All the shades of blonde and blue Teil 1

Erzählung zum Thema Freundschaft

von  Kama

Als es soweit war, erlebten wir es nicht als Schock. Wir hatten es kommen sehen. Jahrelang hatten wir beobachtet, wie es sich zusammenbraute; zeitlupenartig und trotzdem viel zu schnell, als dass wir uns bewusst darauf hätten einstellen können. In weiter Ferne sahen wir eine Sicherheit nach der anderen (einen Menschen nach dem anderen) umfallen wie Dominosteine, nur dass die Ferne gleich nebenan war. Als es schließlich soweit war, erlebten wir es wie einen dumpfen Schlag auf den Kopf. Aber wir wussten noch immer nicht, wie wir es hätten aufhalten sollen. 

 

In den Jahren unmittelbar davor trafen Gülay und ich uns ungefähr einmal in der Woche. Mal bei mir, mal bei ihr, mal im Café, mal im Restaurant. Wir genossen es, nach vielen Jahren wieder in derselben Stadt zu leben. Gülay hatte nach diversen Vertretungen im In- und Ausland endlich eine Professur erhalten; ausgerechnet in der Stadt, in der ich wenige Monate zuvor eine der raren Kassenzulassungen für Psychotherapeuten ergattert hatte. Wir hatten es geschafft. Wir waren Anfang Vierzig und gesettelt. Es hatte lange genug gedauert. Zwischen uns hatte sich nicht viel geändert. Wir erzählten uns immer noch alles. 


„Stell dir vor“, sagte ich, „alle meine jungen Patientinnen haben sich die Brüste operieren lassen, verkleinern oder vergrößern, es fällt mir schwer, so zu tun, als würde ich das normal finden, es ist mir so fremd.“ 

„Du warst Schönheitsidealen gegenüber schon immer unempfindlich, Du wusstest gar nicht, wovon die anderen reden!“ 

„Aber Du doch auch! Ich weiß noch, wie stur Du dich geweigert hast, dich dem String-Diktat zu beugen!“ 

„Ja, aber nicht, weil ich unempfindlich war“

„Sondern?“

„Weil mir meine Selbstachtung über alles geht! Ich lasse mich doch nicht zwingen, eine zwickende Unterhose zu tragen, nur weil irgendwelche Mädchen behaupten, das wäre attraktiver und alles andere ‚geht gaaaar nicht‘“, Gülay verdrehte die Augen und bei den Worten „geht gar nicht“ ahmte sie den Tonfall der kleinen Lisa Schmied aus unserer Klasse nach, die ihre Hausaufgaben noch in der Oberstufe mit Blümchen verziert hatte. Wir brachen in Gelächter aus.

„Lisa ist jetzt bestimmt Trad-Wife“

„War sie ja irgendwie damals auch schon, bloß gab es die Bezeichnung noch nicht und kein Insta.“


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