Penner

Essay zum Thema Abgrenzung

von  KopfEB

Allein. Endlich allein.
Damals hielt ich es für eine geniale Idee.
Endlich ein eigenes Leben.  Nicht länger eingesperrt in den alten Lebens- und Umgangsformen, sondern ... . Sondern was?
Eigenverantwortung? Wohl nicht mehr als ein Wort. Zeit zu tun was man will und nicht was man muß? Ganz sicher nicht, denn das ist wirklich nicht mehr als ein schöner Traum von Kindern die noch nie von zu Hause ausgerissen sind. Die Realität sieht leider ganz anders aus.
Wo schlafen, was essen, was tun? Fragen die einen erst interessieren wenn sie wichtig werden.
Oder glauben sie ernsthaft noch an Wohltätigkeit?  Daran, dass es gute Menschen gibt, die nicht nur an sich denken. Dann leben sie mal nur eine Woche auf der Straße und sie wissen, dass es so etwas nicht gibt.
„Aber wir geben doch jedem Obdachlosen unser  Kleingeld und tun auch sonst was wir können um anderen zu helfen!“
Entrüstung in konfrontierten Gesichtern.
Anderen zu helfen? Womit? Mit einer Mark für die sich die meisten doch nur was zu schlucken, rauchen, spritzen oder sonstwas „hilfreiches“ holen.
Und nach fünf Minuten haben sie vergessen, wem sie in ihrem Großmut gegeben haben, aber sie werden garantiert nicht vergessen, dass sie was gegeben haben. Dieses angenehme Gefühl, ein guter Mensch zu sein.
Teuer erkauft, für fünfzig Pfennig, die man in irgendeinen Gitarrenkoffer geworfen hat.
Und das sind noch die netten Schweine, die, die was geben um angeblich zu helfen, denn sie wissen es nicht besser. Viel schlimmer sind die anderen.
Die, die eigentlich gar nicht wissen wo hin mit ihrem Geld aber sich lieber noch einen Anzug kaufen anstatt mir Geld für `ne Decke zu geben. Und wenn sie im Winter schön warm vor´m Fernseher sitzen und in den Nachrichten von meinem Tot hören, erinnern sie sich natürlich nicht mehr mit mir geredet zu haben sondern regen sich auf, dass nichts dagegen unternommen wird.
Die, die einem sagen das man sich doch einen Job suchen soll und sein Leben anpacken muss anstatt nur zu schnorren.
Ob man denn keine Selbstachtung hätte. Verlogenes Volk, alle miteinander! Jedesmal wünsch ich mir nur für einen Tag die Rollen zu tauschen, mal sehen, wie weit es dann her ist mit der so unglaublich wichtigen Selbstachtung.
Was ist wohl wichtiger, zu Leben oder in den Spiegel gucken zu können?
Wenn man keinen Spiegel hat ist diese Frage nicht schwer zu beantworten. Ich frag dann immer, ob sie denn nicht irgendeinen Job für mich hätten. Da haben sie´s dann immer sehr eilig und natürlich leider gerade keine Stelle frei. Irgendeiner hat mir sogar ernsthaft erzählt das er bald 150 Arbeiter rausschmeißen muß, weil sich dadurch der Gewinn wahrscheinlich um 0,5% steigern ließe.
Eiskalt sagt dieser ohnehin schon reiche, angesehene und vielleicht auch noch für „wirklich Wohltätig“ befundene Anzugträger einem nach Arbeit suchendem Obdachlosen das er in naher Zukunft 150 neue Rivalen in dem einzigen Job hat den man ihm in dieser Welt zutraut. Wir sind alle verlogen bis ins Mark und wissen es noch nicht einmal oder wollen es zumindest nicht wahrhaben.

Und das betrifft nicht nur die „Guten“. Auch die Nazis, die mich vorgestern zusammengeschlagen haben, sind verlogen, denn sie wollten ja eigentlich gar nicht mich oder „den dummen Türken von vorhin“ verprügeln, sondern nur ihrem erbärmlichen Leben, dass ich ihnen als verwichster Penner vor Augen führe, entfliehen.
Und bei jedem Schlag oder Tritt, den sie meinem Körper beibringen, verdrängen sie ein bisschen mehr, dass sie kurz davor stehen ihre Wohnung zu verlieren, auf der Strasse zu sitzen und genauso zu werden wie ich.
Das merken sie erst wenn ihre alten Nazi-Freunde über sie herfallen.
Und eine gebrochene Rippe macht ein Scheißleben nicht unbedingt leichter. Ich kann nur hoffen, dass das wieder in Ordnung geht, denn im Krankenhaus hat man ohne Kohle keine wirklich guten Chancen mit solchen Lapalien. Denn unser hochgelobtes Gesundheitswesen oder unsere zivilisierte Politik sind natürlich genauso verlogen wie alles andere.
Wie sollte es auch anders sein, ist halt alles von verlogenen Menschen erfunden und erdacht. Da kann man nun mal leider nichts dran machen.

Na ja. Der Winter steht vor der Tür und ich glaub kaum, dass ich den noch schaffen werde.
Vielleicht kriech ich wieder nach Hause, auch wenn mein Vater mich wieder verprügeln wird und meine Ma mir spätestens nach einer Woche Geld klaut um sich Alk und Pillen zu kaufen.
Unter Umständen mach ich auch die Schule fertig und krieg mit Glück doch noch nen Job.
Und wer weiß, möglicherweise bin ich irgendwann der Typ der 150 Arbeiter für 0,5% Gewinn entlässt und es irgendeinem miesen Penner erzählt, der nun wirklich kein Aas interessiert, ohne mit der Wimper zu zucken. Denn auch ich bin nichts anderes als ihr alle: ein verlogenes Schwein.

Aber vielleicht, vielleicht gibt es ja doch noch eine kleine Chance für diese miese Welt. Achtet im Winter drauf ob ich mal kurz in den Nachrichten Erwähnung finde. Wer weiß...


Anmerkung von KopfEB:

Oder doch eine Kurzgeschichte? ;.)

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Kommentare zu diesem Text

bauxta (28)
(30.03.06)
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 KopfEB meinte dazu am 30.03.06:
Was ist denn der Unterschied zwischen ner Kurzgeschichte und nem Essay? Ich hab keine Ahnung.

Und doch, wenn du genau hinschaust siehst du diese Meldungen. Natürlich nicht mit Namen oder Foto, dafür sind die Opfer zu namenlos und zu unfotogen, aber es wird schon hin und wieder gesagt, wieviele Menschen in diesem Winter erfroren sind. Oder denkst du das sind die Bänker? Die Bankschläfer sind es, im Suff erfroren.
bauxta (28) antwortete darauf am 31.03.06:
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 KopfEB schrieb daraufhin am 23.04.06:
Bukowski hab ich noch nie gelesen, aber Sozialarbeiter-Romantik wäre ja schon fast ein Lob, da sich meine Erfahrung auf dem Gebiet auf ein Minimum beschränken.
So oder so gesehen, wieder mal ein fremdes Gefühl vermittelt *grins*
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