heute nacht

Monolog

von  jds

heute nacht



tick – tack – tick – tack

Ach martha, deine ruhe möchte ich haben, du sitzt da oben in deiner ecke und wartest. Wartest geduldig bis sich mal eine fliege verirrt.

tick – tack – tick – tack

Ach martha, Und ich? Ich sitze hier und schaue auf diese verdammten zeiger.

tick – tack – tick – tack

Ich sitze hier und warte, warte bis die neunzehnte stunde des tages anbricht, warte auf dieses geräusch, das kurz vorher ertönt, wenn der große zeiger die volle stunde erreicht.

          tick – tack – tick – tack
          mit dem erschlagenden ticken einer uhr
          webt in der ecke
          eine spinne ihr netz
          unberührt vom lauten geräusch der zeit


tick – tack – tick – tack

Ach matha, was soll ich tun? Dabei habe ich johann vertraut, so viele jahre hat er seinen dienst tadellos ausgeführt und gestern. Gestern wurde er schwach. Ja martha, ich nenne sie alle johann, ich kann mir das besser merken und im lauf der jahrhunderte bringe ich dann auch die namen nicht durcheinander.

tick – tack – tick – tack

Ach martha mit dir kann man sich so wunderbar unterhalten, du machst wenigstens keine dummen bemerkungen.

tick – tack – tick – tack

Fünf minuten noch, fünf minuten in denen ich entscheiden kann was ich tue. Fünf minuten in denen ich entscheiden muss was ich tue.
Martha, martha. Martha, so wie ich dich in den letzten vierhundert jahren auch immer martha genannt habe. Ich finde, es ist ein schöner name.

tick – tack – tick – tack

Ich habe ihm alles gezeigt und er hat schnell begriffen. Ich habe ihm alles gezeigt, die steile treppe nach unten, diese treppe mit den unendlich vielen stufen. Sonderbar bis heute hat sich noch keiner von ihnen die mühe gemacht die stufen zu zählen.
Dann der lange gang, ich weiß schon gar nicht mehr wie lange es her ist, seit ich die letzte kammer am ende, ganz am ende des ganges betreten habe.

tick – tack – tick – tack

Fünftausend jahre, oder gar zehntausend? Ich weiss es nicht mehr, und nur einmal, einmal ist das selbe schon mal geschehen. Johann wurde schwach, dieser johann damals. Auch er konnte der versuchung nicht widerstehen.
Ich habe ihm alles gezeigt, den gang, die kammern.
Er muss doch nur zur kammer laufen die leere flasche zurücklegen und die nächste volle flasche bringen. Nur zu der kammer laufen. Hin und zurück.

tick – tack – tick – tack

Über jeder kammer steht das jahrhundert. In der kammer für jedes jahr ein regal. Ja, und fein und ordentlich aufgereiht für jeden tag eine flasche. Einmal, es war zu der zeit papst gregors XIII, hatten wir sehr viel zu tun, es gab ein großes durcheinander. Alle jahreszahlen, die angaben der monate und tage in den kammern mussten vom julianischen auf den gregorianischen kalender umgestellt werden.

tick – tack – tick – tack

"Durch die Addition der Tagesdifferenz kann der umgerechnete Tag größer als die Monatslänge werden. In diesem Fall wird die Monatslänge subtrahiert und der Folgemonat wird zum neuen Monat.
Beim Jahresübergang muss die Jahreszahl um 1 erhöht werden.
Für die Länge des Februars ist die gregorianische Schaltjahresregel anzuwenden."

tick – tack – tick – tack

Im neuen kalender wurden im ersten oktobermonat einfach zehn tage übersprungen, zehn tage. Wir haben umgebeugt, sortiert, neu zusammengelegt, aber was nicht sein kann, eine flasche blieb übrig. Später entdeckte ich dann auch warum. Johann hatte in der nächsten dekade heimlich eine lücke gelassen, hier fehlte dieser tag. Diese flasche würde später fehlen, diese flasche von der ich nicht wusste ob ich sie zur seite stellen sollte ob ich sie vergraben oder in die erste kammer ganz am ende des ganges bringen sollte. Sie verbergen, damit niemand mehr sie findet. Ein tag ist nicht einfach so übrig, für mich nicht martha. Obwohl für dich vielleicht schon.

tick – tack – tick – tack

So stehe ich da und denke noch darüber nach was mit dieser flasche geschehen soll, als johann, ohne dass ich es verhindern kann die flasche öffnet und den inhalt in einem zug in sich hineinleert. Diese schmerzen, die einen innerlich ausbrennen, müssen schrecklich sein. Und dann die augen, seine augen fingen an zu leuchten, leuchteten so hell, dass das licht das kellergewölbe ausfüllte. Und was nützt die erlangte unsterblichkeit wenn man ständig durst hat. Durst nach schnaps. Johann war zu nichts mehr nützte, es gab kaum einen tag an dem er das Brandweinhaus noch verlies, ständig stand eine flasche schnaps vor ihm. Unsterblich und dann doch vor qual zu tode gesoffen. 

tick – tack – tick – tack

Ach martha, du hast die ruhe weg, drei minuten noch und ich weiss nicht was ich tun soll.
Heute morgen saß johann immer noch in dieser bar, zwei straßen weiter eine brille mit schwarzen gläsern auf und eine flasche vor sich. Es wird nicht mehr lange dauern bis auch der zweite unsterbliche sich selbst ein ende bereitet. Ich muss morgen nach einem neuen knecht ausschau halten. Erinnere mich daran martha, bitte.

