’s, dann schließt er eben den Laden und muss nicht mehr den Unterhalt für seine geschiedene Frau und die drei Kinder zahlen. Von den Kindern mochte er nur seine kleine Tochter Irmi. Sie vergöttert ihn. Die beiden Söhne hingegen treibt es nur zur Mutter. Dank der täglichen Gehirnwäsche verachten sie ihn. Für die Tochter interessiert sich die Mutter nicht besonders, denn sie sieht dem Vater ähnlicher als ihr. Ihre Söhne hingegen kommen mehr nach ihr.
Der Pächter hat vor, seine Tochter zu sich zu holen. Zuvor muss er jedoch genug Geld verdient haben. Das ist seitdem das verstümmelte Gesicht stundenlang an dem exponiertesten Ort in seinem Kaffeehaus sitzt, sodass es bereits beim Betreten des Lokals sichtbar ist, nicht mehr möglich. Was wird sich das zerstörte Gesicht wohl dabei denken, wenn es die Umsätze des Pächters gefährdet?
Vielleicht badet er sich an der ständigen Abscheu, der Ablehnung und dem Schrecken der eintreffenden Gäste. Ja, das muss es sein: eine Art masochistischer Reiz, dem er sich selbst aussetzt, in der Hoffnung, für den Tod der vielen Kinder büßen zu dürfen, die er zu verantworten hat. Das entstellte Gesicht reicht nicht aus, sagte der Pfarrer während der Ohrenbeichte. Er müsse da schon mehr tun, um seine Schuld zu tilgen. Dabei sollte das Kreuz Jesu ausreichen, hätte Luther vielleicht gesagt, der angeblich nichts von der Ohrenbeichte hielt, diente sie im alten Babylon schließlich dazu, die Bevölkerung zu kontrollieren. Wie konnte sich die katholische Kirche dann nur eines solch diabolischen Werkzeugs bedienen, das den Anweisungen Gottes widerspricht, und so tun, als wäre es Sein Wille?
So mancher Christ, der die Kirche zu hinterfragen wagt und selbst einmal das Buch der Bücher zur Hand nahm, wird zu seiner Ernüchterung feststellen, dass fast alles, was die Kirche tut, dem widerspricht, was in der Bibel erlaubt und verboten ist. Plötzlich kam ein weiterer Verunstalter ins Kaffeehaus und setzte sich zu dem ersten, anscheinend waren die beiden miteinander verabredet.
Der Pächter schüttelt missmutig den Kopf und sagt leise zu sich selbst: „Und der jetzt auch noch!“ Ein paar Monate später sieht man durch das große Fenster des Kaffeehauses lauter Verunstaltete an jedem Tisch. Manche spielen Karten, andere sind in philosophische Gespräche vertieft. Der Pächter hat einen zufriedenen Gesichtsausdruck, während er die Kasse öffnet und hineinschaut.