tick – tack – tick – tack

Ja martha, die fehlende flasche. Nach zehn jahren entdecket ich die lücke im regal und wusste nicht was tun. So wie heute. Es gibt keinen ersatzt, es muss immer diese flasche für diesen tag sein. Eine verwechselung ergibt ein großes durcheinander. Ach martha, auch dies ist schon einmal geschehen, wenn ich mich recht erinnere war es der dritte johann der zwei flaschen vertauschte. Zwei flasche für zwei aufeinander folgende tage. Es gab eine große unruhe, ja fast einen krieg.

tick – tack – tick – tack

Martha, martha was soll ich tun. Eine flasche fehlt. Nehme ich einfach die des nächsten tages oder bleibe ich hier sitzen und warte auf die neunzehnte stunde von morgen, was soll ich tun?

tick – tack – tick – tack

Martha, martha ja vielleicht bemerkt es ja diesmal niemand. Sie sind alle so sehr mit sich selbst beschäftigt. Sicherlich achtet keiner mehr darauf, es wird nicht auffallen das ich schon einen tag im voraus bin und die unruhe wird sich diesmal in grenzen halten.

tick – tack – tick – tack

Martha, martha ich weiss nicht was geschieht wenn ich diesen tag, diese flasche aussetzte. Wenn ich hier sitzen bleibe und nichts tue. Dies wird auffallen, dies wird noch mehr auffallen als wenn ich einen tag im voraus bin. Neuerdings sind sie ja so empfindlich. Wenn gar nichts geschieht, ja das würde sicherlich mehr auffallen. Ich wage nicht daran zu denken was dann geschieht.

tick – tack – tick – tack

Ach martha. Es gibt tage, da möchte ich gerne alle die noch vollen flaschen hervorholen und verteilen. Die unsterblichkeit anbieten, alle augen zum leuchten bringen. Die welt in einen unglaublichen glanz hüllen, um sie dann, wenn sich alle totgesoffen haben für den rest der zeit in die tiefste dunkelheit zu hüllen.

tick – tack – tick – tack

Ja martha flaschen gibt es noch genug und verdient haben sie es allemal. Die unsterblichkeit zu erlangen, die welt mit licht zu erfüllen, innerlich zu verbrennen, sich tot zu saufen um der qual zu entkommen. Nur schnaps, schnaps gibt es nicht genug.

tick – tack – tick – tack

Martha hast du gehört, die neunzehnte stunde bricht an, ich werde jetzt die treppe hinabsteigen und die flasche für morgen hervorholen. Die flasche für morgen. Ich werde sie in die nacht leeren. Ich werde sie in diese nacht leeren. Ich werde mit dem licht von morgen das  firmament von heute nacht erstrahlen lassen. Was macht es aus wenn am ende dann eine flasche fehlt, wenn für die letzte nacht kein licht mehr übrig ist.

tick – tack – tick – tack

Ja martha, ja das werde ich tun. Und wenn das ende der zeit gekommen ist wird die letzte nacht ohne den glanz und das licht der sterne sein.
Diese letzte nacht wird völlig finster bleiben und bevor sie es begriffen haben ist das ende bereits gekommen.

          tick – tack – tick – tack
          mit der unaufhaltsamen drehung der zeiger
          geht auf am himmel
          jeden morgen die sonne
          ahnungslos vom vernichtenden lauf der zeit



jens schreblowsky - alletagekunst

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Kommentare zu diesem Text


 BrigitteG (26.09.05)
Das ist ja total eigenwillig. Im Grunde verstehe ich es nur zum Teil, ich habe keine Ahnung, wer Martha ist, vom Lyrischen Ich habe ich auch nur eine vage Vorstellung, und wozu es einen Knecht für die Flaschen braucht, weiß ich nicht. Ist mir aber auch egal. Ich habe es von Anfang bis Ende gelesen, und das mache ich nicht bei jedem langen Text. Ich konnte mir die Räume mit den Regalen vorstellen, die vielen Flaschen. Und als gag hast Du das Chaos wegen dem gregorianischen Kalender reingebracht, sehr schön. Sehr kreativ und gut zu lesen. LG Brigitte.

 jds meinte dazu am 26.09.05:
hallo brigitte,
erst mal
>Ich habe es von Anfang bis Ende gelesen, und das mache ich nicht bei jedem langen Text.
vielen dank
zu verstehen im ersten moment sicher nicht einfach, zumindest nicht in den ersten zwei dritteln, ist aber beabsichtigt also keine weiteren grübeleien. hm martha.
ja martha, steht eigentlich nach dem ersten tick - tack wer sie ist . einen knecht brauchts fuer die arbeit...
freut mich das es dir gefaellt. ist wie bei mir ueblich *seufz* zwei stunden vor beginn der veranstaltung fuer die der text benoetigt wird fertig geworden *g*
grueszle
jds

 BrigitteG antwortete darauf am 27.09.05:
Martha, die Spinne. Ich Schlunz, habe nicht ordentlich genug gelesen.

 jds schrieb daraufhin am 27.09.05:
schlunz ?

 BrigitteG äußerte darauf am 27.09.05:
schlunzig heißt bei uns im Ruhrpott nachlässig, unaufmerksam, auch unordentlich.
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